Der Europäische Haftbefehl ist inzwischen Standard in Europa, 16.000 Mal schrieben die Mitgliedstaaten auf diesem Weg allein 2015 Verdächtige zur Auslieferung aus, mehr als 5000 Mal mit Erfolg. Wobei Mitgliedstaaten bedeutet: deren Justizbehörden. Es gehe nicht um politische Entscheidungen, betonte gestern auch Regierungssprecher Steffen Seibert.
"Der Sinn der Regelung um den Europäischen Haftbefehl ist ja, dass grundsätzlich die Entscheidung durch die Justizbehörden getroffen wird. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die Justizbehörden der europäischen Mitgliedstaaten einander in besonderer Weise vertrauen."
Gegenseitiges Vertrauen - das ist die Basis. Christoph Frank, damals stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, nannte allerdings schon 2005 - kurz nachdem der Europäische Haftbefehl eingeführt worden war - als eigentlichen Grund, dass Europa zusammenwächst.
"Wir brauchen den Europäischen Haftbefehl, weil wir festzustellen haben, dass ein europäisches Verbrechen ein internationales Verbrechen ist. Die Straftäter nutzen die offenen Grenzen. Also müssen wir für die Bürger in der Europäischen Union auch ein funktionierendes Strafverfolgungssystem zur Verfügung stellen."
Vertrauen der Justizbehörden
Der Europäische Haftbefehl ist ein Kernelement des sogenannten "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", also der EU-Innen- und Justizpolitik. Und er war von Anfang an auch umstritten. Denn das Vertrauen, das die Justizbehörden ineinander haben müssen, ist tatsächlich groß. Ihnen bleibt wenig Möglichkeit zu prüfen, ob die Auslieferung letzten Endes zu Recht verlangt wird. Von teilweise äußerst unterschiedlichen Rechtstraditionen ganz zu schweigen. Aber, so Brigitte Zypries, SPD, Bundesjustizministerin, als das entsprechende Gesetz 2004 in Kraft trat:
"Wenn wir anfangen würden, zuerst die Rechtsordnungen anzupassen, dann wären in vielen, vielen Jahren noch nicht so weit, wie wir jetzt schon sind."
Stattdessen wurde also der europäische Haftbefehl eingeführt. Zu den vehementesten Kritikern der Vereinbarung, vor allem der deutschen Umsetzung, gehörte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP-Politikerin zählte auf, was sie als Fehler sah:
"Kein ausreichender Rechtschutz gegen die Auslieferung in einen anderen europäischen Mitgliedsstaat. Denn das ist dringend notwendig. Denn es kann sich ja eben doch um Situationen handeln, wo die Rechtslage sehr, sehr umstritten ist. Und die Auslieferung und dann das Sitzen in einem Untersuchungsgefängnis in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat, mit einer anderen Verfahrenssprache, mit keinen gemeinsamen Standards, was Vertretung durch einen Anwalt und andere Rechtsstaatsgarantien angeht, ist ein massiver Eingriff."
Wenige Spielräume ein Auslieferungsersuchen abzulehnen
Vor allem wurde kritisiert, dass auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls auch deutsche Staatsbürger ausgeliefert werden müssen - wofür sogar eigens die Verfassung geändert werden musste. Tatsächlich verlangte das Bundesverfassungsgericht 2005 Nachbesserungen. Die Richter forderten, Deutschland müsse den Spielraum nutzen, den es gebe, um Grundrechte zu schützen. Eine Entscheidung, die nicht nur für den CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach weitreichende Bedeutung hatte: "Diese Entscheidung ist ein Weckruf an die Politik, und ich glaube, dass sie Bedeutung haben, wird über den eigentlichen Streitgegenstand EU-Haftbefehl hinaus. Der Deutsche Bundestag muss bei der Umsetzung des Europäischen Rechts in nationales Recht immer darauf achten, welche Spielräume er hat und ob es eine Kollision mit Verfassungsnormen gibt."
2006 schließlich trat das neue deutsche Gesetz in Kraft. Es sieht nun zum Beispiel vor, dass Deutsche ihre mögliche Haft - nach Auslieferung und Urteil - in Deutschland absitzen können. Nach wie vor aber bleiben dem Richter kaum Möglichkeiten, ein solches Ersuchen eines anderen Staates abzulehnen.