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Griechenland
"Austeritätspolitik ist gescheitert"

Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann hat vor einer Fortsetzung der Sparpolitik in Griechenland gewarnt. Sie habe zu massiven Wachstumseinbrüchen und zu Elend in der Bevölkerung geführt. Die Schuldenstände würden dadurch außerdem nach oben getrieben, sagte er im DLF. Viele neoliberale Ökonomen hätten nicht verstanden, dass die Austeritätspolitik zu einer Abwärtsspirale führe.

Ulrich Thielemann im Gespräch mit Gerd Breker |
    EU-Flagge und Griechenland-Flagge vor blauem Himmel
    "Der ewige Sturm der schöpferischen Zerstörung, der darf nicht zu stark blasen", sagte Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann im DLF. (dpa/picture-alliance/ Herbert Knosowski)
    Gerd Breker: Griechenland war wie gesagt heute Thema im Europäischen Parlament und man hatte dazu auch den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras geladen, die griechische Position sozusagen aus erster Hand für die Abgeordneten. Es ist das Parlament der Europäischen Union und nicht das Parlament der Eurozone, und daher war mit einer munteren Diskussion zu rechnen.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Er tritt für eine menschliche Marktwirtschaft ein. Guten Tag, Herr Thielemann.
    Ulrich Thielemann: Guten Tag, Herr Breker!
    Breker: Griechenlands Ministerpräsident Tsipras hat einen Antrag für Rettungs-Milliarden beim Euro-Rettungsschirm ESM gestellt, sprich er unterwirft sich also doch dem Diktat der Geldgeber.
    Thielemann: Ich bin mir nicht so sicher, ob er das tut. Ich meine, er hat sich ja schon sehr lange dem Diktat unterworfen, und die Folgen dieser Unterwerfung können ja nur als desaströs bezeichnet werden und haben auch nicht den Intentionen der Gläubiger, die sich selbst zu Gläubigern übrigens gemacht haben nach dem Bailout von 2010, die sogenannte Troika, die europäischen Staaten eigentlich. Diese Politik ist gescheitert und daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie hat zu massiven Wachstumseinbrüchen geführt, zu großem Elend aufseiten der Bevölkerung, und die hat die Schuldenstände weiter nach oben getrieben. Das ist kein Weg, der weiter fortgesetzt werden kann, und das sollte man den CSU-Abgeordneten sagen. Die verstehen nicht, was eine Volkswirtschaft ist.
    Warum ist das gescheitert? Vielleicht darf ich mal kurz ein paar Sätze dazu sagen. Die glauben, Griechenland ist eine Person, soll sich doch mal ein bisschen anstrengen und wettbewerbsfähig werden. Gegen wen denn nach außen? - Die verstehen nicht, dass das eine Volkswirtschaft ist. Da wird gehandelt, da wird eingekauft, verkauft zwischen den Griechen. Wenn aber zum Beispiel die Renten gekürzt werden - und die Renten in Griechenland sind das sozialpolitische Instrument; sonst gibt es faktisch nichts; heute werden ja die Jungen teilweise über die Rentner finanziert -, wenn das weiter gekürzt wird, fallen die einfach als Zahlende aus. Der Bäcker kann seine Brötchen nicht mehr verkaufen und kann auch nicht mehr beim Metzger einkaufen und so weiter und so fort. Es gibt die Abwärtsspirale, und das haben auch viele neoliberale Ökonomen offenbar nicht verstanden und darum ist die Austeritätspolitik gescheitert.
    "Der ewige Sturm der schöpferischen Zerstörung, der darf nicht zu stark blasen"
    Breker: Hat denn, Herr Thielemann, überhaupt schon mal irgendwann, gibt es Beispiele, eine Sparpolitik für mehr Wachstum gesorgt?
    Thielemann: Dafür überblicke ich vielleicht die Landschaft zu wenig. Ich halte es aber für ziemlich unwahrscheinlich. Ich würde sagen, das Wachstum, das kommt schon aus dem Druck, letztlich Wettbewerbsdruck. Der Druck muss aber lebbar sein. Sonst gibt es, hat Schumpeter schon gesehen, ist ja ein Wachstumsfreund gewesen und ein Wettbewerbsfreund. Der ewige Sturm der schöpferischen Zerstörung, der darf nicht zu stark blasen. Sonst sind die Akteure überfordert und dann kommt es zu diesen Spiralen nach unten. Ich würde eher sagen, das Wachstum entsteht schon durch einen mäßigen Druck, der sozusagen lebbar und aufgreifbar ist und ziemlich selten durch Sparen, wenn man im Preiswettbewerb oder bei der Austeritätspolitik ist, ziemlich selten dadurch. Ich meine, die Leute verdienen weniger und im Allgemeinen ist es so und das ist übrigens eine neue Entwicklung, eine relativ neue Entwicklung. In der Nachkriegswirtschaft hat niemand weniger verdient. Immer ging es nach oben, auch wenn die Zuwächse vielleicht gering waren, oder manchmal natürlich sehr hoch. Wer weniger verdient, der verdient sein Leben lang weniger, und das führt in die Schrumpfung. Das führt übrigens genau dazu, und das war das große Thema und ich finde ein sehr wichtiges Thema von Varoufakis. Das ist ein makroökonomisches Thema. Das sollten wir alle verstehen.
    Die neoliberale Politik bestand und besteht darin, das Kapital zu hoffieren - O-Ton Hans-Werner Sinn. Das heißt, die Kapitalbestände wurden immer größer und die Löhne sanken. Wo denn soll das Wachstum dann herkommen, ist die These? Diese überbordenden Überschüsse - in dem Zusammenhang ist auch die Griechenland-Krise zu sehen -, die müssen, wie das Varoufakis sagt, Keynes inspiriert, müssen recycled werden, also irgendwie in den Kreislauf zurückgeführt werden, und das passiert, so würde ich es sehen, vor allen Dingen durch die Besteuerung.
    "Griechenland braucht erhebliche Unterstützung, echte Reformen, nicht nur Austerität und Rosskuren"
    Breker: Nur, Herr Thielemann, wir haben ja im Zuge dieser Krise gelernt, dass Griechenland eigentlich kein funktionierendes Staatswesen hat, sprich - Sie haben es angedeutet - es hapert bei den Steuern, es hapert im Katasterwesen, Korruption ist allgegenwärtig. Das kann man doch nicht mit einem Knopfdruck ändern.
    Thielemann: Natürlich nicht und darum braucht Griechenland auch diese Unterstützung. Man wundert sich ja, warum ist das mit der Besteuerung. Die neue Regierung, die ja, so sagte sie, mit dem Klientelismus der Vorgängerregierung - übrigens Partnerparteien der herrschenden Parteien Europas, vor allen Dingen Deutschlands -, die hat es ja nicht geschafft in der kurzen Zeit, die sie hatte, zum Beispiel die Besteuerung zu organisieren. Ich glaube, dafür bedarf es einer europäischen Anstrengung. Es hätte so sein müssen. Es darf nicht sein, dass die Reichen das Geld außer Landes bringen. Das muss gleich wieder zurückgeführt und besteuert werden, damit die Schulden reduziert werden können zum Beispiel. Griechenland braucht erhebliche Unterstützung, braucht echte Reformen, nicht nur Austerität und Rosskuren. Das ist vorbei, die Zeit ist vorbei. Unterstützung durch Europa, wenn es denn in der Eurozone bleiben soll.
    "Letztlich kommen wir um einen Schuldenschnitt nicht umhin"
    Breker: Herr Thielemann, Sie haben darauf hingewiesen. Es verwundert doch eigentlich jeden, dass ausgerechnet eine linke Regierung offenbar nicht in der Lage ist, die reichen Griechen zur Kasse zu bitten.
    Thielemann: Ich habe das mal etwas recherchiert. Varoufakis ist gleich angetreten, seine erste Stellungnahme: Jetzt besteuern wir endlich die superreichen Griechen und verhindern, dass die in die Schweiz weiter auswandern. Die Schweiz hat ja auch angeboten, wir schicken das zurück, wobei man schon fragen muss, ob das tatsächlich die echten Gelder sind, die da geflossen sind. Okay. Aber dann hat Varoufakis Folgendes gesagt. Er hat gesagt, im "Tagesspiegel" hat er das gesagt: Die Troika hätte gesagt - und die regiert ja faktisch; Merkel und andere lassen ja die Troika sprechen -, wenn ihr das Kapital besteuert oder irgendwas unternehmt, was unseren Vereinbarungen zuvorkommt, brechen wir die Verhandlungen ab. So sagt Varoufakis. Das ist eigentlich eine unglaubliche Sache. Man sollte, so würde ich es formulieren, man sollte die Verhandlungsführer, eigentlich die politischen Kräfte, Merkel und so weiter, sollte man, sollte die öffentliche Meinung den Druck ausüben, warum übt ihr nicht wiederum oder helft der griechischen Regierung dabei, dass die Reichen ihr Geld zurückbringen, sodass das anständig besteuert werden kann, sodass zumindest von dieser Seite doch die Schuldenstände reduziert werden können, wobei letztlich kommen wir um einen Schuldenschnitt nicht umhin. Das sagen alle Ökonomen eigentlich.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung des Wirtschaftsethikers Ulrich Thielemann aus Berlin. Herr Thielemann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Thielemann: Vielen Dank auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.