"Wer jetzt glaubt, das ist jetzt das letzte Kapitel in der unendlichen Geschichte Griechenlands, wird sich bald eines besseren belehrt sehen", so Bosbach im Deutschlandfunk. Diesen Weg, so der CDU-Politiker, werde er nicht mitgehen.
Bosbach betonte, er kenne kein Land, das in den letzten Jahrzehnten so viel Unterstützung erhalten habe wie Griechenland. Das gelte sowohl für direkte Zahlungen, etwa aus dem Landwirtschaftsfonds der EU, wie auch für Kredite in Milliardenhöhe. Damit lasse sich das Problem einer schwachen Volkswirtschaft aber nicht lösen. Das zeige sich auch daran, dass die Situation in den vergangenen fünf Jahren nicht besser, sondern schlechter geworden sei.
Bosbach erinnerte daran, dass auch die Regierungen in anderen Krisenstaaten unpopuläre Entscheidungen hätten treffen müssen. Falls Griechenland aus der Eurozone austrete, müsse die EU dem Land bei der Umstellung auf eine neue Währung helfen, allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum. Dann müsse Griechenland das gleiche tun wie alle anderen auch: Nämlich zu lernen, auf der Grundlage der eigenen volkswirtschaftlichen Kraft zu leben.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Das ist nicht das Ende des Griechenland-Dramas. Aber dieses Ende ist möglicherweise nun in Sicht - na ja, zumindest ein vorläufiges Ende. Die griechische Vorschlagliste für Steuererhöhungen und Einsparungen ist in Brüssel gestern auf, na ja, sagen wir mal, Wohlwollen getroffen. Aber noch ist die Kuh nicht vom Eis.
Bei uns am Telefon Wolfgang Bosbach von der CDU. Guten Morgen, Herr Bosbach.
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Kapern.
"Die unendliche Geschichte Griechenland"
Kapern: Noch sind keine neuen Kredite für Griechenland freigegeben. Ist das für Sie eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Bosbach: Ja gut, meine Haltung ist bekannt. Ich muss sie auch nicht permanent wiederholen. Aber im Moment sieht es danach aus, dass es so sein wird am Ende, wie es seit fünf Jahren immer ist: Es wird bis zur letzten Sekunde verhandelt, es kommt dann zu einer Einigung, Griechenland unterschreibt das, was das Land unterschreiben muss, um an neues frisches Geld der Eurozone zu kommen. Dann müssen einige Parlamente, so auch der Deutsche Bundestag noch zustimmen der Auszahlung der letzten Tranche des zweiten Hilfspaketes von 7,2 Milliarden Euro, und dann wird man feststellen, dass Griechenland leider neues Geld brauchen wird, denn in den Monaten Juli und im August und in den Folgemonaten kommen sehr hohe Zins- und Tilgungsleistungen auf Griechenland zu. Das heißt, wer jetzt glaubt, das ist das letzte Kapitel der unendlichen Geschichte Griechenlands, der wird sich bald eines Besseren belehren lassen müssen.
Kapern: Deuten darauf die Äußerungen der Bundeskanzlerin mit Blick auf einen möglichen Schuldenschnitt schon hin?
Bosbach: Wir haben bis jetzt immer gesagt, einen Schuldenschnitt wird es nicht geben. Wir erzählen ja auch, na was heißt wir; ich habe das noch nie erzählt, aber die meisten erzählen ja auch, es sind nur Kredite. Bis jetzt haben wir ja noch nichts bezahlt und Griechenland wird diese Kredite auch zurückzahlen oder zurückzahlen können. Ich glaube nicht daran. Ich bin nicht mehr bereit, das zu erzählen, weil Griechenland mittlerweile einen Schuldenstand hat, der trotz Schuldenschnitt von über 100 Milliarden Euro zu Gunsten Griechenlands genauso hoch ist wie beim Ausbruch der Eurokrise. Griechenland wird mangels wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die Schulden niemals tilgen können. Das heißt, wir haben bis jetzt immer einen Schuldenschnitt, einen zweiten Schuldenschnitt ausgeschlossen. Der erste war zu Lasten privater Gläubiger und es gibt auch noch einen verdeckten Schuldenschnitt zu Lasten öffentlicher Gläubiger. Käme es wiederum zu einem Schuldenschnitt, dann wäre das genau das Gegenteil von dem, was wir den Wählerinnen und Wählern immer versichert haben, denn dieser Schuldenschnitt ginge dann zu Lasten der Steuerzahler in den anderen Eurostaaten.
"Auch andere Regierungen mussten höchst unpopuläre Entscheidungen treffen"
Kapern: Nun haben wir vor ein paar Minuten den früheren griechischen Außenminister Dimitrios Droutsas am Telefon gehabt, der noch mal darauf hingewiesen hat, obwohl er kein Parteifreund von Alexis Tsipras ist, mit welch großen neuen Belastungen Tsipras auf seine Griechen zugeht. Das summiert, wenn ich mich jetzt an die Zahlen richtig erinnere, sich auf die Summe von acht Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Eine Liste, die er dort vorgelegt hat mit Steuererhöhungen und Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge und so weiter. Ist das in Ihren Augen überhaupt nichts wert, wenn ein Ministerpräsident seinem eigenen Volk solche schweren Lasten aufbürdet?
Bosbach: Das ist das gleiche wert, wie es in den anderen Staaten auch war, die erhebliche Anstrengungen unternehmen mussten, um den Staatshaushalt zu konsolidieren. Das gilt nicht nur für die baltischen Staaten, das gilt auch für andere Staaten in der EU und in der Eurozone. Auch da mussten die Regierungen höchst unpopuläre Entscheidungen treffen, um Einnahmen und Ausgaben wieder ins Lot zu bringen.
Herr Tsipras, Herr Varoufakis und die anderen Helden in Griechenland haben sich doch selbst in eine ausgesprochen schwierige Lage manövriert, denn sie haben die Wahl gewonnen mit Wahlversprechen, von denen sie wissen mussten, dass Griechenland nie und nimmer aus eigener Kraft in der Lage sein würde, diese Wahlversprechen auch seriös zu finanzieren.
Kapern: Das soll ja anderen Parteien mit beispielsweise dem Versprechen der Einführung einer Ausländermaut auch schon so gegangen sein.
Bosbach: Wir sprechen jetzt über Griechenland. Meine Begeisterung über die Maut, können wir auch gerne drüber telefonieren, hält sich in Grenzen. Sie wissen, warum wir als CDU zugestimmt haben, weil das eine Bedingung für den Koalitionsvertrag der CSU war. - Jetzt weiter mit Griechenland. Jetzt ist die Regierung ins Amt gewählt worden und dann hat man versucht, die Steuerzahler aus anderen Ländern zur Kasse zu bitten für diese Wahlversprechen, und dieser Versuch ist nicht oder nicht in dem erhofften Maße gelungen und jetzt muss Tsipras sich ehrlich machen, muss vor das Parlament treten und muss sagen, wir müssen Maßnahmen ergreifen, die im Gegensatz zu dem stehen, was wir den Menschen bei den Wahlen versprochen haben, und das ist mit den von Ihnen erwähnten Belastungen verbunden.
Kapern: Und genau dazu scheint er doch bereit zu sein.
"Kein Land hat so viel Hilfe bekommen wie Griechenland"
Bosbach: Ja!
Kapern: Warum unterstützen Sie ihn dann nicht?
Bosbach: Ich versuche es noch einmal. Es gibt kein Land, in der Eurozone sowieso - ich kenne auch kein Land weltweit -, das so viele internationale Hilfe bekommen hat wie Griechenland. Das gilt für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Griechenland war jahrelang an der Spitze, gemeinsam mit Spanien, der Empfängerländer. Elmar Brok hat gestern gesagt, Griechenland hat über 100 Milliarden Euro in dieser Zeit bekommen. Jetzt ist Polen das größte Empfängerland, aber Griechenland ist immer noch an zweiter Stelle. Es geht nicht um Kredite; das sind echte Zahlungen an Griechenland, Kohäsionsfonds, Landwirtschaft und so weiter.
Griechenland hat mittlerweile etwa 240 Milliarden Euro Kredite von öffentlichen Gläubigern bekommen. Der Schuldenstand dürfte bei gut 320 Milliarden Euro insgesamt liegen. Griechenland hat einen Schuldenschnitt von 103 Milliarden Euro zu Lasten privater Gläubiger erhalten. In einer solchen Lage immer weitere Milliarden-Hilfen von der Eurozone zu erwarten oder zu verlangen, je nach Betrachtungsweise, bedeutet, dass ohne Ende gezahlt werden wird, genauer gesagt gezahlt werden muss, denn wir sind in folgender Situation: Griechenland sagt, wenn ihr wollt, wenn ihr gläubiger wollt, dass wir Zinsen und Tilgung leisten, dann müsst ihr uns schon das Geld dafür geben, damit wir diese Kredite zurückzahlen können, und damit setzen wir ein Finanzierungskarussell in Gang, von dem ich persönlich nicht glaube, dass sich das jemals zu Ende drehen wird. Wir werden immer weiter zahlen müssen. Wer das für richtig hält, der mag mit Ja stimmen. Ich werde diesen Weg jedenfalls nicht mitgehen.
Und dass unpopuläre Entscheidungen getroffen werden müssen, ist keine Spezialität des Parlaments in Griechenland. Denken Sie mal an die Regierung Schröder-Fischer. Die haben eine ganze Reihe von unpopulären Maßnahmen treffen müssen, weil wir beim Regierungswechsel Schröder-Merkel über fünf Millionen Arbeitslose hatten. Auch nicht alle Entscheidungen, die damals getroffen worden sind in Deutschland, haben den ungeteilten Beifall des Publikums bekommen.
Kapern: Herr Bosbach, eine Frage habe ich noch. Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Was ist falsch an diesem Satz?
Bosbach: Der Euro ist eine Währungseinheit. Der Euro ist nicht Europa. Es gibt viele Länder in Europa, die sind noch nicht einmal Mitglieder der Europäischen Union. Es gibt Mitgliedsländer der EU, die haben eine eigene Währung, stellen Sie sich das mal vor, wie Dänemark oder England. Selbstverständlich gehören die zu Europa. Europa ist für mich nicht in erster Linie eine Währungseinheit, sondern ist Frieden, ist Freiheit, ist Binnenmarkt.
Kapern: Solidarität auch?
Bosbach: Ja selbstverständlich! Deswegen habe ich ja gerade erwähnt: Kein Land hat so viel Solidarität erfahren wie Griechenland. Welches Land in der EU, Herr Kapern, kennen Sie, was in den letzten Jahrzehnten mehr finanzielle Hilfe bekommen hat als Griechenland?
"Problem einer ineffizienten Staatsverwaltung"
Kapern: Keines!
Bosbach: Sehen Sie. Und da kann man doch nicht ernsthaft sagen, die griechischen Probleme sind auf mangelnde Solidarität Europas zurückzuführen. Die Probleme Griechenlands liegen in einer leistungsschwachen Volkswirtschaft, die nicht genügend exportstark ist, nicht genügend wettbewerbsfähig ist, und deswegen sollte man auch nicht glauben, dass die ständige Zahlung von Milliarden zu Gunsten Griechenlands an diesen Problemen des Landes etwas ändert. Mit weiteren Milliarden-Zahlungen lösen Sie nicht das Problem einer ineffizienten Staatsverwaltung, und das gilt nicht nur für die Steuerverwaltung oder für fehlende Grundbücher.
Kapern: Und wenn Griechenland erst mal aus der Eurogruppe ausgetreten ist, dann braucht Brüssel keinen einzigen Euro mehr nach Athen zu überweisen.
Bosbach: Wenn Griechenland aus der Eurozone austreten sollte, wird man dem Land helfen müssen, weil nicht im Interesse der Regierung, sondern im Interesse von elf Millionen Griechinnen und Griechen. Dann wird man ihm helfen müssen bei der Überwindung der Umstellungsschwierigkeiten auf eine neue Währung, aber für einen begrenzten Zeitraum. Und dann muss Griechenland mit einer eigenen Währung exakt das machen, was alle anderen Länder mit einer eigenen Währung auch machen müssen, nämlich leben auf der Basis der eigenen volkswirtschaftlichen Kraft und der Steuern, die in dieser Volkswirtschaft erwirtschaftet werden, und man muss vor allen Dingen das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen, denn man wird nur dann wieder kreditfähig, wenn die Gläubiger auch die sichere Gewissheit haben, dass sie die Kredite, die sie ausreichen, eines Tages wieder zurückbekommen. Es fehlt Griechenland an dieser Marktfähigkeit. Wir nehmen jetzt Griechenland seit fünf Jahren vom Markt, wir finanzieren dieses Land mit erheblichen Mitteln der Eurozone und des IWF. Aber die Situation ist nicht besser geworden, sie ist vielmehr schlechter geworden, und das ist jedenfalls ein Sachverhalt, der unstreitig ist.
Kapern: Geben Sie mir die Chance, mich für dieses Gespräch zu bedanken und Ihnen einen schönen Tag zu wünschen, denn die Nachrichten rauschen heran. In wenigen Sekunden meldet sich der Kollege mit den aktuellsten Meldungen. Ich sage jedenfalls danke für das Gespräch und Ihnen einen guten Tag.
Bosbach: Das wünsche ich Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.