Nein, er liegt nicht fertig ausgearbeitet in der Schublade der EU-Diplomaten in Brüssel. Der viel beschworene Plan-B für das Scheitern der Gespräche. Oft haben die Geldgeber zwar mit ihm gedroht – gleichgesetzt wurde das dann meist mit dem sogenannten Grexit. Dem Euro-Austritt Griechenlands. Doch die Frage lautet schlicht: Was passiert, wenn den Griechen tatsächlich das Geld ausgeht. Und das vielleicht schon nächste Woche? Der Wirtschaftswissenschaftler Gottfried Haber:
Kapitalverkehrskontrolle könnte eintreten
"Das würde das Land zuerst einmal ins Chaos stürzen. Es würde tatsächlich zu einer Plünderung von Bankomaten kommen. Es würde möglicherweise zu Streiks und Unruhen kommen, wenn der Bargeldkreislauf zusammenbricht. Das hätte auch ungeahnte gesellschaftspolitische Folgen und lässt sich schwer abschätzen. Am Beginn der Urlaubssaison ist diese Erwartung natürlich doppelt bitter, denn das würde auch die Tourismuswirtschaft in Griechenland, die jetzt schon schwer leidet, weiter schädigen."
Und die Vorboten sind bereits zu erkennen. Denn seit Wochen heben die Griechen ihr Geld bei den Banken ab, aus Angst, diese könnten über Nacht schließen oder die Ausgabe der Banknoten an den Automaten streng limitieren. Fachleute nennen solche Maßnahmen Kapitalverkehrskontrollen. Doch das Plündern der Banken setzt diese massiv unter Druck – mit Notkrediten werden sie von der Europäischen Zentralbank gestützt. So kommt der EZB beim Scheitern der Verhandlungen vielleicht die erste bedeutsame Rolle zu. Wie verhält sie sich? Werden die sogenannten ELA-Notkredite weiter gewährt und der Geldkreislauf damit am Leben erhalten? Immerhin belaufen sich die EZB-Hilfen bereits auf rund 90 Milliarden Euro.
Euro-Länder haben keine Hilfsmechanismen vorgesehen
Griechenland könnte in die Armut stürzen – und die Europäische Union würde dabei keinesfalls tatenlos zusehen können. So werden in den Europäischen Hauptstädten längst Hilfsmaßnahmen besprochen, doch offen bestätigen will das niemand.
Für die Euro-Länder sind keine festen Hilfsmechanismen vorgesehen, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Das macht die Lage nicht einfacher. Bei EU-Mitgliedsstaaten ohne Euro ist das anders: Die EU griff bereits Ungarn oder Rumänien mit Milliardenbeträgen unter die Arme.
Unterstützung Deutschlands wird auch bei Grexit bleiben
Denkbar wären – so sagen es Diplomaten - bilaterale Hilfen der großen Euro-Länder wie Deutschland oder Frankreich, weitere Kredite also – und zwar auf freiwilliger Basis. Das Ende des aktuellen Hilfspakets für Griechenland bedeutet also nicht automatisch, dass der deutsche Steuerzahler raus ist aus der Griechenland-Finanzierung. Von den bisher geleisteten Zahlungen einmal ganz abgesehen – denn die müssen vermutlich ohnehin abgeschrieben werden.
Es sind vor allem die Schulden bei EZB und IWF, die Griechenland in die Pleite ziehen. Aus rechtlichen und politischen Gründen ist es für beide Institutionen aber fast unmöglich, den Griechen ihre Schulden zu stunden, und so wird jede Überweisung zur Zitterpartie. Statt Athen direkte Kredite zu gewähren, könnten die anderen Eurostaaten dem IWF und der EZB deren Griechenland-Schulden abkaufen und beim eigenen Rettungsfonds bündeln. Und zwar zunächst Zins- und Tilgungsfrei – Faktisch ein weiterer Schuldenschnitt, bis die griechische Wirtschaft wieder wächst. Und auch hierbei könnte die EU helfen.
EU-Kommissionspräsident Jeanne Claude Juncker:
"Wir sind bereit, Griechenland 35 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Von jetzt an bis 2020, um die Wachstums- und Wirtschafts-perspektive Griechenlands zu verbessern".
"Wir sind bereit, Griechenland 35 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Von jetzt an bis 2020, um die Wachstums- und Wirtschafts-perspektive Griechenlands zu verbessern".
Strukturhilfe könnte Ansatz sein
Darin scheint der Schlüssel zu liegen, obwohl die Experten-Meinungen auch hier weit auseinandergehen. Juncker betont: Das sei bereits Teil der Vorschläge an Griechenland gewesen.
Dabei sprechen wir über sogenannte Strukturhilfen. Sie sollen das Gefälle zwischen wirtschaftsstarken und -schwachen Regionen Europas etwas auszugleichen. Mit Strukturfonds fördert die Europäische Union das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung in den Mitgliedstaaten direkt. Immer geht es darum, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Die Verteilung ist kompliziert und es gibt verschiedene Töpfe zum Beispiel für Agrarpolitik, Fischerei oder den Umweltschutz. Auch Hilfen für kritische Einrichtungen wie Krankenhäuser wären denkbar, müssten aber beschlossen und vorbereitet werden
Euro, Parallel-Währung und ihre Folgen
Griechenland könnte mit oder ohne den Euro in die Staatspleite rutschen. Hierfür gibt es verschiedene Szenarien. Der Euro bleibt und es kommt eine Art Parallel-Währung. Oder Griechenland verlässt die Eurozone ganz. Rechtlich ist das zwar nicht vorgesehen, wird aber dennoch seit Monaten als sogenannter Grexit diskutiert und durchgerechnet. Für die übrigen Eurostaaten hätte das keine bedrohlichen Auswirkungen mehr, meinen viele Experten. Dafür aber für das griechische Volk. Der Wirtschaftswissenschaftler Gottfried Haber im ORF:
"Das größte Problem wäre aber dann, dass diese neue Währung wahrscheinlich sofort ins bodenlose fallen würde, also im Ausland nichts wert wäre, die Importe für die Griechen enorm teuer würden, die Schulden sich dann mit der Drachme noch einmal neu multiplizieren würden und die Probleme nicht gelöst, sondern noch größer geworden sind."
Veränderung für EU-Sicherheitspolitik
Griechenland hinge also mit oder ohne Grexit weiter am Tropf der Internationalen Partner. So befindet sich Europa in einer Zwickmühle: Zeigt sich Europa nicht weiter solidarisch, könnte daraus auch ein handfestes Sicherheitsproblem erwachsen: Denn was, wenn Griechenland den Flüchtlingsstrom überhaupt nicht mehr kontrollieren könnte und was, wenn sich Athen auf der Suche nach neuen Geldgebern an Moskau bindet? Gespräche mit Russland hat es ja bereits gegeben.
Viele Unbekannten bestimmen nun also die kommenden Tage und Wochen und die verbliebenen Finanzminister der Euro-Zone - ohne den Griechen Yanis Varoufakis - beraten jetzt weiter über genau diese Folgen und vor allem darüber, wie die Euro-Zone insgesamt geschützt werden kann.
Zum Beispiel vor gegen den Euro wettende Spekulanten. Das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung ist gestört – und dennoch. Für Bundesbank-Präsident Jens Weidmann ist klar: Das Überleben des Euro sei nicht an die Entwicklung in Griechenland geknüpft. Mehrere Analysten sprechen gar von einem Segen für den Euro, weil dieser wieder an Stabilität gewinnen könnte. Allerdings könnte es auch Ansteckungseffekte geben, die es nun zu verhindern gilt.
Alle Beteiligten betreten gerade Neuland. Die nun mehr als wahrscheinlich gewordene Staatspleite Griechenlands, der mögliche Grexit eine Premiere. Es gibt keine Pläne, keine Vorgaben, keinen Präzedenzfall in der Eurozone. Es werden noch viele Krisen-Sitzungen folgen.