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Griechenland-Hilfen
"Es wäre ein wichtiges Signal gewesen"

Der Ökonom Alexander Kritikos kritisiert die Entscheidung der Euro-Finanzminister, Griechenland keine weiteren Hilfsgelder freizugeben. Die erneute Verschiebung könne Unsicherheiten schüren und sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken, sagte er im Deutschlandfunk.

Alexander Kritikos im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Die Fahnen von Griechenland und der Europäischen Union
    Griechenland braucht frisches Geld, doch Hilfsgelder aus der EU werden wieder zur Hängepartie. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Sina Fröhndrich: Zum 15. Mal werden die Renten gekürzt. Griechenland muss sparen - vergangene Woche hat das Parlament mal wieder Sparmaßnahmen beschlossen - in Milliardenhöhe. Das war die Voraussetzung für neue Kredite aus Brüssel. Aber: Die Euro-Finanzminister haben vergangene Nacht anders entschieden - es gibt erst einmal kein Geld für Griechenland. Weil sich die Minister und der Internationale Währungsfonds nicht einig sind, ob und wie man die griechische Schuldenlast drücken könnte. Im Juni will man noch einmal sprechen, im Juli braucht Athen neues Geld - es wird mal wieder eine Hängepartie. Darüber sprechen wir mit dem Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Griechenland hat geliefert – wäre es nicht fair gewesen jetzt auch weitere Hilfsgelder freizugeben?
    Alexander Kritikos: Ich denke, es wäre vor allen Dingen ein wichtiges Signal gewesen in die griechische Bevölkerung hinein. Zum einen, dass die Bevölkerung das Gefühl bekommt, für die erneute Sparrunde bekommen sie zumindest auch diese Tranche freigeschaltet. Auf der anderen Seite ist für mich allerdings noch eine ganz andere Frage zentral, nämlich: Inwieweit wird durch diese erneute Verschiebung wieder Unsicherheit geschürt und inwieweit wird das sich wieder auf das Wirtschaftswachstum negativ auswirken. Die EU hat ja eine Zielvorgabe von zwei Prozent sich vorgestellt, dass Griechenlands Wirtschaft wächst. Mit solchen Verzögerungen wird man dann nicht hinkommen.
    Fröhndrich: Und daran anknüpfend, neben der wirtschaftlichen Schwäche Griechenlands, weil Sie auch die Unzufriedenheit beziehungsweise das Signal an die Bevölkerung angesprochen haben, entsteht da auch eine soziale Krise?
    Kritikos: Eine soziale Krise gibt es letztlich ja schon seit langer Zeit. Die hohe Arbeitslosigkeit von 25 Prozent, die Tatsache, dass viele Arbeitslose völlig aus dem Netz herausfallen, es gibt keine soziale Absicherung nach der Arbeitslosenversicherung nach dem ersten Jahr, all das bedeutet ja bereits, dass es eine soziale Krise gibt, und das führt auch dazu, dass man immer wieder auf andere Punkte hinweisen muss, insbesondere zum Beispiel, dass man es in Griechenland nach sieben Jahren Sparpolitik immer noch nicht geschafft hat, ein soziales Sicherungssystem einzuziehen für genau diejenigen, die davon betroffen sind.
    In Verhandlungen verzettelt
    Fröhndrich: Sie haben jetzt gerade gesagt, sieben Jahre Sparpolitik. Jetzt hat man tatsächlich das Gefühl, wenn man über Griechenland spricht, wir sprechen über Treffen in Brüssel, über neue Hilfsgelder, wir sprechen über Sparpakete im griechischen Parlament. Haben Sie irgendwie das Gefühl, dass es einen gesamten Plan für Griechenland gibt? Das wirkt ja alles, um ehrlich zu sein, ein bisschen wie ein Herumdoktern. Aber einen großen Plan für Griechenland gibt es eigentlich nicht, oder doch?
    Kritikos: Aus meiner Sicht kann man ihn tatsächlich nicht mehr erkennen. Das einzige Ziel, was die Gläubiger derzeit verfolgen, ist eben, dass Griechenland einen ausgeglichenen Staatshaushalt hat und nach Möglichkeit auch noch einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent jedes Jahr produziert. Dass man damit die privaten Wirtschaftskräfte weiterhin abwürgen wird und dass man insbesondere sich eigentlich keine Gedanken macht, wie man die privaten Wirtschaftskräfte stärken kann, sodass tatsächlich auch Wirtschaftswachstum in Griechenland in der Zukunft eintreten kann, das alles fehlt letztlich und es fehlt in den letzten zwei Jahren noch viel mehr als zuvor. Man hat sich letztlich in diesen Verhandlungen um Staatseinnahmen und Staatsausgaben letztlich aus meiner Sicht verzettelt. Man hat falsche Prioritäten gesetzt und alles, was außerhalb der griechischen Staatseinnahmen und Staatsausgaben liegt, völlig aus dem Fokus verloren.
    "Der Tourismus ist sicherlich ein wesentlicher Faktor für Griechenland"
    Fröhndrich: Angenommen man würde die Prioritäten jetzt wieder anders setzen, wie könnte man denn Griechenland wieder dazu verhelfen, wirtschaftlich irgendwann vielleicht mal auf eigenen Beinen zu stehen? Welche Potenziale sehen Sie denn da außer im Tourismus vielleicht?
    Kritikos: Der Tourismus ist sicherlich ein ganz wesentlicher Faktor für Griechenland. Aber wir wissen auch, dass es in Griechenland durchaus eine kleine Hightech-Branche im IT-Bereich gibt, dass es durchaus ausbaufähige Kompetenzen gibt in anderen Bereichen – sei es Pharma, sei es zum Beispiel auch Energieproduktion. Das sind alles kleine Pflänzchen, die man in den letzten sieben Jahren eigentlich überhaupt nicht gehegt hat, und wenn es darum geht, was wäre ein größerer, ein Masterplan für Griechenland, dann muss man immer wieder auf zwei Dinge weisen. Zum einen gilt es, einfach Bürokratie abzubauen, Strukturen aufzubauen, die es für Investoren möglich machen, in Griechenland attraktiv zu investieren, und es gilt, diese zarten Pflänzchen an Innovation zu fördern.
    Fröhndrich: Aber warum passiert das nicht? Hat die griechische Regierung dafür kein Geld mehr?
    Kritikos: Dafür hat die griechische Regierung kein Geld, aber sie hat auch letztlich, muss man sagen, beide Prioritäten nicht. Man sieht aus meiner Sicht in der griechischen Regierung viel zu wenig, wie wichtig es wäre, Strukturreformen zu machen – außerhalb des Haushalts, Regulierung zu verbessern, aber auch zum Beispiel eine Justizreform anzugehen. Man hat aber auch keine Mittel, um so etwas wie einen Forschungssektor aufzubauen. Das was man immer wieder aber auch herausstreichen muss: Es verpasst auch die griechische Regierung selbst, immer wieder dies einzufordern. Mittel gäbe es dazu in Brüssel; man müsste einfach Konzepte entwickeln, um passend zu den Brüsseler Mitteln dann auch entsprechende Forschungs-Cluster aufzubauen.
    "Die Schuldenfrage ist inzwischen eher eine politische Frage"
    Fröhndrich: Ich würde gerne noch über einen Punkt sprechen. Umstritten ist, wie man mit den griechischen Schulden umgeht. Das ist vor allem umstritten zwischen dem IWF und auch Finanzminister Schäuble, sollte man den Griechen die Schulden erlassen. Würde das passieren, würde das eigentlich überhaupt noch etwas bringen, oder wäre das eher symbolischer Art?
    Kritikos: Aus meiner Sicht ist die Schuldenfrage inzwischen wirklich eher eine politische Frage geworden. Man hat vonseiten der europäischen Gläubiger eigentlich schon sehr viele Maßnahmen gemacht durch die Streckung der Tilgungszahlung, durch die Reduzierung der Zinsen. Hier liegt aus meiner Sicht wirklich eine politische Auseinandersetzung vor. Es geht darum, wer gewinnt und wer setzt sich durch. Für die wirtschaftliche Fortentwicklung Griechenlands steht dieser Punkt aus meiner Sicht nicht im Vordergrund. Es geht wirklich um Rahmenbedingungen, um institutionelle Sicherheit für Investoren in Griechenland und um ein Konzept, um die privaten Wirtschaftskräfte zu stärken.
    Fröhndrich: Und wenn man diese Rahmenbedingungen schaffen würde, ist das möglich, wenn die Griechen im Euro bleiben, oder wäre es sinnvoller, dass sie dann doch aus dem Euro austreten?
    Kritikos: Aus meiner Sicht wäre es nur sinnvoll, entsprechende Rahmenbedingungen zu verändern, wenn Griechenland im Euro bleibt. Denn der Euro ist ja auch eine Chance für griechische Unternehmen. Das ist eine ganz andere Währung, in der es mehr Investitionssicherheit für Unternehmen mit Wachstumspotenzial gibt. Würde Griechenland den Euro verlassen, dann hätte man hier ein zusätzliches Risiko mit dann wahrscheinlich permanent galoppierender Inflation. In einem solchen Umfeld investiert niemand wirklich ernsthaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.