Die jüngere Generation habe gegen die Sparpolitik und damit auch eine aus ihrer Sicht perspektivlose Politik abwählen wollen, so Katsioulis. Außerdem wären die Inseln und bäuerlichen Regionen von der Sparpolitik stark betroffen, weswegen sie ebenfalls mit großer Mehrheit dagegen gestimmt hätten. In einer zweiten Gruppe, die mit Nein gestimmt hat, sieht Katsioulis jene, die nicht zu den Europa-Befürwortern zählen und vom Grexit aufgrund von Schulden im eigenen Land profitieren würden. Zuletzt zählt der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung noch die nationalsozialistische Partei Goldene Morgenröte zu denen.
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Die EZB hat bei ihrer Sitzung am Nachmittag beschlossen, die griechischen Geldhäuser weiterhin mit diesen Notkrediten zu versorgen. Eine Erhöhung dieser Mittel, auf die Athen drängt, hat der Rat der EZB aber abgelehnt. Also keine guten Nachrichten für Athen. Wie sieht man dort diesen Verhandlungen morgen entgegen? Wie ist die Stimmung in Griechenland inzwischen? Das kann ich Christos Katsioulis fragen, den Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Ist man immer noch stolz auf das Nein, oder inzwischen doch etwas nervös und ängstlich? Was herrscht da jetzt vor?
Christos Katsioulis: Eigentlich keines von beidem. Ministerpräsident Tsipras hat das gestern sehr geschickt aufgenommen, die Euphorie einerseits, aber deutlich gemacht, jetzt ist überhaupt keine Zeit, sich zu freuen. Jetzt ist Zeit, hart zu arbeiten und zu den Verhandlungen zurückzukehren. Und diesen Spirit hat er heute Morgen auch direkt gezeigt. Er hat sich mit allen Parteivorsitzenden außer denen von der nationalsozialistischen Partei zusammengesetzt und sie haben über sechs Stunden miteinander zusammengesessen und das Verhandlungsmandat diskutiert.
Zagatta: Mit diesem Nein sind jetzt aber für die Griechen auch ganz hohe Risiken verbunden. Gibt es denn mittlerweile Erklärungen, warum dieses Referendum so klar ausgegangen ist? Damit hat man ja offenbar auch nicht gerechnet.
Katsioulis: Es gibt unterschiedliche Erklärungen dafür. Zum einen zeigt sich, dass die jüngere Generation mit großer Mehrheit sich für dieses Nein entschieden hat, vermutlich aus den Gründen, dass die bisherige Sparpolitik für sie jede Zukunftsperspektive verbaut hat und sie damit deutlich machen wollten, das ist für uns eine perspektivlose Politik und wir können nicht unsere Zukunft abwählen, indem wir hier mit Ja stimmen. Das war der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass auf den Inseln und in den bäuerlichen Regionen diejenigen, die stark betroffen worden wären von diesen Maßnahmen, ebenfalls mit großer Mehrheit dagegen gestimmt haben. Und dann müssen wir noch zwei weitere Gruppen erwähnen, die sicherlich nicht zu den Pro-Europäern gehören. Das sind zum einen die, die ihr Geld im Ausland haben und Schulden im Inland und die von einem Grexit wahnsinnig profitieren würden, und dann natürlich die von der nationalsozialistischen Partei Goldene Morgenröte, die sich ebenfalls für dieses Nein ausgesprochen haben.
"Die ungeliebte EU gibt es in Griechenland nicht"
Zagatta: Jetzt hat sich eine deutliche Mehrheit für das Nein ausgesprochen. Aber alle gehen doch irgendwie davon aus, dass die ungeliebte EU, dass die Griechenland wieder mit weiteren Milliarden am Leben erhält. Wird das irgendwie auch hinterfragt? Ist das ein Thema, dass man da vielleicht auf Kosten von Nachbarn lebt, die man dann auch noch beschimpft?
Katsioulis: Das wird in Griechenland ganz anders gesehen. Die ungeliebte EU gibt es hier nicht. Über 80 Prozent der Griechinnen und Griechen wollen in Europa bleiben, wollen im Euro bleiben. Es wird sehr wohl wahrgenommen, dass man hier in einem Konflikt steht, aber das wird eher politisch gesehen als Konflikt. Die einzige Nation, die man sicherlich mehr ins Fadenkreuz genommen hat, ist Deutschland hier. Insbesondere die Person von Wolfgang Schäuble wurde genutzt, um zu mobilisieren, allerdings nicht von der Regierung selbst, sondern von Gruppen, die möglicherweise im selben Spektrum angesiedelt sind. Das war aber nicht die Kampagne der Regierung, die hier mit Wolfgang Schäuble als Blutsauger plakatiert hat.
Zagatta: Sie haben es anfangs gesagt: Ministerpräsident Tsipras hat sich mit den Parteien jetzt schon abgestimmt. Weiß man denn in etwa, was er in Brüssel vorschlagen will, wo es da noch Spielraum überhaupt gibt?
Katsioulis: Er möchte vermutlich eine klare Festlegung haben zu Strukturreformen. Die möchte er sicherlich vorweisen. Das wird etwas, was er auf den Tisch legen kann, und mit der Unterstützung der anderen Parteien ist das etwas, was wir bislang noch nicht erlebt hatten in dieser griechischen Krise. Seit 2010 musste die jeweilige Regierung immer sowohl im Inland als auch im Ausland mit harten Gegnern kämpfen. Jetzt hat er zum ersten Mal breite parteipolitische Unterstützung und sie haben sich auf vier Punkte geeinigt. Das sind zum einen die Strukturreformen, das zweite ist ein Investitionsprogramm und das dritte ist die Diskussion über die Schulden-Restrukturierung, also Punkte, die uns bekannt sind, und dann natürlich die Frage, wie kann man mit den aktuellen Finanznöten des Landes umgehen. Das ist nichts Neues, aber es ist mit mehr politischem Backing versehen.
"Wir brauchen in irgendeiner Form Mechanismen der Kontrolle"
Zagatta: Und er geht davon aus, nichts Neues, aber dass die Gläubiger diesmal zustimmen werden?
Katsioulis: Die Frage ist, wie er deutlich macht, dass er sich an dieses Neue hält. Das wird die Frage sein, weil das Vertrauen ist auf ein Mindestmaß gesunken. Das heißt, wir brauchen in irgendeiner Form Mechanismen der Kontrolle und wir brauchen vor allem ein Bekenntnis von Alexis Tsipras zur Logik des Programms, nämlich Hilfe gegen Konditionalität. Solidarität und Solidität, diese zwei Punkte, die die Kanzlerin ja auch immer zusammengezogen hat, zu diesem Nexus hat er sich bisher noch nicht klar geäußert und das wäre ein Bekenntnis, was wichtig ist, was er dann aber auch mit konkreten Taten unterstreichen müsste.
Zagatta: Ein Hindernis ist vielleicht ausgeräumt in den Verhandlungen, indem dieser umstrittene Finanzminister Varoufakis seinen Rücktritt angekündigt hat. Ist der eigentlich freiwillig gegangen oder rausgeworfen worden? Wie erklärt man sich das in Athen?
Katsioulis: In Athen gibt es wie immer ganz viele Verschwörungstheorien. Fakt ist: Varoufakis hatte sich auch in der eigenen Regierung fürchterlich mit Kolleginnen und Kollegen verkracht. Da muss es in der letzten Woche sehr, sehr laut geworden sein. Insofern sind sie hier mit einem geschickten Schachzug ein Hindernis losgeworden, was sowohl die Konsensfindung innerhalb der Regierung als auch einer Übereinkunft mit den Gläubigern im Wege gestanden ist.
"Euklid Tsakalotos hat auch seine sehr ruhige und besonnene Art"
Zagatta: Neuer Finanzminister wird jetzt der Marxist Euklid Tsakalotos. Was ist denn von dem zu erwarten?
Katsioulis: Ich finde es schön, dass er immer mit Marxist vorangestellt wird und das überall jetzt auch in der deutschen Presse auftaucht.
Zagatta: So liest man das ja.
Katsioulis: Ja, ja. Er ist wohl marxistischer Ökonom, das ist richtig, aber er war bisher auch Chefunterhändler der griechischen Regierung. Er hat auch seine sehr ruhige und besonnene Art, ein ganz anderes Verhältnis zu den anderen Nationen aufgebaut. Das heißt, hier gibt es schon einen Gesprächsfaden und als neuer Finanzminister kann er das auch auf ein höheres politisches Niveau tragen, nämlich in die Eurogruppe, wo Griechenland ja bisher so ein bisschen das schwarze Schaf war durch die Art und Weise und weniger die Inhalte, die Varoufakis dort vorgebracht hat.
Zagatta: Christos Katsioulis, der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen, mit dem ich am Abend vor der Sendung jetzt telefonieren konnte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.