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Grenzüberschreitende Berufsausbildung
Theorie in Frankreich, Praxis in Deutschland

Im Elsass ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch, in der angrenzenden Region Hochrhein in Deutschland fehlen Fachkräfte in den Betrieben. Das war 2013 der Auslöser für ein deutsch-französisches Ausbildungsprojekt. Inzwischen gibt es die ersten erfolgreichen Absolventen - mit Jobangebot gleich nach dem Abschluss.

Von Thomas Wagner |
Die beiden Azubis Ndimby Rasoamanana und Yannik Predieri an der Werkbank bei Evonik in Rheinfelden
Die beiden Azubis Yannik Predieri (links) und Ndimby Rasoamanana an der Werkbank bei Evonik in Rheinfelden (Foto: Evonik)
"Was man grade hört, ist ein Bandschleifer. Und damit kann man Metallteile, Edelstahl oder Stahl schleifen."
Gelber Helm, Schutzbrille, blauer Arbeitsanzug: Zielgerichtet schreitet ein junger Mann, Anfang 20, durch die Fertigungshallen des Spezialchemie-Konzerns Evonik, der in Rheinfelden am Hochrhein ein großes Werk unterhält. Dann die Überraschung: "Je m’apelle Yannik Predieri…." Fließendes Französisch kommt dem jungen Mann genauso problemfrei über die Lippen wie akzentfreies Deutsch:
"Ich heiße Yannik Predieri, ich habe eine Ausbildung gemacht bei der Evonik hier in Rheinfelden. Und ich habe meine Ausbildung erfolgreich als Industriemechaniker abgeschlossen."
Und es hat was Besonderes mit der Ausbildung auf sich:
"Also ich wohne in Frankreich, in St. Louis. Ich war auch in Frankreich in der Schule, in St. Louis. Und ich habe hier in Deutschland den praktischen Teil der Ausbildung gemacht."
Ausbildungsprojekt der IHK Hochrhein-Bodensee
Damit gehört Yannik Predieri zu den Absolventen eines Ausbildungsprojektes, das die IHK Hochrhein-Bodensee im deutsch-französischen Grenzgebiet bereits im Jahr 2013 auf den Weg gebracht hat.
"Seitdem haben wir die Möglichkeit, dass wir die klassische Lehre splitten: Die Berufsschule kann im Heimatland besucht werden. Und der praktische Teil der Ausbildung erfolgt in deutschen Betrieben."
Erklärt IHK-Ausbildungsberater Rainer Reisgies – und kommt auch auf die Gründe zu sprechen, die zu dem deutsch-französischen Ausbildungsprojekt führten:
"Wir haben im Elsass eine absolut hohe Jugendarbeitslosigkeit. Und in Deutschland haben wir zunehmend einen Fachkräftemangel in verschiedenen Berufen. Das waren für uns zwei Antreiber, dass wir dieses Projekt gestartet haben."
Berufsausbildung in Frankreich hat wenig Praxisanteile
Ein Projekt, bei dem die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in höchst unterschiedliche Arbeits- und Ausbildungswelten eintauchen. Projektteilnehmer Yannik Predieri:
"Die Teamarbeit ist hier ganz anders als in Frankreich. Die halten in Deutschland viel mehr zusammen. In Frankreich lässt man einen mit Problemen direkt alleine. Und in Deutschland denkt man eher praktisch." Und Rainer Reisgies ergänzt:
"In Frankreich haben wir eher ein verschultes Bildungssystem mit wenig Praxisanteilen. Deshalb haben die Jugendlichen, die nur dort die Ausbildung beendet haben, danach einen Praxisschock. Das haben unsere Leute nicht im dualen System."
Jobangebot gleich nach der Ausbildung
Mit einer kleinen Zusatzqualifikation bekommen die Teilnehmer aus Frankreich den regulären, in Deutschland anerkannten Berufsabschluss – und werden, so die Erfahrung, häufig gleich nach der Ausbildung von den deutschen Unternehmen weiterbeschäftigt. Beispiel: Evonik Rheinfelden. Auf die Frage, wie viele der französischen Auszubildenden nach der Lehre im Betrieb übernommen wurden, antwortet Ausbildungsleiter Thomas Pietrek:
"Alle, die wollten. Also wir hatten jetzt einen, der möchte die Schule weitermachen. Er hätte aber auch bei uns weiterarbeiten können."
Auf diesem Weg zu Personal zu kommen, ist denn auch für Thomas Pietrek ein ganz wichtiger Aspekt des Projektes:
"Unser Fachkräftemangel schlägt an allen Ecken zu, und zwar mit brachialer Gewalt. Und wir müssen uns da neue Wege auftun. Und Frankreich ist einer davon. Davon bin ich überzeugt."
Offene Stellen in Deutschland attraktiver
Bleibt die Frage, ob der Fachkräftemangel dadurch nicht einfach in die französische Nachbarschaft hinüber verlagert wird – eine Gefahr, die Rainer Reisgies von der IHK Bodensee-Hochrhein so nicht erkennen mag:
"Im Gegenteil, die Franzosen selber treten bei uns dafür ein, dass ihre Kinder die Chancen wahrnehmen. Im Moment ist der Arbeitsmarkt nun mal so, dass bei uns die Chancen vorhanden sind und die offenen Stellen in Frankreich nicht so stark. Also wenn einige zu uns rüberkommen, dann sind beide Seiten glücklich."
Und es sind bislang wirklich nur einige: 18 junge Frauen und Männer aus der französischen Nachbarschaft haben den praktischen Teil ihrer Berufsausbildung bei Betrieben im deutschen Grenzgebiet absolviert. Da ist noch Luft nach oben. Sprach- und Mentalitätsunterschiede stellten nach wie vor hohe Hürden dar, heißt es von den Projektbeteiligten. Doch bei denjenigen, die mitgemacht haben, sind diese Hürden regelrecht dahingeschmolzen. Yannik Predieri ist dafür das beste Beispiel:
"Man soll sich gar nicht als Franzose oder Deutscher fühlen. Es sind keine Grenzen, die Dich eigentlich stoppen. Du kannst hingehen, wohin Du willst."