Archiv

Grenzzaun am Brenner
"Das Ideal der politischen Einheit Europas wird entwertet"

Ein Zaun am Brenner wäre ein erheblicher Rückschlag für den europäischen Integrationsprozess, meint der Soziologe Maurizio Bach. Im DLF beklagte er eine starke Tendenz zur Renationalisierung. Damit werde in der Haltung und in der politischen Praxis die europäische Idee, das Ideal der politischen Einheit Europas, entwertet.

Maurizio Bach im Gespräch mit Maurizio Bach |
    Lkws befahren den Brennerpass. Im Hintergrund die schneebedeckte Tannenwälder, im Vordergrund sieht man ein Schilder Richtung Brennersee und Obernberg Gries am Brenner
    Der Brennerpass zwischen dem österreichischen Tirol und der italienischen Autonomen Provinz Bozen in Südtirol (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
    Die massive Einwanderung von Flüchtlingen seit dem vergangenen Herbst habe das gesamte politische und gesellschaftliche Koordinatensystem verändert, sagte der Soziologe Maurizio Bach im DLF. "Aber dass man neue Zäune an den Grenzen baut, damit musste man nicht rechnen." Der Brenner habe dabei eine hohe Symbolkraft. Es sei eine der bedeutendsten Nord-Süd-Tangenten in Europa, über die Millionen Tonnen an Gütern transportiert würden und über die jedes Jahr Millionen Menschen reisten. Die Wiedererrichtung von Binnengrenzen sei eine Rückwärtsentwicklung.
    Derzeit gebe es den Versuch, die Außengrenze der Europäischen Union nach Südosten zu verschieben. "Wir versuchen, die Türkei zu einer Art informellen Außengrenze der EU zu machen", sagte Bach. Dabei gebe es einen Tausch: Die Türkei biete eine Sicherungsfunktion an, die dem "Schutz der wohlhabenden Zentren Europas vor unerwünschter Masseneinwanderung" diene. Das lasse sich die Türkei aber auch bezahlen. Deutschland drohe dadurch erpressbar zu werden, auch die politische Handlungsfähigkeit der EU sei eingeschränkt.
    Deutschland und Österreich seien bislang in einer privilegierten Situation gewesen, dass sie nur sichere Drittstaaten um sich herum gehabt hätten, sagte Bach. "Das ökonomisch wohlhabende Zentrum Europas war geschützt." Das sei mit der Zuwanderung nun zusammengebrochen. Ein fremdenfeindliches Potenzial habe es dabei in Europa in vielen Ländern schon immer gegeben. "Ich schätze es bei 30 Prozent der Bevölkerung", sagte Bach. "Und hier sehe ich auch die größte Bedrohung."