Giegold erklärte, die Euro-Zone müsse ihre Krisenpolitik ändern. Der Ansatz, dass die Schulden sinken, wenn alle Länder sparen, funktioniere nicht. Die Wirtschaftspolitik müsse koordiniert und der einseitige Sparkurs beendet werden. Griechenland und die Eurozone bräuchten mehr Investitionen. Athen müsse mehr Sicherheit und positive Signale ausstrahlen, sagte er im Deutschlandfunk. Zudem wäre Europa gut beraten, ein großes Investitionsprogramm in nachhaltige, zukunftsfähige Sektoren auf den Weg zu bringen. Dies wäre sinnvoller, als über neue Szenarien zu diskutieren. Auch dauerhaft niedrige Zinssätze für Griechenland könnten helfen.
Die griechischen Liquiditätsprobleme seien im Vergleich zu einem möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone klein, meinte der Grünen-Finanzexperte im Europaparlament. Letzteres wäre die teuerste Lösung, um das Problem zu lösen. Die Debatte um eine mögliche Pleite Athens lenke von den eigentlichen Problemen ab, betonte Giegold. In Griechenland gebe es sehr viel Geld, darunter bei vermögenden Griechen. Diesen Schatz zu heben, sei die Aufgabe, bei der Europa helfen könne.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Läuft die Zeit langsam ab für Griechenland? Wenn man einigen Wortmeldungen vom Wochenende glauben kann, dann steuert das Land innerhalb der kommenden 14 Tage auf die Pleite zu. Steuereinnahmen brechen weg, Schulden müssen bedient werden, möglicherweise kann die Regierung in Athen schon Anfang April seinen Beamten keine Gehälter und keine Renten auszahlen.
Am Telefon ist jetzt Sven Giegold, der Grünen-Abgeordnete im Europaparlament und dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Schönen guten Morgen, Herr Giegold.
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Giegold, wir haben heute Morgen schon mehrfach über diesen Auftritt von Jannis Varoufakis gestern Abend in der ARD bei Günther Jauch gesprochen. Eine Stunde lang war er da zugeschaltet, hat versöhnliche Töne angeschlagen. Oder wie haben Sie diesen Auftritt verstanden?
Giegold: Ja. Ich glaube, seine Kernbotschaft ist, Europa soll zusammenbleiben, und die Probleme, die er derzeit in Griechenland hat - und so verstehe ich seine Äußerungen zu dem unbedeutenden Liquiditätsproblem -, sind in der Tat klein im Vergleich zu den Folgen eines Euroaustritt Griechenlands. Denn sobald die Währungsunion deutlich gemacht hat, dass sie nicht unumkehrbar ist, hat das dauerhafte Schäden, und zudem ist es die teuerste Lösung, um die Probleme in Griechenland zu lösen.
"In Griechenland gibt es sehr viel Geld"
Armbrüster: Wir haben nun am Wochenende mehrere Meldungen und Berichte darüber bekommen, wie prekär die Lage in Athen tatsächlich inzwischen ist. Es gibt einige Leute, die davon ausgehen, dass die Staatspleite droht, dass die Griechen schon Anfang April keine Gehälter und keine Renten mehr zahlen können für ihre Beamten. Was halten Sie davon?
Giegold: Zum einen: Wir beide und die allermeisten, die darüber derzeit sprechen, kennen die wirkliche Finanzlage Griechenlands nicht. Sie kennen auch nicht die Möglichkeiten, die es nach wie vor innerhalb der griechischen Spielräume zwischen Banken, der Regierung, ihrer Sozialkassen gibt, um Liquiditätsprobleme auszugleichen. Sie können auch Steuern eintreiben. Meiner Meinung nach lenkt diese Debatte um mögliche Enddaten von dem eigentlichen Problem ab. In Griechenland gibt es sehr viel Geld, es gibt sehr vermögende Griechen, die haben ihr Geld zum Teil außerhalb des Landes. Diesen Schatz zu heben, ist die eigentliche Aufgabe. Da kann Europa helfen. Und das Erfreuliche ist, dass die neue Regierung zumindest verbal sagt, dass sie das möchte, und damit unterscheidet sie sich von den vorigen Regierungen, die mit den Steuerbetrügern unter einer Decke steckten.
Armbrüster: Aber ist dieses Steuereintreiben nicht eigentlich nur eine kosmetische Diskussion, denn auch wenn man die reichsten Griechen ordentlich besteuern würde, würde man damit ja nicht diese Hunderte von Milliarden einnehmen, die Griechenland braucht, um seine Schulden zurückzubezahlen.
"Griechenland braucht neue Investitionen"
Giegold: Griechenland braucht eine langfristige Lösung für seine Schulden, das ist richtig. Das muss aber nicht ein Schuldenschnitt sein, das können auch Niedrigzinssätze auf Dauer sein, so wie es der deutsche Sachverständigenrat mit dem Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen hat. Das wäre eine Form der Umschuldung.
Die eigentliche Frage für Griechenland ist aber eine andere: Man kann Schulden nur bezahlen und seinen Staatshaushalt nur finanzieren, wenn die Wirtschaft läuft, und deshalb braucht die Eurozone insgesamt und besonders Griechenland neue Investitionen. Dazu muss die neue Regierung endlich mehr Sicherheit ausstrahlen, mehr positive Signale ausstrahlen, und Europa wäre gut beraten, ein großes Investitionsprogramm in nachhaltige, zukunftsfähige Sektoren, was wir einen green new deal nennen, auf den Weg zu bringen. Das ist die Frage, die eigentliche Frage. Das ist viel sinnvoller, darüber zu diskutieren, wie wir zu neuen Jobs kommen, zu neuen Investitionen, statt immer neue Ausstiegsszenarien zu diskutieren, wie das hier in Deutschland in Mode ist.
Armbrüster: Zu den Leuten, die das tun, gehört möglicherweise auch Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments. Er diskutiert zwar kein Ausstiegsszenario, aber er hat gestern in einem Zeitungsinterview gesagt, dass er mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras gesprochen hat, und anschließend hat er gesagt, "Tsipras braucht dringend Geld. Dafür muss er die Eurogruppe und die EZB von seinem Reformwillen überzeugen", und zwar schon nächste Woche. Martin Schulz drückt also auch auf die Tube in Sachen Staatsfinanzen. Sieht er das richtig?
Giegold: Dass man jetzt auf die Tube drücken muss, ist ja offensichtlich, denn die Probleme haben sich ja seit der neuen Regierung bisher nicht verbessert. Im Gegenteil! Da hat Martin Schulz Recht. Wo er nicht Recht hat ist, dass man in einer solchen Situation, wo sowieso die Verhältnisse zwischen Griechenland und Deutschland so aufgeladen sind, noch öffentliche Ratschläge erteilt, mit wem man zu koalieren hat. Natürlich ist es kritikwürdig, mit einer europaskeptischen rechtspopulistischen Partei zu koalieren. Aber man muss jetzt nicht noch weiteres Öl ins Feuer gießen. Das ist nicht die Aufgabe des Europaparlaments und ihres Präsidenten.
"Wir hatten genug öffentliche Ratschläge"
Armbrüster: In dieser aufgeheizten Stimmung zwischen Athen und Berlin, hätten Sie denn einen Ratschlag an Herrn Tsipras?
Giegold: Ehrlich gesagt, wir hatten jetzt wirklich genug öffentliche Ratschläge. Es geht jetzt darum, auf der einen Seite muss die neue griechische Regierung auch zeigen, dass sie was auf die Reihe bekommt, und umgekehrt ist eigentlich unsere Aufgabe in Deutschland, dafür zu sorgen, dass sich der Kurs der Eurokrisen-Politik insgesamt ändert. Wir haben bisher so getan, als könnte es funktionieren, wenn alle Länder sparen in der Eurozone, dass dann die Schulden sinken. Das funktioniert aber nicht, sondern die Wirtschaft geht in der gesamten Eurozone in den Krebsgang. Wir müssen stattdessen jetzt dafür sorgen, dass die Wirtschaftspolitik der Euroländer koordiniert wird und mit diesem einseitigen Austeritätskurs aufhören, und wenn wir das nicht machen, wird Griechenland seine Probleme nicht lösen und wir werden womöglich bald eine eskalierende Situation in Frankreich bekommen. Ich befürchte, die jetzige Politik der Bundesregierung ist eine Wahlkampfhilfe für Le Pen.
Armbrüster: In dieser aufgeheizten Stimmung, wie hilfreich sind denn da glamouröse oder Hochglanzberichte in französischen Illustrierten aus dem netten Appartement von Herrn Varoufakis in Athen?
Giegold: Ich will es mal so formulieren: Herr Varoufakis und die neue griechische Regierung macht es ihren Freunden in Deutschland wirklich nicht leicht.
Armbrüster: …, sagt Sven Giegold, Finanzexperte und Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament. Vielen Dank, Herr Giegold, für Ihre Zeit heute Morgen.
Giegold: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.