Klaus-Peter Willsch gehörte zu denjenigen Unionspolitikern im Bundestag, die von Anfang an gegen die Finanzhilfen für Griechenland gestimmt haben. Dass jetzt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble einen Schuldenschnitt für das Land offenbar doch mittragen wolle, nannte Willsch wenig überraschend.
Wenn man jemandem alle Schulden abnehme und er verändere sein Leben nicht, habe er bald wieder neue Schulden, sagte Willsch im Deutschlandfunk. Da die Hilfsgelder über Jahre zins- und tilgungsfrei gestellt worden seien, sei man nahe bei der Schenkung gewesen; man traue sich nur nicht, das dem Bürger gegenüber zu bekennen. Eine Haftungsunion, in der alle EU-Länder für die Schulden der anderen haften, hätten die Deutschen eigentlich immer ausgeschlossen.
Willsch sagte, Griechenland müsse geordnet aus der Eurozone ausscheiden. Man brauche eine Gläubigerkonferenz, wie man sie auch bei der Insolvenz von Unternehmen einberufen würde, um zu schauen, "was da ist". Dann könne man sich auf eine Quote für einen Schuldenschnitt einigen; von Griechenland sei wohl deutlich weniger als 50 Prozent zu erwarten.
Widerstand in Fraktion könnte zunehmen
Willsch kritisierte, dass die EU-Finanzminister an ihrem Kurs festgehalten hätten: "Es ist, wenn man den ersten Schritt auf die schiefe Ebene gemacht hat, unheimlich schwer, wieder festen Grund unter die Füße zu kriegen", sagte er im DLF. Man müsse jetzt das eingestehen, dass man den falschen Weg beschritten habe.
Der CDU-Politiker rechnet damit, dass der Widerstand auch in seiner Fraktion im Bundestag zunehmen werde. Gegen die erste Griechenland-Rettung seien sie noch zu viert gewesen, das letzte Mal seien es 60 oder 70. "Wenn das so weitergeht vom Wachstum derjenigen, die sich weiterem Geldversenken in der griechischen Ägäis verweigern, dann sind wir bei Griechenland 4 oder 5 spätestens in der Mehrheit."
Das Interview im Wortlaut:
Dirk Müller: Das ist so scheibchenweise gekommen, in geringen Dosen, langsam alles so zum Vorschein gekommen. Einige sagen Salamitaktik dazu. Wolfgang Schäuble begeht offenbar den Dammbruch. Der Finanzminister hat gleich mehrfach in der vergangenen Woche signalisiert, dass er einen Schuldenschnitt, einen Schuldenerlass für Griechenland doch mitträgt, obwohl wir jahrelang gehört haben, dass die Rettung Athens nicht zulasten des Steuerzahlers über die Bühne gehen soll. 300 Milliarden Schulden hat Griechenland. Dafür steht die EU gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds gerade. Und nach sechs Jahren Rettungspaket über Rettungspaket dürfte dem Minister vielleicht klar geworden sein, dass es ohne Geschenke, ohne Schnitt offenbar nicht geht. Aber war das der Deal? War das das Versprechen der Politik für die milliardenschweren Hilfen? - Am Telefon ist nun der CDU-Finanz- und Haushaltspolitiker Klaus-Peter Willsch. Er hat im Bundestag gegen die Rettungspakete gestimmt. Guten Morgen.
Klaus-Peter Willsch: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Schuldenschnitt für Griechenland, Herr Willsch. Ist das Betrug oder ist das Politik?
Willsch: Das ist nicht besonders überraschend, wenn man sich die Dinge genauer anschaut. Es ist seit dem ersten Tag dieser sogenannten Griechenland-Rettung so, dass man davon ausgehen konnte, dass das Geld nicht zurückfließen wird. Aber das Entscheidende ist ja, was denn dann folgt. Wenn man jemandem die ganzen Schulden abnimmt und er verändert sein Leben nicht, dann hat er in kürzester Zeit wieder neue Schulden. Deshalb ist es auch bei einer Diskussion über Schuldenschnitte umso wichtiger, dass entweder klar der Austritt erfolgt Griechenlands aus der Eurozone und man sein Land selbst in Ordnung bringt oder eben klar gemacht wird, dass da nichts mehr kommen wird in Zukunft.
"Was wir brauchen, ist ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone"
Müller: Sie sagen, das Leben wird nicht geändert. Aber reden wir noch mal über Wolfgang Schäuble. Das heißt, Sie denken, dass er von Anfang an wusste, dass wir keinen einzigen Euro von dem wiedersehen, was wir nach Athen transferieren?
Willsch: Ob es kein einziger ist, das kann man noch nicht sagen. Ich habe schon damals 2010 gesagt, was wir jetzt brauchen, ist ein Ausscheiden, ein geordnetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Dann muss man eine Gläubigerkonferenz zusammenrufen und schauen, was da ist. Dann einigt man sich auf Quoten wie bei einer sonstigen Insolvenz auch, und bei den Staatsbankrotten der Vergangenheit kamen weniger als 50 Prozent raus. Hier in Griechenland wird es wahrscheinlich deutlich weniger sein.
Müller: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Sie gemahnt haben, einige mit Ihnen auch, aber warum es nur so so so wenige waren?
Willsch: Es ist halt, wenn man den ersten Schritt auf die schiefe Ebene gemacht hat, unheimlich schwer, wieder festen Grund unter die Füße zu kriegen. Man muss öffentlich eingestehen, dass der Weg, den man eingeschlagen hat, der falsche ist, und das fällt Menschen insgesamt schwer, Politikern auch. Ich habe ja ein Buch über die ganze Kiste geschrieben seit 2010, "Von Rettern und Rebellen". Dort habe ich das ausführlich beschrieben, wie das auch psychologisch funktioniert.
Müller: Das heißt, ganz Europa, alle verantwortlichen Finanzminister sind auf dem Holzweg?
Willsch: Ja! Das ist doch… Man kann das natürlich auch anders sehen. Es gibt welche, die wollen den Euroraum zu einem Transferraum umbauen, zu einem Raum, wo gemeinsam für Schulden gehaftet wird.
Müller: Also Haftungsunion?
Willsch: Ja. Wir haben das als Deutsche immer ausdrücklich ausgeschlossen.
Müller: Ja der Finanzminister auch.
Willsch rechnet mit Schuldenschnitt
Willsch: Ja. Aber es wird jetzt dazu kommen. Wir sind ja heute schon sehr weit drin. Sie haben eben aufgezählt die Summen, und das wird natürlich alles von öffentlichen Gläubigern heute verbürgt. Als wir reingingen in die Krise, hatten wir 80 Prozent private Gläubiger, 20 Prozent staatliche. Jetzt ist das Verhältnis umgekehrt. 80 Prozent der Schulden sind jetzt geschuldet gegenüber dem europäischen Steuerzahler, dem ESM, dem European Stability Mechanism, gegenüber dem EFSF, gegenüber dem IWF. Es sind nur noch öffentliche Gläubiger da. Man hat sich komplett in diese Rolle drängen lassen, und damit hat natürlich Griechenland auch einen Mords Hebel und kann sagen, ihr könnt doch gar nicht raus, was bedeutet das denn für euch, wenn wir die Schulden nicht zurückzahlen?
Müller: Verkauft, Herr Willsch, wurde das ja immer anders. Hat Wolfgang Schäuble damit die Öffentlichkeit getäuscht?
Willsch: Na ja, es wurde das Ganze angenehmer dargestellt als es in Wirklichkeit ist.
Müller: Also war getäuscht?
Willsch: Beharren Sie auf dem Wort?
Müller: Nein.
"Scheibchenweise mit der Wahrheit herausgerückt"
Willsch: Es ist scheibchenweise, wie Sie richtig sagen, immer nur mit der Wahrheit herausgerückt worden, wie auch jetzt wieder. Eigentlich sollte im Oktober klar sein, dass der IWF weiter drin ist. Wir sind jetzt eigentlich noch nicht so weit, sondern nur durch Zusagen, die vielleicht im Hintergrund gegeben worden sind, dass doch dann eine Schuldenerleichterung kommt, obwohl wir Rückzahlungen erst ab 2022/23 haben. Es ist ja alles zins- und tilgungsfrei gestellt. Das sind ja Traumkonditionen. Und wenn jetzt noch mal weiter verschoben wird auf 80 Jahre Rückzahlung, dann ist das doch alles schon sehr nahe bei der Schenkung. Man traut sich nur nicht, das dem Bürger gegenüber öffentlich so zu bekennen.
Müller: Und Wolfgang Schäuble ist dann mit großer Wahrscheinlichkeit ja nicht mehr Finanzminister. Dann ist er fein raus. - Jetzt haben Sie eben gesagt, die Griechen haben ihr Leben nicht verändert. Wenn wir das lesen jeden Tag, was in Athen alles passiert - Widerstand, Proteste und so weiter, die schwierige Situation, die schwierige Rolle von Alexis Tsipras, dem Regierungschef, dem Ministerpräsidenten dort - dann gibt es doch Anstrengungen der Regierung, dieses Land zu reformieren, viel zu sparen, viel zu kürzen. Das haben Sie bisher nicht so gesehen?
Willsch: Nein. In Griechenland sind die Gehälter im öffentlichen Dienst - 2010 ging es los, ich erinnere Sie - bis 2013 weiter nach oben. Jetzt nur mal ein aktuelles Beispiel: Wir haben das letzte Mal, als wir im Sommer 2015 über Griechenland III debattierten, gehört, dass jetzt dieser neue Privatisierungsfonds kommt, und der sitzt außerhalb von Griechenland, der sollte in Brüssel angesiedelt werden und sollte 50 Milliarden Volumen bringen. Wir sind bei zwei, drei Milliarden inzwischen, und auch beim Aufbau der Strukturen des Privatisierungsfonds tut sich nichts. Das ist ein typisches Beispiel dafür. Es wird Mords lamentiert und es werden Erklärungen abgegeben, aber es wird nachher nichts umgesetzt oder nur ein Bruchteil von dem. Immer nur so viel, dass man wieder den anderen erlauben kann, vor ihre Öffentlichkeit zu gehen - habt ihr nicht die Demonstrationen in Athen gesehen, die haben da furchtbar viele Anpassungen vorgenommen. In Wirklichkeit hat sich nichts geändert.
"Sind bei Griechenland IV oder V spätestens in der Mehrheit"
Müller: Sie waren ja seit Jahren im Widerstand in der eigenen Fraktion. Jetzt diese Nachricht: Ab 2018, sagt Schäuble ja jetzt dann, können wir über einen Schuldenschnitt, über Schuldenerleichterungen reden. Wird sich was ändern in der CDU, in der Union?
Willsch: Ich gehe mal davon aus. Wir waren am Anfang vier, die gegen die erste Griechenland-Rettung gestimmt haben in der Fraktion. Das letzte Mal waren es zwischen 60 und 70, die nicht mitgestimmt haben. Wenn das so weitergeht vom Wachstum derjenigen, die sich weiterem Geldversenken in der griechischen Ägäis verweigern, dann sind wir bei Griechenland IV oder V spätestens in der Mehrheit.
Müller: Der CDU-Finanz- und Haushaltspolitiker Klaus-Peter Willsch. Danke, dass Sie heute Morgen für uns Zeit gefunden haben. Noch einen schönen Tag.
Willsch: Ihnen auch und Ihrem Publikum. Danke, Herr Müller.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.