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Griechenland
Abtreibung statt Verhütung

Griechenland hat mit 1,3 Kindern pro Frau eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa. Finanzielle Unsicherheit und eine hohe Arbeitslosigkeit sind Gründe, warum sich Paare gegen Kinder entscheiden. Doch statt zu verhüten, treiben viele Frauen ab, wenn sie dann doch schwanger werden.

Von Rodothea Seralidou |
    Eine Pillen-Packung mit den Abkürzungen für die Wochentage.
    Nur 3% der Griechinnen nehmen die Pille und diese müssen sie aus eigener Tasche bezahlen (dpa/Jens Kalaene)
    Im gemeinnützigen Verein "Aggalia" stapeln sich Kartons mit Puppen, Kuscheltieren und Gesellschafts-spielen. Eine junge Frau um die zwanzig, mit ihrem Baby im Arm, schaut sich die Spielsachen an und lächelt, eine andere geht gerade mit zwei großen Tüten voller Windeln, Babynahrung und lang haltbarer Lebensmittel aus dem Raum. Der Verein ist eine Anlaufstelle für Schwangere in Not und unterstützt die Frauen auch nach der Geburt ihrer Kinder, erklärt die Vereinsvorsitzende Varvara Metalinou:
    "Wenn die schwangeren Frauen zu uns kommen, ermutigen wir sie, ihr Kind zu behalten. Wir sagen den werdenden Müttern, dass sie nicht alleine sind, dass wir ihnen helfen werden, auch materiell- nicht nur während der Schwangerschaft, auch danach. Dabei sind es nicht nur unverheiratete Frauen, die zu uns kommen. Zur Hälfte sind es verheiratete Paare, viele haben schon ein Kind und überlegen abzutreiben, weil sie sich kein weiteres leisten können."
    Statistische Daten zu den Abtreibungen in Griechenland gibt es nicht, alle Schätzungen und Studien aber gehen davon aus, dass die Abtreibungsquote eine der höchsten in Europa ist. Während in Deutschland auf acht Geburten eine Abtreibung kommt, könnte es in Griechenland sogar mehr Abtreibungen geben als Geburten. Laut einer Studie der Universität Athen hat jede fünfte Griechin mindestens einmal in ihrem Leben abgetrieben. Und die Athener Uni-Klinik spricht von 30.000 Abtreibungen im Jahr, allein bei minderjährigen Griechinnen. Die hohe Abtreibungsrate hänge auch mit der fehlenden Aufklärung zusammen, sagt die Generalsekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter, Fotini Kouvela:
    Aufklärung fehlt
    Wir haben in der Schule noch keine Sexualkunde, jetzt erst bereiten wir so etwas vor. Die Mädchen und Frauen sind nicht informiert und wir sehen, dass viele die Abtreibung als Verhütungsmethode sehen. Dass muss sich ändern.
    Tatsächlich nehmen nur rund 3% der Griechinnen die Pille und diese müssen sie aus eigener Tasche bezahlen. Kouvela fordert deshalb, dass die Kassen die Kosten für die Pille tragen. Dass das griechische Abtreibungsgesetz liberal ist, findet sie hingegen gut.. Ist das Embryo gesund, kann bis zur 12. Schwangerschaftswoche jede Frau frei entscheiden, ob sie das Kind behalten will oder nicht - eine so genannte Schwangerschaftskonfliktberatung wie in Deutschland, ist in Griechenland nicht vorgesehen. Wenn es gesundheitliche Gründe gibt oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist, dürfen die Frauen auch später abtreiben.
    Der Frauenarzt Panagiotis Christopoulos führt Schwangerschaftsabbrüche durch. Fast ausnahmslos werde auch eine Abtreibung gewünscht, wenn das Kind behindert zur Welt kommen würde, sagt der Gynäkologe.
    Für die meisten Frauen ist das ein Schock, wenn sie erfahren, dass ihr Baby nicht gesund sein wird. Die modernen Vorsorgeuntersuchungen lassen aber da keine Zweifel. Wir versuchen, die Frau nach dem Eingriff seelisch aufzubauen und geben ihr zu verstehen, dass sie in Zukunft durchaus ein gesundes Baby zur Welt bringen könnte.
    Ein gesundes Baby wünscht sich auch die 37-jährige Sofia Malliotaki. Nach der Nackenfaltenmessung hat die Schwangere nun auch eine kostspielige Blutuntersuchung gemacht, bei der das Erbgut des Embryos auf mögliche genetische Defekte überprüft wird. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor, sagt Sofia Malliotaki, doch wären sie auffällig, würde auch sie wahrscheinlich abtreiben:
    "Man stellt sich so viele Fragen: Wird dieses Kind jemals selbstständig leben können? Was ist, wenn ich nicht mehr da bin? Gerade in Griechenland, wo es keine Hilfe für solche Menschen gibt, keine Infrastruktur. Ich will nicht, dass mein Kind leidet."