Dirk Müller: Gedauert hat dieser Verhandlungsmarathon bis in die frühen Morgenstunden: Die Euro-Finanzminister konnten sich durchringen, noch einmal Ja zu sagen, Ja zu weiteren Hilfen für das angeschlagene Griechenland. Es geht um nicht weniger als 130 Milliarden Euro. Mit harten Bedingungen diesmal, wie aus Brüssel zu hören war. Die Details der Entscheidungen nun von Volker Finthammer.
Am Telefon ist nun der Wirtschaftswissenschaftler Professor Gustav Adolf Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn!
Gustav Adolf Horn: Guten Tag!
Müller: Herr Horn, werden wieder einmal Milliarden zum Fenster herausgeworfen?
Horn: Nein, sie sind nicht zum Fenster hinausgeworfen, denn sie werden Griechenland zumindest für einige Zeit wieder stabilisieren, Griechenland kann seine Schulden bedienen. Man muss sich ja nur vorstellen, was passieren würde, wenn dies nicht geschehen würde, dann würde tatsächlich der Staatsbankrott erklärt werden müssen. Darunter würden zunächst mal die Griechen selber leiden, weil der Staat kein Geld mehr hat, keine Gehälter mehr zahlen kann, die griechischen Banken würden zusammenbrechen und natürlich auch die Gläubiger im Rest des Euroraumes würden darunter zu leiden haben, weil sie ihre Forderungen einfach abschreiben müssten.
Müller: Aber es gibt ja geordnete Insolvenzen?
Horn: Es gibt bisher keine Insolvenzordnung. Die Insolvenz, hätte man jetzt dagegen entschieden, wäre ungeordnet verlaufen, das heißt, mit unabsehbaren Folgen. Und vor allen Dingen wäre natürlich die Gefahr sehr groß geworden, dass die Märkte in ihrer Verunsicherung als Nächstes dann Portugal meiden würden und damit auch die Entwicklung einsetzen würde, wie sie in Griechenland dann abgelaufen ist.
Müller: Also, ich muss das noch mal nachfragen, Herr Horn: Also, geordnete Insolvenz, klar, gilt bislang immer nur für private Betroffene. Sie halten das für Staaten definitiv für ausgeschlossen?
Horn: Ich halte das für Staaten für definitiv ausgeschlossen. Staatsanleihen sind eigentlich ordnungspolitisch sichere Anleiheformen eben im Unterschied zu Unternehmensanleihen, wo man natürlich mit dem wirtschaftlichen Risiko immer rechnen muss. Insofern ist das hier auch ein ordnungspolitischer Bruch, wäre es ein ordnungspolitischer Bruch, wenn man einen Staat innerhalb der Eurozone pleitegehen lassen will oder würde. Und das hätte unabsehbare Folgen für die Märkte. Europäische Staatsanleihen wären prinzipiell unsicherer als beispielsweise amerikanische, japanische oder englische.
Müller: Bei jedem Rettungspaket, und reden wir gerade über Griechenland, konzentrieren wir uns auf Griechenland, hören wir immer von der europäischen Politik, jetzt ist alles im Lot, jetzt ist alles auf den Weg gebracht und die Griechen haben bislang das, was wir von ihnen verlangt haben, bedient. Gestimmt hat das nie. Warum soll man diesen Entscheidungen noch vertrauen?
Horn: Nun, man darf natürlich nicht naiv sein. Es ist, dieser Schritt war jetzt notwendig, aber es wäre absolut illusioniert zu glauben, man hätte damit alle Probleme gelöst und jetzt sei alles in ruhigem Fahrwasser. Dazu ist die Strategie der Europäischen Union einfach auch zu unvollständig. Denn bisher glaubt man, dass allein durch massives Sparen tatsächlich man sich aus dieser Krise befreien kann. Das reicht aber nicht, denn man sieht ja, dass die Ziele immer wieder verfehlt werden, wenn man nur auf Sparen setzt. Die Ziele bestehen ja im Grunde genommen so, wie sie formuliert sind, einfach in Sparen plus Wachstum. Das Wachstum gibt es bisher nicht, im Gegenteil, es gibt nur Schrumpfung. Das heißt, man müsste dringend etwas für das Wachstum in Griechenland tun, will man wirklich seine Ziele erreichen.
Müller: Also kann man diese Ziele, die definiert werden, mit diesem Kreditprogramm nicht erreichen?
Horn: Auf keinen Fall! Ich habe da erhebliche Zweifel daran, dass man die 120 Prozent nur über ein Austeritätsprogramm erreichen wird. Das hat noch nirgends funktioniert, insbesondere dann, wenn das wirtschaftliche Umfeld auch nicht sehr günstig ist, weil ja in allen europäischen Ländern gespart wird. Wie soll dann Griechenland mit einer solchen Politik tatsächlich diese Sparziele erreichen? Ich halte das für illusionär!
Müller: Also, demnach brauchen wir einen Marshallplan?
Horn: Wir brauchen eine Art Marshallplan. Nicht in dem Sinne, wie wir in Deutschland nach dem Krieg einen gehabt haben, damals war Deutschland ja einfach zerstört, das ist in Griechenland Gott sei Dank nicht der Fall. Dieser Marshallplan müsste im Wesentlichen aus technischer Hilfe bestehen, schneller Aufbau eines Steuersystems, schnelle und effiziente Privatisierung, und dann ganz gezielt unter der Obhut der EU tatsächlich Infrastrukturinvestitionen vornehmen, die den Wachstumsprozess in Griechenland wieder ankurbeln.
Müller: Warum weiß Wolfgang Schäuble das nicht?
Horn: Wolfgang Schäuble weiß dies, seine Skepsis ist ja auch unübersehbar. Nur, er glaubt sicherlich, dass er das politisch in Deutschland nicht durchsetzen kann. Aber ich glaube, dass dies ein Irrtum ist. Die Deutschen sind sicherlich bereit, Griechenland auch Hilfen zu geben, damit Griechenland wachsen kann. Denn ohne Wachstum wird Griechenland sich aus dieser Krise nicht befreien können.
Müller: Herr Horn, wenn ich Sie richtig verstandne habe, ist das also, was wir jetzt im Moment erleben, alles nur ein Herumdoktern an den Symptomen?
Horn: Es ist im Grunde genommen nur eine halbe Strategie. Selbstverständlich muss ein Konsolidierungsprozess für Griechenland formuliert werden, aber wir brauchen mehr Geduld, wir brauchen einen gestreckten Konsolidierungsprozess und vor allen Dingen, wir brauchen dringend Wachstumsimpulse. Eine Wirtschaft, die um über sieben Prozent schrumpft, kann keine Sparziele erreichen.
Müller: Und ein Volk, was komplett das Vertrauen in die Regierung, in die Regierenden, vielleicht in die gesamte Politik zunehmend verliert … Gehen Reformen ohne das Volk?
Horn: Das zeigt sich ja auch in der Vergangenheit. Man braucht auch die politische Unterstützung für einen solchen Prozess. Und bei einer solchen Strategie, die das Volk eigentlich immer nur wirtschaftlich quält, ohne ihm eine Perspektive zu geben, ist natürlich die politische Unterstützung in keinster Weise gewährt. Und das geht ja auch über Wahlen hinaus: Selbst wenn die gegenwärtigen Regierungsparteien zusichern, all diese Reformen zu machen, nach der Wahl werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr so an der Macht sein. Und was sind dann all diese Versprechen wert?
Müller: Um das noch einmal auf den Punkt zu bringen: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man sagen – Sie haben von halb richtig oder von halber Strategie gesprochen, das heißt, alles das, was jetzt nicht gemacht wird, nämlich Investitionen ankurbeln, das ist ein großer Fehler und deswegen ist dieser Weg, der eingeschlagen wird, nicht vollständig –, dann hat die Politik doch versagt?
Horn: Die Politik hat insofern, ist auf halber Strecke stehen geblieben. Sie kann dort nicht stehen bleiben, will sie das Problem Griechenland wirklich lösen. Und sie muss insofern weiter gehen, will sie nicht komplett versagen, um die politische Unterstützung sowohl in den Nehmerländern als auch in den Geberländern, wenn man dort den Eindruck zunehmend bekommt, dass ein Fass ohne Boden sich auftut, tatsächlich wieder zu gewinnen.
Müller: Brauchen wir für diesen Investitionsplan, Marshallplan – wie auch immer definiert sprachlich – mehr Geld?
Horn: Wir brauchen wahrscheinlich gar nicht so viel Geld. Wir müssen einfach das Konsolidierungsprogramm strecken, das kostet zunächst mal einfach nur Geduld, man darf nicht so schnell sparen. Und zum Zweiten brauchen wir natürlich technische Hilfeleistung, das kostet aber nicht sehr viel. Und man muss ganz gezielte Investitionen machen in bestimmten Bereichen, das wird auch nicht sehr viel kosten. Es ist keine Frage des Geldes im Grunde genommen, es ist eine Frage der Geduld und des richtigen Verständnisses der Funktionsweise einer Gesamtwirtschaft.
Müller: Reden wir, Herr Horn, über die Rolle der Banken: Die Banken sind gefragt, der Schuldenerlass soll nun noch von 50 Prozent auf rund 53 Prozent steigen. Haben die Banken in dieser Situation eine konstruktive Rolle gespielt?
Horn: Nun ja, sie haben gepokert bis zum Schluss, würde ich sagen. Und es gab ja auch massiven Druck gegenüber den Banken, denn die EZB ist ja im Grunde genommen in Vorleistung getreten. Sie hat Liquidität geflutet in Banken, unendlich viel Liquidität zur Verfügung gestellt und dann konnte man von den Banken schlechterdings erwarten, dass auch sie einen Beitrag leisten würden. Dem haben sie sich jetzt offensichtlich gebeugt und insofern sehen wir jetzt einen signifikanten Beitrag der Banken und können nur hoffen, dass genügend Banken und Versicherungen und Hedgefonds vor allen Dingen zustimmen, um die benötigte Summe herbeizuschaffen.
Müller: Wir haben ja eben Stimmen vom Bundesverband der deutschen Banken gehört, das Wehklagen ist groß, die Banken reden von fast 70 Prozent insgesamt, was sie investieren müssen respektive an Verlusten akzeptieren müssen. – Eine Klage ohne Grund?
Horn: Also, sie ist auf jeden Fall überzogen. Denn die Banken rechnen natürlich so, als ob sie ihre Anleihen in unveränderter Form würden genießen können, das heißt, mit den Zinszahlungen, die sie am Anfang vereinbart haben. Das ist aber illusionär unter den gegenwärtigen Umständen, diese Gewinne sind einfach nicht realisierbar. Insofern ist eigentlich auch der Verlust geringer, den sie jetzt eigentlich in Rechnung stellen müssen.
Müller: Und die Bundesregierung hat effektiv diesen Druck auf die Banken ausüben können, das heißt, auch die Frage, eine konstruktive Rolle gespielt?
Horn: Ich denke schon, dass die Bundesregierung, aber auch sicherlich die EZB Druck auf die Banken ausgeübt hat, denn man wird sicherlich die Verbindung zwischen der Liquiditätsbereitstellung der EZB und dem Verhalten der Banken gezogen haben.
Müller: Und die EZB soll sich weiter zurückhalten?
Horn: Die EZB selber hat ja einen Beitrag geleistet. Sie wird auch darüber hinaus noch einen Beitrag leisten in dem Sinne, dass die Gewinne, die sie aus einem möglichen Verkauf griechischer Staatsanleihen bei höheren Kursen zieht und auch durch die Zinsgewinne, an die nationalen Regierungen abführt. Das müsste sie ohnehin irgendwann machen, insofern ist das Opfer nicht allzu groß. Aber ich denke, dass die Rolle der EZB sehr konstruktiv war.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Adolf Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Horn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist nun der Wirtschaftswissenschaftler Professor Gustav Adolf Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn!
Gustav Adolf Horn: Guten Tag!
Müller: Herr Horn, werden wieder einmal Milliarden zum Fenster herausgeworfen?
Horn: Nein, sie sind nicht zum Fenster hinausgeworfen, denn sie werden Griechenland zumindest für einige Zeit wieder stabilisieren, Griechenland kann seine Schulden bedienen. Man muss sich ja nur vorstellen, was passieren würde, wenn dies nicht geschehen würde, dann würde tatsächlich der Staatsbankrott erklärt werden müssen. Darunter würden zunächst mal die Griechen selber leiden, weil der Staat kein Geld mehr hat, keine Gehälter mehr zahlen kann, die griechischen Banken würden zusammenbrechen und natürlich auch die Gläubiger im Rest des Euroraumes würden darunter zu leiden haben, weil sie ihre Forderungen einfach abschreiben müssten.
Müller: Aber es gibt ja geordnete Insolvenzen?
Horn: Es gibt bisher keine Insolvenzordnung. Die Insolvenz, hätte man jetzt dagegen entschieden, wäre ungeordnet verlaufen, das heißt, mit unabsehbaren Folgen. Und vor allen Dingen wäre natürlich die Gefahr sehr groß geworden, dass die Märkte in ihrer Verunsicherung als Nächstes dann Portugal meiden würden und damit auch die Entwicklung einsetzen würde, wie sie in Griechenland dann abgelaufen ist.
Müller: Also, ich muss das noch mal nachfragen, Herr Horn: Also, geordnete Insolvenz, klar, gilt bislang immer nur für private Betroffene. Sie halten das für Staaten definitiv für ausgeschlossen?
Horn: Ich halte das für Staaten für definitiv ausgeschlossen. Staatsanleihen sind eigentlich ordnungspolitisch sichere Anleiheformen eben im Unterschied zu Unternehmensanleihen, wo man natürlich mit dem wirtschaftlichen Risiko immer rechnen muss. Insofern ist das hier auch ein ordnungspolitischer Bruch, wäre es ein ordnungspolitischer Bruch, wenn man einen Staat innerhalb der Eurozone pleitegehen lassen will oder würde. Und das hätte unabsehbare Folgen für die Märkte. Europäische Staatsanleihen wären prinzipiell unsicherer als beispielsweise amerikanische, japanische oder englische.
Müller: Bei jedem Rettungspaket, und reden wir gerade über Griechenland, konzentrieren wir uns auf Griechenland, hören wir immer von der europäischen Politik, jetzt ist alles im Lot, jetzt ist alles auf den Weg gebracht und die Griechen haben bislang das, was wir von ihnen verlangt haben, bedient. Gestimmt hat das nie. Warum soll man diesen Entscheidungen noch vertrauen?
Horn: Nun, man darf natürlich nicht naiv sein. Es ist, dieser Schritt war jetzt notwendig, aber es wäre absolut illusioniert zu glauben, man hätte damit alle Probleme gelöst und jetzt sei alles in ruhigem Fahrwasser. Dazu ist die Strategie der Europäischen Union einfach auch zu unvollständig. Denn bisher glaubt man, dass allein durch massives Sparen tatsächlich man sich aus dieser Krise befreien kann. Das reicht aber nicht, denn man sieht ja, dass die Ziele immer wieder verfehlt werden, wenn man nur auf Sparen setzt. Die Ziele bestehen ja im Grunde genommen so, wie sie formuliert sind, einfach in Sparen plus Wachstum. Das Wachstum gibt es bisher nicht, im Gegenteil, es gibt nur Schrumpfung. Das heißt, man müsste dringend etwas für das Wachstum in Griechenland tun, will man wirklich seine Ziele erreichen.
Müller: Also kann man diese Ziele, die definiert werden, mit diesem Kreditprogramm nicht erreichen?
Horn: Auf keinen Fall! Ich habe da erhebliche Zweifel daran, dass man die 120 Prozent nur über ein Austeritätsprogramm erreichen wird. Das hat noch nirgends funktioniert, insbesondere dann, wenn das wirtschaftliche Umfeld auch nicht sehr günstig ist, weil ja in allen europäischen Ländern gespart wird. Wie soll dann Griechenland mit einer solchen Politik tatsächlich diese Sparziele erreichen? Ich halte das für illusionär!
Müller: Also, demnach brauchen wir einen Marshallplan?
Horn: Wir brauchen eine Art Marshallplan. Nicht in dem Sinne, wie wir in Deutschland nach dem Krieg einen gehabt haben, damals war Deutschland ja einfach zerstört, das ist in Griechenland Gott sei Dank nicht der Fall. Dieser Marshallplan müsste im Wesentlichen aus technischer Hilfe bestehen, schneller Aufbau eines Steuersystems, schnelle und effiziente Privatisierung, und dann ganz gezielt unter der Obhut der EU tatsächlich Infrastrukturinvestitionen vornehmen, die den Wachstumsprozess in Griechenland wieder ankurbeln.
Müller: Warum weiß Wolfgang Schäuble das nicht?
Horn: Wolfgang Schäuble weiß dies, seine Skepsis ist ja auch unübersehbar. Nur, er glaubt sicherlich, dass er das politisch in Deutschland nicht durchsetzen kann. Aber ich glaube, dass dies ein Irrtum ist. Die Deutschen sind sicherlich bereit, Griechenland auch Hilfen zu geben, damit Griechenland wachsen kann. Denn ohne Wachstum wird Griechenland sich aus dieser Krise nicht befreien können.
Müller: Herr Horn, wenn ich Sie richtig verstandne habe, ist das also, was wir jetzt im Moment erleben, alles nur ein Herumdoktern an den Symptomen?
Horn: Es ist im Grunde genommen nur eine halbe Strategie. Selbstverständlich muss ein Konsolidierungsprozess für Griechenland formuliert werden, aber wir brauchen mehr Geduld, wir brauchen einen gestreckten Konsolidierungsprozess und vor allen Dingen, wir brauchen dringend Wachstumsimpulse. Eine Wirtschaft, die um über sieben Prozent schrumpft, kann keine Sparziele erreichen.
Müller: Und ein Volk, was komplett das Vertrauen in die Regierung, in die Regierenden, vielleicht in die gesamte Politik zunehmend verliert … Gehen Reformen ohne das Volk?
Horn: Das zeigt sich ja auch in der Vergangenheit. Man braucht auch die politische Unterstützung für einen solchen Prozess. Und bei einer solchen Strategie, die das Volk eigentlich immer nur wirtschaftlich quält, ohne ihm eine Perspektive zu geben, ist natürlich die politische Unterstützung in keinster Weise gewährt. Und das geht ja auch über Wahlen hinaus: Selbst wenn die gegenwärtigen Regierungsparteien zusichern, all diese Reformen zu machen, nach der Wahl werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr so an der Macht sein. Und was sind dann all diese Versprechen wert?
Müller: Um das noch einmal auf den Punkt zu bringen: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann man sagen – Sie haben von halb richtig oder von halber Strategie gesprochen, das heißt, alles das, was jetzt nicht gemacht wird, nämlich Investitionen ankurbeln, das ist ein großer Fehler und deswegen ist dieser Weg, der eingeschlagen wird, nicht vollständig –, dann hat die Politik doch versagt?
Horn: Die Politik hat insofern, ist auf halber Strecke stehen geblieben. Sie kann dort nicht stehen bleiben, will sie das Problem Griechenland wirklich lösen. Und sie muss insofern weiter gehen, will sie nicht komplett versagen, um die politische Unterstützung sowohl in den Nehmerländern als auch in den Geberländern, wenn man dort den Eindruck zunehmend bekommt, dass ein Fass ohne Boden sich auftut, tatsächlich wieder zu gewinnen.
Müller: Brauchen wir für diesen Investitionsplan, Marshallplan – wie auch immer definiert sprachlich – mehr Geld?
Horn: Wir brauchen wahrscheinlich gar nicht so viel Geld. Wir müssen einfach das Konsolidierungsprogramm strecken, das kostet zunächst mal einfach nur Geduld, man darf nicht so schnell sparen. Und zum Zweiten brauchen wir natürlich technische Hilfeleistung, das kostet aber nicht sehr viel. Und man muss ganz gezielte Investitionen machen in bestimmten Bereichen, das wird auch nicht sehr viel kosten. Es ist keine Frage des Geldes im Grunde genommen, es ist eine Frage der Geduld und des richtigen Verständnisses der Funktionsweise einer Gesamtwirtschaft.
Müller: Reden wir, Herr Horn, über die Rolle der Banken: Die Banken sind gefragt, der Schuldenerlass soll nun noch von 50 Prozent auf rund 53 Prozent steigen. Haben die Banken in dieser Situation eine konstruktive Rolle gespielt?
Horn: Nun ja, sie haben gepokert bis zum Schluss, würde ich sagen. Und es gab ja auch massiven Druck gegenüber den Banken, denn die EZB ist ja im Grunde genommen in Vorleistung getreten. Sie hat Liquidität geflutet in Banken, unendlich viel Liquidität zur Verfügung gestellt und dann konnte man von den Banken schlechterdings erwarten, dass auch sie einen Beitrag leisten würden. Dem haben sie sich jetzt offensichtlich gebeugt und insofern sehen wir jetzt einen signifikanten Beitrag der Banken und können nur hoffen, dass genügend Banken und Versicherungen und Hedgefonds vor allen Dingen zustimmen, um die benötigte Summe herbeizuschaffen.
Müller: Wir haben ja eben Stimmen vom Bundesverband der deutschen Banken gehört, das Wehklagen ist groß, die Banken reden von fast 70 Prozent insgesamt, was sie investieren müssen respektive an Verlusten akzeptieren müssen. – Eine Klage ohne Grund?
Horn: Also, sie ist auf jeden Fall überzogen. Denn die Banken rechnen natürlich so, als ob sie ihre Anleihen in unveränderter Form würden genießen können, das heißt, mit den Zinszahlungen, die sie am Anfang vereinbart haben. Das ist aber illusionär unter den gegenwärtigen Umständen, diese Gewinne sind einfach nicht realisierbar. Insofern ist eigentlich auch der Verlust geringer, den sie jetzt eigentlich in Rechnung stellen müssen.
Müller: Und die Bundesregierung hat effektiv diesen Druck auf die Banken ausüben können, das heißt, auch die Frage, eine konstruktive Rolle gespielt?
Horn: Ich denke schon, dass die Bundesregierung, aber auch sicherlich die EZB Druck auf die Banken ausgeübt hat, denn man wird sicherlich die Verbindung zwischen der Liquiditätsbereitstellung der EZB und dem Verhalten der Banken gezogen haben.
Müller: Und die EZB soll sich weiter zurückhalten?
Horn: Die EZB selber hat ja einen Beitrag geleistet. Sie wird auch darüber hinaus noch einen Beitrag leisten in dem Sinne, dass die Gewinne, die sie aus einem möglichen Verkauf griechischer Staatsanleihen bei höheren Kursen zieht und auch durch die Zinsgewinne, an die nationalen Regierungen abführt. Das müsste sie ohnehin irgendwann machen, insofern ist das Opfer nicht allzu groß. Aber ich denke, dass die Rolle der EZB sehr konstruktiv war.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Adolf Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Horn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.