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Griechenland-Abweichler
"Ein Kratzer auf dem Lack von Frau Merkel"

Bei der jüngsten Griechenland-Abstimmung im Bundestag habe jeder vierte Unions-Abgeordnete mit Nein votiert, sagte der Politikberater Michael Spreng im DLF. Dass die Zahl der Abweichler von Mal zu Mal steige, mache keinen guten Eindruck, sei für Kanzlerin Angela Merkel aber noch verkraftbar. Gefährlich werde es, sollten die Griechenland-Hilfen nicht reichen.

Michael Spreng im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Michael Spreng, Politikberater, aufgenommen am 05.07.2015 während der ARD-Talksendung "Günther Jauch" zum Thema: "Die Entscheidung der Griechen - Schicksalstag für Europa?" im Studio des Berlin Gasometer.
    Politikberater Michael Spreng (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Der Politikberater nannte es "ein Menetekel für Frau Merkel", dass 63 Unionsabgeordnete gegen die Griechenland-Hilfen gestimmt und weitere sich enthalten hätten oder gar nicht zur Abstimmung gekommen seien. "Wähler mögen es nicht, wenn eine Partei mit zwei Zungen spricht." Sollte jedoch eine weitere Abstimmung notwendig werden, weil Athen etwa die Wachstumserwartungen der internationalen Geldgeber nicht erfüllen könne, "dann wäre Merkel in einer ganz gefährlichen Situation", sagte Spreng.
    Die Kanzlerin hätte aus seiner Sicht dann keine andere Wahl als die Vertrauensfrage mit der Abstimmung zu verbinden - "das will sie natürlich vermeiden". Zwar würde Merkel eine Vertrauensfrage vermutlich überstehen, allerdings gehe ein Kanzler immer geschwächt daraus hervor. "Frau Merkel hofft, dass dieses auf drei Jahre angelegte Paket jetzt auch drei Jahre hält - dann hätte sie nämlich die Bundestagswahl geschafft", so Spreng. Allerdings sei das Griechenland-Paket mit ambitionierten Erwartungen verknüpft, sodass das Problem schnell wieder aktuell werden könne.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Tobias Armbrüster: Wie bedeutend sind diese Abweichler nun für CDU und CSU? Wie schwer wiegen sie und was heißt dieses Votum für Angela Merkel und für ihre Kanzlerschaft? Ich habe über diese Fragen kurz vor dieser Sendung mit dem Medienberater Michael Spreng gesprochen, ehemaliger Chefredakteur der "Bild am Sonntag" und Wahlkampfmanager von Edmund Stoiber.
    - Schönen guten Abend, Herr Spreng.
    Michael Spreng: Ja! Guten Abend, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Spreng, die CDU bietet also offenbar allen eine politische Heimat, den Griechenland-Unterstützern und auch den Skeptikern. Ist das nicht wahnsinnig clever?
    Spreng: Ich glaube nicht, dass es so clever ist, denn wenn es nach Frau Merkel und Herrn Kauder gegangen wäre, hätten die ihre Heimat nicht in der Fraktion gefunden, denn sie wollten ja die Zahl der Abweichler möglichst gering halten. Ich glaube, die Wähler mögen auch nicht, wenn eine Partei mit zwei Zungen spricht, sondern es ist wirklich ein echtes Problem für Frau Merkel, wenn die Zahl von Abstimmung zu Abstimmung steigt. Und wenn man heute noch diejenigen dazuzählt, die gar nicht zur Abstimmung erschienen sind, ist inzwischen jeder vierte Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion gegen das Griechenland-Paket. Das ist schon ein Menetekel für Frau Merkel.
    Armbrüster: Über die Bedeutung für Frau Merkel und die Union können wir ja gleich noch sprechen. Noch mal zurück zu der Ausgangslage. Parteitaktisch, kann man doch sagen, lief das doch eigentlich ganz gut für die Union. Man hatte da ja in den vergangenen Tagen eigentlich fast den Eindruck, als sei die CDU die einzige Partei, in der wirklich ernsthaft über diese wichtige Frage Griechenland-Hilfe ja oder nein diskutiert wird.
    Spreng: Ja, es wird ja in der Sache leider nicht viel diskutiert. Frau Merkel hat ja für das Griechenland-Paket öffentlich wenig bis gar nicht geworben. Herr Kauder hat sich mehr mit Sanktionsdrohungen hervorgetan. Es war keine echte Diskussion, sondern es gab Stimmen derjenigen, die dagegen sind, die ihre abweichende Meinung kundgetan haben. Und es gab sehr wenig ernsthafte und auch leidenschaftliche Werbung für diesen Kurs. Ein richtiger Streit, der am Ende auch Bürger für Demokratie und Politik begeistern kann, den hat es bei der Union nicht gegeben.
    Armbrüster: Wie schwer ist dieser Schlag nun für Angela Merkel? Wie schwer sind diese 63 Abweichler?
    Spreng: Aktuell ist es verkraftbar. Es macht keinen guten Eindruck, es belastet sie auch. Nein, die Frage ist, was die Zukunft bringt. Wenn es ein viertes Hilfspaket geben müsste, oder wenn das dritte Hilfspaket noch mal vor den Bundestag käme, weil Griechenland die Auflagen nicht einhält, dann würde die Lage ganz anders aussehen. Im Augenblick ist es verkraftbar. Es ist ein Kratzer auf dem Lack von Frau Merkel, aber noch nicht mehr.
    Armbrüster: Wie viele Griechenland-Abstimmungen kann sie sich denn noch leisten?
    Spreng: Wenn es so kommen sollte, dass dieses Griechenland-Paket eben nicht ausreicht, weil entweder die Wirtschaftswachstumserwartungen nicht erfüllt werden, die Privatisierungserlöse nicht erzielt werden und so weiter, wenn dies passieren sollte und vor der Bundestagswahl das Frau Merkel noch mal vor die Füße fallen sollte, dieses Thema, dann wäre sie in einer ganz gefährlichen Situation. Dann hätte sie wohl keine andere Wahl, als die Vertrauensfrage mit der Abstimmung zu verbinden. Und das will sie natürlich vermeiden. Frau Merkel hofft, dass dieses auf drei Jahre angelegte Paket jetzt auch drei Jahre hält. Dann hätte sie nämlich die Bundestagswahl geschafft.
    Armbrüster: Aber ist denn ihr Stand in der CDU nicht so groß, dass sie auch eine Vertrauensfrage problemlos überstehen würde?
    Spreng: Ja, die würde sie überstehen. Denn je näher auch der nächste Wahltermin rückt, umso mehr ist den Abgeordneten auch die eigene Haut im Wahlkreis und bei den Listenaufstellungen näher als diese Prinzipienfrage Griechenland. Aber für einen Kanzler ist es immer eine Schwäche, die Vertrauensfrage stellen zu müssen. Sie würde dann schon belastet in den nächsten Wahlkampf ziehen.
    Armbrüster: Für wie wahrscheinlich halten Sie das denn, dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahre noch einmal so eine Abstimmung erleben?
    Spreng: Alles was die Griechenland-Experten sagen und was man sich selbst ausrechnen kann, ist das Paket ja sehr ambitioniert, insbesondere was die Wachstumserwartung betrifft, was die Privatisierungserlöse betrifft. Wenn das nicht eintritt, was da prognostiziert wird, wenn Griechenland noch mehr Geld bräuchte, oder wenn Griechenland sich nicht in der Lage sähe, die Auflagen zu erfüllen, dann wäre das Thema sofort wieder aktuell und dann käme die Kanzlerin in diese für sie problematische Situation.
    Armbrüster: Ist denn die Union die einzige Partei, die mit solchen Entscheidungen ein Problem hat?
    Spreng: In der SPD gibt es ja in dieser Frage wenig Abweichler. Die Linke spielt ja gar keine Rolle, die hat ja inzwischen schon Herrn Tsipras und Syriza, wie soll man sagen, links überholt und vertritt nur noch die Syriza-Opposition. Und die Grünen stimmen mit, der Sache wegen. Die anderen Parteien haben eine solche interne Auseinandersetzung nicht, das ist schon ein CDU-Problem.
    Armbrüster: Das heißt, die können da genüsslich zugucken, wie man sich in der Union gegenseitig zerfleischt?
    Spreng: Werden die auch tun. Die SPD hofft ja, dass irgendwo noch etwas Brosamen für sie abfällt in der Zukunft. Und das ist umso wahrscheinlicher, umso mehr sich die CDU zerstreiten würde.
    Armbrüster: Jetzt sind sich ja, Herr Spreng, erstaunlich viele Beobachter einig, dass Griechenland diese ganzen Hilfsgelder, die es bekommt, nie wird zurückzahlen können. Auch der Internationale Währungsfonds sagt das ja mehr oder weniger offen. Wenn wir diese Wahrheit tatsächlich in einigen Jahren aufgetischt bekommen, dass das nicht funktioniert, wenn das sozusagen offiziell wird, könnte das dann noch mal zum richtigen Problem für die Union werden, so nach dem Motto, jahrelang habt ihr uns da belogen?
    Spreng: Das könnte ein riesiges Problem werden. Es ist ja jetzt schon erkennbar, dass dieser Schuldenschnitt auch deshalb nicht kommt, nicht nur, weil er gegen die Verträge verstoßen würde, sondern auch deshalb nicht kommt, weil es ja zu einem Offenbarungseid kommen müsste, wie viel Geld tatsächlich verloren ist, wie viel in wirklichem Geld Griechenland Deutschland kostet. Bisher ist es ja noch nicht in Haushalte eingestellt worden oder musste nicht eingestellt werden. Wenn diese Situation vor 2017 eintreten würde, wäre das für die CDU eine Katastrophe. Deshalb gehe ich davon aus, dass sie auf jeden Fall einen Schuldenschnitt vor 2017 verhindern wird, sondern sich für den Weg entscheidet, die Kredite zu strecken und die Zinsen zu senken, was in Wirklichkeit ja auch ein Schuldenschnitt ist.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Michael Spreng, Medienmanager und ehemaliger Chefredakteur der "Bild am Sonntag". Vielen Dank, Herr Spreng, für das Gespräch.
    Spreng: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.