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Griechenland
"Diese Krise ist hausgemacht"

Egal wie die Griechen am Sonntag abstimmen, die griechische Regierung sei "so oder so am Ende", sagte Eckart Stratenschulte, Direktor der Europäischen Akademie Berlin, im DLF. Eine schnelle Lösung der jetzigen Situation werde es nicht geben, daran könnte auch eine mögliche Notregierung bei einem Tsipras-Rücktritt nichts ändern.

Eckart Stratenschulte im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sitzt gestikulierend auf einem Stuhl im Parlament in Athen, er ist umringt von Parlamentsmitgliedern.
    Eckart Stratenschulte: Grexit kann nur von Griechenland ausgehen. (Alexandros Vlachos, dpa picture-alliance)
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist Eckart Stratenschulte, der Direktor der Europäischen Akademie in Berlin. Schönen guten Tag!
    Eckart Stratenschulte: Ja, guten Tag!
    Barenberg: Alexis Tsipras, Herr Stratenschulte, betrachtet die Volksabstimmung als Ausweg aus seinem Dilemma. Führt es in Wahrheit so oder so in eine Sackgasse?
    Stratenschulte: Na ja, also wir haben es nach dem Referendum mit einer neuen Situation zu tun und mit einem alten Problem, und das alte Problem ist, dass Griechenland pleite ist und dass wir allerdings Griechenland nicht werden in die Verelendung schicken können. Niemand hat ein Interesse an einem XXL-Kosovo. Also muss in jedem Fall nach dem Referendum ein neuer Anlauf gemacht werden, um die Situation in Griechenland zu verändern. Aber bei beiden Möglichkeiten, wie das Referendum ausgehen kann – es gibt ja sogar noch eine dritte –, ist die Ausgangslage natürlich schwierig.
    Barenberg: Das heißt aber im Grunde genommen, dass doch alles bleibt, wie es ist und wie es bisher war?
    Stratenschulte: Na ja, das wird ja nicht möglich sein, weil das Land ja immer tiefer in die Krise rutscht. Und man kann da ja jetzt nicht weiter zuschauen und sagen, na, dann lassen wir es noch ein Jahr so. Also insofern muss etwas geschehen.
    Aber die Schwierigkeit ist, das kam ja in Ihren Berichten gerade schon raus: Wenn es ein Ja in dem Referendum gibt, dann ist der Weg für Verhandlungen offen, aber es gibt keinen Verhandlungspartner mehr, denn die Regierung Tsipras ist dann delegitimiert und wird diese Verhandlungen nicht führen können, auch nicht führen wollen.
    Das ist im Prinzip kein Verlust, aber als Alternative stehen natürlich auch nur die alten korrupten Eliten zur Verfügung, was die Situation nicht besser macht. Bei einem Nein ...
    "Notregierungen haben eine relativ kurze Lebensdauer"
    Barenberg: Lassen Sie uns gerade mal bei dieser Option, bei dem Ja bleiben. Wenn das für Sie feststeht, dass Tsipras dann zurücktreten muss und jedenfalls seine Regierung die Legitimität verloren hat, was halten Sie dann von dem, was sich in Athen abzuzeichnen scheint, dass es jetzt schon Gespräche über so etwas wie eine Notregierung, eine Regierung der Nationalen Einheit gibt, in der dann – frage ich Sie – auch Tsipras noch eine Rolle spielen wird?
    Stratenschulte: Die Frage ist, ob er das machen kann, aber unabhängig davon: Solche Notregierungen haben eine relativ kurze Lebensdauer. Das kann man machen für ein halbes Jahr, bis eine neue Regierung nach Neuwahlen im Amt ist.
    Man braucht allerdings ja einen Verhandlungspartner, der das, was vielleicht auch eine solche Notregierung aushandeln würde, dann über die Jahre hinweg umsetzt. Und wenn Sie jetzt eine Notregierung oder auch – immer sehr beliebt – eine Expertenregierung einsetzen, die auch zu Verhandlungsergebnissen kommt, Sie dann aber nach Wahl wiederum eine Regierung haben, die sagt, wir denken gar nicht daran, diese Ergebnisse umzusetzen, dann haben wir natürlich den Status quo ante.
    "Die Situation ist ausgesprochen schwierig"
    Barenberg: Also was wäre da der Ausweg? Denn Neuwahlen, das würde ja zunächst einmal vor allem eines bedeuten: Viel Zeit, die verstreicht, bis eine neue Regierung im Amt ist.
    Stratenschulte: Ja, die Situation ist ausgesprochen schwierig, und da kann man ja wirklich sagen, diese Krise ist hausgemacht. Wir haben es bei der Regierung Tsipras eben mit Menschen zu tun, die aufs Ganze gehen, die das zum Teil, wie Herr Varoufakis, auch sehr spielerisch sehen, und die eine Situation geschaffen haben, aus der es keine schnelle, einfache Lösung geben wird.
    Barenberg: Lassen Sie uns noch über die andere Option sprechen: ein Nein. Hieße das dann unweigerlich das Abrutschen in den Grexit sozusagen?
    Stratenschulte: Nun, der Grexit, also der Austritt Griechenlands aus der Eurozone, ist ja etwas, was nur von Griechenland ausgehen könnte. Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten, Griechenland auszuschließen. Aber man kann auch innerhalb der Eurozone pleite gehen.
    Bisher heißt es immer: Ein Staat kann nicht pleite gehen. Das stimmt auch, wenn der Staat über eigenes Geld verfügt, das er notfalls drucken kann. Diese Möglichkeit ist Griechenland aber versagt.
    Wenn es also zu einem Nein kommt, ist Tsipras innenpolitisch gestärkt, er hat aber damit ein Mandat, nicht zu verhandeln. Nur das verbessert natürlich die Situation nicht. Und dieses Mandat übersieht auch, dass es in den anderen 18 Eurostaaten ja auch Stimmungen gibt und dass es erhebliche politische Widerstände gibt, jetzt auf diese griechischen Forderungen mit der Begründung des Referendums einzugehen.
    "Griechen haben kein Vertrauen in eigene Regierung"
    Barenberg: Das klingt alles danach, als wäre Ihre Einschätzung: Also für die Menschen in Griechenland wird es jetzt unmittelbar nach dem Referendum und möglicherweise auch die nächste Zeit in jedem Fall noch härter als bisher?
    Stratenschulte: Für die Menschen, also für diejenigen, die nicht ihr Vermögen in Sicherheit gebracht haben, wird die Situation in den nächsten Monaten mit Sicherheit ausgesprochen bitter, egal wie das ausgeht.
    Interessant ist ja, dass die Griechen selber ja kein Vertrauen haben zur Politik ihrer Regierung und massiv Kapital abgezogen haben. Jeder, der irgendwie konnte, hat ja seine Euros schon unter der Bettdecke, wenn er weniger hat, oder auf einem Schweizer Konto, wenn er viel hat.
    Das ist ja auch ein Misstrauensbeweis, den die Bevölkerung da ihrer Regierung ausgestellt hat. Ja, die nächsten Monate werden auf jeden Fall sehr schwierig. Nichts desto trotz bedeutet es auch für die Europäische Union: Wir werden weiterhin nach einer Lösung suchen müssen, weil wir es uns nicht leisten können und auch nicht leisten wollen, dass Griechenland tatsächlich kaputtgeht.
    Barenberg: Viel Vertrauen ist da in den letzten Wochen und Monaten verloren gegangen. Wie kommen, ich sage mal, beide Seiten jetzt aus diesem Modus der Konfrontation überhaupt wieder heraus? Heißt das auch, dass die Seite der europäischen Partner in anderer Weise vielleicht Zugeständnisse wird machen müssen?
    Stratenschulte: Also ich glaube, diese Regierung, also die Regierung Tsipras/Varoufakis ist als Verhandlungspartner am Ende, so oder so. Entweder, sie verlieren das Referendum, also eine Mehrheit stimmt mit ja, dann sind sie so und so weg, oder aber sie gewinnen das Referendum und haben damit ja ihre Partner in einem hohen Maße vor den Kopf gestoßen, sodass sie eigentlich als Gesprächspartner nicht mehr zur Verfügung stehen. Ich glaube, die wirklichen Gespräche beginnen mit der Nachfolgeregierung.
    Fehlende Produktivität größtes Problem Griechenlands
    Barenberg: Sie haben eben gesagt, dass, wenn ich es recht in Erinnerung habe, politisch wie ökonomisch, dass wir uns das nicht leisten können, dass Griechenland ausscheidet aus der Eurozone.
    Nun sagen viele genau das: Es wäre für Griechenland die beste Lösung und nach einer Übergangszeit, nach einer Zwischenlösung von vielleicht 10, 15 Jahren könnte Griechenland wieder auf die Beine kommen wirtschaftlich und dann wieder Teil der Eurozone werden. Was halten Sie dieser Auffassung entgegen?
    Stratenschulte: Also ich habe nicht gesagt, dass Griechenland auf keinen Fall aus der Eurozone raus darf, ich habe nur gesagt: Wir können Griechenland nicht ausschließen. Aber es ist natürlich auf den ersten Blick bestechend, zu sagen: Griechenland geht aus dem Euro raus, führt eine eigene Währung ein, wertet die ab, hat damit wieder konkurrenzfähige Produkte – das ist ja das eigentliche Problem, die fehlende Produktivität in Griechenland – und kann sich aus der Krise rausarbeiten.
    Das ist möglich, allerdings nur, wenn wir gleichzeitig Griechenland entschulden. Stellen Sie sich vor, Griechenland führt die Drachme ein, die wertet um 50 Prozent ab, dann hätte man innenpolitisch eine Verbesserung der Situation, aber die Schulden hat man ja nach wie vor in Euro, die sind dann endgültig unbezahlbar. Also das geht nur unter der Bedingung, dass man Griechenland vollständig oder weitgehend entschuldet. Und dazu muss man natürlich in den anderen 18 Eurostaaten auch die Bereitschaft haben.
    Barenberg: Eckart Stratenschulte, der Direktor der Europäischen Akademie Berlin, heute Mittag hier live im Deutschlandfunk. Danke für Ihre Einschätzungen und Ihre Zeit!
    Stratenschulte: Herzlichen Dank an Sie!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.