Christoph Heinemann: Nach dem Präsidenten des Europäischen Parlaments reist heute der Chef der Eurogruppe nach Athen. Martin Schulz und Jeroen Dijsselbloem, beide wollen sich erkundigen, ob die neue Regierung in Athen zu den internationalen Verpflichtungen steht. Daran kann Zweifel bekommen, wer sich die ersten Maßnahmen der neuen Regierung anschaut: Rentenerhöhung, Einstellung im öffentlichen Dienst, die Privatisierung des Hafens von Piräus und des Energieversorgers Public Power Corporation gestoppt. Und dann die Außenpolitik: Mit einem Formelkompromiss haben die EU-Außenminister die Einigkeit in der Sanktionspolitik in der Ukraine-Krise gerettet und Vorbehalte der neuen Linksregierung in Griechenland überwunden. Die Minister der 28 EU-Staaten einigten sich nach diesen schwierigen Verhandlungen gestern in Brüssel auf die Verlängerung von bestehenden Reise- und Vermögenssperren für russische und ukrainische Staatsbürger. Eine Passage zu möglichen künftigen Sanktionen gegen Russland wurde auf griechischen Wunsch hin entschärft. - Über die erste Woche der neuen Regierung hat mein Kollege Reinhard Bieck mit dem CDU-Europapolitiker Michael Gahler gesprochen.
Reinhard Bieck: Also ich skizziere jetzt mal ganz grob die Ausgangslage: Griechenland will Geld von der EU, hat aber quasi so ein Vetorecht in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Da sitzt doch Athen an einem ziemlich langen Hebel, oder?
Michael Gahler: Das sehe ich grundsätzlich anders. Diese linksradikal-rechtspopulistische Regierung soll es nicht übertreiben. Sie ist ja durchaus mit ihren Äußerungen schon bisher unappetitlich genug gewesen und hat zum Glück heute noch mal die Kurve bekommen in Bezug auf die Beschlusslage des Außenministerrates. Sie haben ja weitgehend die entscheidenden Punkte zitiert. Zum Beispiel der Rat hat festgestellt den Nachweis fortgesetzter und zunehmender Unterstützung der Separatisten durch Russland, was Russlands Verantwortung unterstreicht. Und das gilt natürlich auch für alles das, was Russland vielleicht noch für die Zukunft plant, und ich unterstütze deswegen auch das, was eben der Außenminister gesagt hat, dass wir dann natürlich reagieren werden.
Und der Hebel, sage ich mal, der ist nicht gut ausgeprägt. Einmal ist Griechenland natürlich wirtschaftlich weiterhin genauso abhängig und eingebunden in die Solidarität der Partner und außenpolitisch ist dieses Veto eines, was nicht sehr weit trägt aus meiner Sicht. Man kann sich auch dann anlässlich einer Sitzung zu 27 vereinbaren, dass man weiter die Sanktionen verhängt, und dann möchte ich mal sehen, ob sich dann das Land, was nicht mitmacht, aktiv dagegen stellt. Das, glaube ich in der Gesamtbewertung, sollte auch diese neue Regierung nicht tun.
"Die entscheidenden großen europäischen Länder sind sich einig"
Bieck: Aber die EU stellt doch immer diese Maxime der Geschlossenheit in den Vordergrund und die wäre dann ja nicht mehr gegeben.
Gahler: Ja, im vordergründigen Bereich. Aber die entscheidenden großen europäischen Länder sind sich und bleiben sich in der Sache einig. Da bin ich doch zuversichtlich, wenn es hart auf hart kommt, und das heißt, wenn Russland tatsächlich weiter seine Aggressionen fortführt, also weiterhin zusätzliche Geländegewinne mit seinen Hilfstruppen, diesen Separatisten versucht zu erreichen.
Bieck: Sie sprechen Putin an. Es muss doch für den russischen Präsidenten ein gefundenes Fressen sein, dass sich mit Griechenland gerade so eine Art Wackelkandidat in der europäischen Front präsentiert. Ist das nicht eine besorgniserregende Entwicklung?
Gahler: Es ist natürlich schon besorgniserregend, wenn man Parteien in Regierungen bekommt, die sich so verhalten wie Tsipras oder Kotzias, der Außenminister, der neue, der sich mit dem Chefideologen Alexander Dugin schon vor Jahren getroffen hat, der ihn zweimal nach Piräus in die Universität eingeladen hat, also eindeutig ein sehr gewaltbereiter Ideologe, Herr Dugin, der Verteidigungsminister Kammenos, der antisemitische Äußerungen macht, Juden zahlen keine Steuern. Solche Äußerungen und solche Partner, die sind höchst unappetitlich. Das wäre so, als würde sich in Deutschland eine Koalition vielleicht von Frau Wagenknecht und Frau von Storch oder Herrn Pretzel und Herrn Riexinger ergeben und die würden anschließend dann gemeinsam Herrn Juncker beschimpfen und Herrn Putin in alle Höhen loben. Das wäre so in etwa der Vergleich, das kann man sich bei uns nicht vorstellen. Leider ist es in Griechenland dazu gekommen. Diese Regierung ist alles andere als stark. Ich rechne nicht mit einer langen Lebenszeit, wenn es so weitergeht mit Äußerungen und mit der Politik, die sie bisher angekündigt haben.
"Verloren haben die eigentlichen Sozialisten in Griechenland"
Bieck: Michael Gahler, sprechen wir doch mal über den Einfluss der neuen griechischen Regierung sozusagen im Innern der EU. Die Linken von Berlin über Lissabon und Rom bis Madrid sind ja begeistert. Der spanischen Podemos-Bewegung werden ja sogar Chancen eingeräumt, an die Regierung zu kommen. Ist Europa nach der Wahl in Athen auf dem Weg stramm nach links?
Gahler: Das glaube ich nicht. Schauen Sie mal genau hin. Herr Tsipras hat 36 Prozent bekommen und nur durch den Effekt, dass er 50 Sitze dazubekommt aufgrund eines seltsamen Wahlrechts, sieht er so stark aus. Die Nea Dimokratia von Herrn Samaras hat zwei Prozent verloren. Verloren haben die eigentlichen Sozialisten in Griechenland, das ist richtig. Aber auch in Spanien sind die Zahlen auf einem guten Weg und ich bin zuversichtlich, dass die spanische Regierung mit dem, was sie erreicht hat und was sie auch nachweisen kann, auch im Herbst dann gute Aussichten hat. Und in Italien ist ja durchaus eine Reformbereitschaft bei Herrn Renzi da. Das hat er auch der Kanzlerin in der letzten Woche gesagt. Also da beißt die Maus keinen Faden ab. Der Reformbedarf, der ist eigentlich von allen anerkannt, und so ein Wahlsieg einer sehr radikalen Partei, der deutet nur darauf hin, dass in Griechenland natürlich grundsätzlich einiges mehr im Argen ist als im Rest auch Südeuropas.
Heinemann: Der CDU-Europapolitiker Michael Gahler. Die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
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