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Griechenland
"Europa hat Handlungsfähigkeit bewiesen"

Der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann ist zufrieden mit der Einigung im griechischen Schuldenstreit. Jetzt solle Europa Griechenland dabei helfen, die soziale Balance wieder zu verbessern, sagte das Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung im DLF. Die falsche Leute hätten bisher bezahlen müssen.

Udo Bullmann im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Porträtfoto des Europaabgeordneten Udo Bullmann von der SPD.
    Der Europaabgeordnete Udo Bullmann (SPD) ist zufrieden mit der Eingung im Schuldenstreit mit Griechenland. (picture alliance / dpa / Thierry Monasse)
    Mario Dobovisek: Einer, der wahrscheinlich auch sehr gespannt sein wird, ist der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann, der mitgehört hat. Er sitzt im Europaparlament und dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Ich grüße Sie, Herr Bullmann!
    Udo Bullmann: Ja, schönen guten Morgen, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Wir reden ja nicht über eine wirkliche Lösung, wir reden ja über einen Aufschub von vier Monaten, den Griechenland gestern erhalten hat. Sind die Probleme bloß vertagt worden?
    Bullmann: Ja, sie sind zum einen ein bisschen vertagt worden, zum anderen hat Europa aber dennoch Handlungsfähigkeit bewiesen. Das sehen Sie an der Reaktion der Märkte: Sowohl in New York als auch der Kurs des Euro sind nach oben geschnellt, die Börsenkurse, der Eurokurs. Das ist ein Indiz dafür, dass Europa wieder etwas zugetraut wird. Man muss das ja auch manchmal von außen betrachten. Versetzen Sie sich mal in die Lage der US-Amerikaner, der Chinesen. Die fragen natürlich: Schaut euch doch mal an, Griechenland – das ist weniger als zwei Prozent eurer Wirtschaftskraft, und seit fünf Jahren macht ihr da rum und findet keine Lösung! Die glauben jetzt wieder ein Stück weit an Europa, und das ist gut so.
    "Das Volk hat gedarbt"
    Dobovisek: Athen muss ja schon, wir haben es gehört, am Montag eine erste Liste mit Reformen abgeben. Was sollte Ihrer Meinung nach draufstehen?
    Bullmann: Na, ich glaube, dass wir unterschätzen aus unserer deutschen Sicht, welche soziale Schieflage dort eingetreten ist. Wir reden immer so gern über die Pleitegriechen in ein bisschen hochnäsiger Art und Weise, und was wir dabei unterschlagen, ist, dass die falschen Leute die Preise bezahlt haben. Es waren ja durchaus auch unsere Finanzminister, die jahrelang weggesehen haben, wenn Millionäre ihr Geld ins Ausland gebracht haben, in die Schweiz oder nach London, und wenn sozusagen dann die Troika stattdessen die Mindestlöhne gekürzt hat und ein Viertel der Löhne nicht mehr ausgezahlt worden ist. Das Volk hat gedarbt. Und wenn Sie nach Athen gehen, in die Außenbezirke, dann sehen Sie dort nicht mehr Madrid und Sie sehen nicht mehr Lissabon, Sie sehen Beirut. Und das muss natürlich jede griechische Regierung, die einigermaßen Bestand haben will vor ihren Wählern, auf die Agenda treiben, und sie müssen versuchen, jetzt eine Verbesserung der sozialen Balance, ein Programm mit sozialem Augenmaß zu zimmern. Europa sollte ihnen dabei helfen.
    "Die Troika war ein Technokratenclub"
    Dobovisek: Hat die Troika versagt?
    Bullmann: Ja. Das ist ganz eindeutig, und das ist auch schon lange der common sense im Europäischen Parlament, und zwar nicht nur bei unseren Sozialdemokraten, bei der sozialdemokratischen Fraktion, ebenso bei den konservativen Kollegen. Die Troika war ein Technokratenclub, der sich politisch nicht vor dem Europäischen Parlament hat rechtfertigen müssen. Das war ein Fehler. Man hat auf abstrakte Zahlen gedrungen, man hat aber nicht die soziale Balance in den Programmen berücksichtigt. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Natürlich müssen wir darauf dringen, dass Griechenland den Haushalt konsolidiert, natürlich müssen sie einen Überschuss im Haushalt erwirtschaften – aber müssen sie denn in der Tat die Hafenanlagen in Piräus an die Chinesen verkaufen, weil diese Hafenanlagen gerade Gewinne bringen in den Staatshaushalt? Ist das dringend erforderlich, dann zu den billigsten Preisen das Tafelsilber zu verschrotten? Ich sehe das nicht ein.
    "Die schlimmsten Auswirkungen im sozialen Kahlschlag sanieren"
    Dobovisek: Ist ja auch eine Debatte, die wir durchaus in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geführt haben und vielleicht auch in die falsche Richtung gegangen sind, aber das ist eine Maßnahme, die Sie ansprechen, welche zwei anderen Maßnahmen wären unter den Top drei, die Sie auf der Liste am Montag sehen wollen?
    Bullmann: Na ja, auf der einen Seite muss man schon sagen, dass die Finanzminister so klug waren, auch mehr Spielraum zu lassen für die griechische Regierung. Der Haushaltsüberschuss soll intelligenter bemessen werden an der realen ökonomischen Lage, die natürlich weiterhin desaströs ist. Das gibt ihnen die Möglichkeit, die schlimmsten Auswirkungen im sozialen Kahlschlag zu sanieren. Ich denke, dass das Gesundheitswesen da oben anstehen muss. Immer weniger Griechen können sich noch leisten, sich ärztlich behandeln zu lassen. Es gibt immer mehr Kinder, die ohne warme Mahlzeit auskommen müssen, die Schwierigkeiten haben, den Schulalltag noch zu bewältigen. Das sind ganz sicherlich Spitzen des Eisberges, wo eine vernünftige griechische Regierung nachsteuern muss. Das steht sozusagen auf der Liste der Dinge, die auch aus sozialem Interesse nachgebessert werden müssen.
    Auf der anderen Seite – das hat Frau Riedel schon zu Recht benannt: Kampf gegen die Korruption, Kampf gegen Steuerhinterziehung muss das Thema Nummer eins sein, weil auf die Art und Weise kommt mehr soziale Gerechtigkeit ins Land und auf der anderen Seite auch mehr Geld in die Staatskasse.
    Dobovisek: Während die Verhandlungen in Brüssel liefen, brachte die griechische Regierung einen Steuerschuldenerlass für Wirtschaft und Bürger auf den Weg. Die Hälfte der Steuerschuld soll demnach wegfallen. Ist das das richtige Signal?
    Bullmann: Nein, das ist zu undifferenziert. Man muss unterscheiden zwischen der Situation der kleinen Leute, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können, die kurz vor Pfändungen stehen. Da macht es keinen Sinn, sie noch aus ihren Wohnungen zu werfen, weil die Verelendung damit weiter fortschreitet. Diese Situation muss man deutlich unterscheiden von der Situation der notorischen Steuerhinterzieher, der Tankerkönige, die immer noch keine anständigen Steuern bezahlen. Hier ist ohne Unterlass dringend Handlungsbedarf anzumelden. Und ich sehe aber auch, dass die griechische Regierung das selber betreiben will.
    Dobovisek: Ungewöhnlich deutlich hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble diese Woche den griechischen Antrag auf Verlängerung des Hilfspakets zunächst abgelehnt in einer sehr kurzen Pressemitteilung. Ihre Partei, die SPD, hat ihn sofort dafür kritisiert. Hat erst sein harter Kurs am Ende den gestrigen Kompromiss gebracht?
    Bullmann: Nein, das glaube ich nicht. Auch alle anderen Finanzminister hätten darauf gedrungen, dass Griechenland weiter konsolidiert. Ich habe das nicht für hilfreich gehalten, dass Herr Schäuble in dieser Weise – sowohl in der Form als auch im Inhalt – am Thema vorbeiläuft. Ich glaube, dass da auch ein bisschen Schützenhilfe dabei ist für seine spanischen und portugiesischen Parteifreunde, die ja dieses Jahr noch Wahlen haben und überhaupt kein Interesse daran haben, dass Griechenland Erfolg hat bei dieser sozialen Balance. Sie selber haben Programme unterschrieben, die auch entsprechende Auswirkungen in ihren Ländern haben und sie haben natürlich Angst vor der politischen Konkurrenz.
    Dobovisek: Aber offensichtlich hat sein harter Ton ja gefruchtet.
    Bullmann: Ich weiß nicht, ob man das fruchten nennen kann. Wenn wir das anschauen, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist es nicht weit weg von dem, was die Kommission selber in ihren Papieren vorgeschlagen hat. Man hätte das alles ein wenig früher haben können.
    "Deutschland würde Austritt nicht so eben schlucken"
    Dobovisek: Jetzt sind die Probleme also vier Monate vertagt worden mit der Hoffnung auf eine Lösung während dieser vier Monate. Hat denn Griechenland nach wie vor das Potenzial, die Eurozone zu spalten, wenn wir uns zum Beispiel den Streit allein in der Großen Koalition angucken, den wir jetzt beobachten durften, und auch den Streit zwischen Bundesregierung und EU-Kommission?
    Bullmann: Also es gab ja keinen richtigen Streit in der Großen Koalition. Es gab eine Meinungsverschiedenheit zu dieser konkreten Frage. Es gab eine Meinungsverschiedenheit zwischen Juncker und Schäuble, wie man diesen Problempunkt löst. Und ich finde, Herr Juncker hat sehr deutlich gemacht an der Stelle, dass wir nicht ohne Not die Eurozone auf den Kopf hauen. Ich meine, Herr Schäuble hat da auch mitunter ein zu sehr kleines Karoverständnis davon, was insgesamt auf dem Spiel steht. Ich glaube nicht, dass Deutschland einen Austritt Griechenlands so eben schlucken würde. Es sind immerhin noch 80 bis 100 Milliarden deutsches Geld, die da drin liegen. Ich glaube nicht, dass er das abschreiben möchte. Ich glaube auch nicht, dass wir in der gegebenen Situation in Europa einfach haben wollen, dass kein Vertrauen mehr in die Eurozone besteht. Der politische Flurschaden – auch angesichts der Krisen in dieser Welt, der Krisen zwischen Russland und der Ukraine – wäre viel zu groß, als dass wir hier leichtfertig agieren dürfen. Ich glaube, die Diskussion, die wir jetzt führen, ist eine dringend erforderliche, auch um eine bessere soziale Balance unserer Modernisierungsprogramme.
    Dobovisek: Udo Bullmann, der Chef der SPD-Abgeordneten am Europaparlament, hier im Deutschlandfunk-Interview. Ich danke Ihnen, Herr Bullmann!
    Bullmann: Ich danke auch, schöne Grüße!