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"Griechenland ist schon lange insolvent"

Mit finanziellen Rettungsschirmen habe sich Europa zur Geisel Griechenlands und anderer Peripherieländer gemacht, sagt Wim Kösters vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut. Griechenland treibe eigene Reformen zu wenig voran und habe die Sparmaßnahmen nie zur eigenen Sache gemacht.

Wim Kösters im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Athen erwartet einen noch stärkeren Wirtschaftseinbruch, als bisher schon angenommen, und die Zweifel wachsen. Die Bundesregierung rechnet jetzt angeblich doch mit der Pleite Griechenlands. Die Fragen, die im Beitrag schon anklingen, können wir jetzt Professor Wim Kösters stellen, Vorstandsmitglied des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts. Guten Tag, Herr Professor Kösters.

    Wim Kösters: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Kösters, wie schätzen Sie das jetzt ein? Ist der Zeitpunkt jetzt gekommen, an dem man ohne eine Insolvenz Griechenlands nicht mehr weiterkommt?

    Kösters: Das haben ja Ökonomen schon seit langem gesagt, dass man um eine geordnete Insolvenz nicht herum kommt und man am besten frühzeitig Vorkehrungen treffen sollte und ein Verfahren für eine geordnete Insolvenz einführen sollte. Bisher stieß das ja immer auf taube Ohren, weil gesagt worden ist, Griechenland hat kein Insolvenzproblem, sondern Griechenland ist nur illiquide. Das stellt sich jetzt als eine Schutzbehauptung dar. Griechenland ist schon lange insolvent und hätte schon lange und bei den Beschlüssen des europäischen Gipfels beim letzten Mal ist man ja auch davon ausgegangen, dass Griechenland seine gesamten Staatsschulden in der bisherigen Form nicht zurückzahlen kann, und man hat ja da schon eine Umschuldung vorgenommen, die allerdings viel zu zaghaft war. Was jetzt erforderlich ist, ist eine viel größere Umschuldung, die dann auch Griechenland einen Neustart ermöglicht.

    Zagatta: Aber dieses geordnete Verfahren, das Sie anmahnen, das gibt es ja nicht. Was passiert, wenn Griechenland nein sagt, sich sperrt? Was passiert dann?

    Kösters: Ja dann gibt es eine ungeordnete Insolvenz, und das kann gewaltige Verwerfungen an den Kapitalmärkten zur Folge haben.

    Zagatta: Was würde das heißen, ungeordnete Insolvenz?

    Kösters: Wenn Griechenland plötzlich ausfällt, dann wird das ja bedeuten, dass Banken und andere Gläubiger Griechenlands, die Papiere halten, griechische Staatspapiere halten, diese abschreiben müssten, weil Griechenland sie nicht zurückzahlen kann, und sie würden dann in die Schieflage geraten, möglicherweise selbst insolvent werden (das trifft vor allen Dingen für griechische Banken zu, aber auch für einige Banken in anderen europäischen Ländern zu), und das könnte dann eine weltweite Krise auslösen, die noch schlimmere Ausmaße annehmen könnte als die vergangene.

    Zagatta: Würde es in der Praxis vielleicht darauf hinauslaufen, dass Länder wie Deutschland, oder dass die EU, wenn sie Griechenland zu einer solchen Insolvenz zwingen will, zu der Griechenland ja vertraglich nicht verpflichtet ist, dass man den Griechen damit drohen könnte, ihnen den Geldhahn abzudrehen, um dann doch einzulenken und dann doch irgendwie ein geordnetes Verfahren noch auf den Weg zu bringen?

    Kösters: So einfach den Geldhahn abdrehen kann man wohl nicht, denn wenn man das macht, riskiert man eben diese ungeordnete Insolvenz mit all den Folgen, über die ich gerade gesprochen habe. Insofern ist man an die Mitwirkung Griechenlands gebunden, und das ist ja das, was wir als Ökonomen schon lange sagen. Europa hat sich zur Geisel Griechenlands und anderer Peripherieländer gemacht. Indem wir diese Rettungsschirme aufgespannt haben, mussten wir darauf vertrauen, dass in den Ländern die Reformen vorangehen, was zum Teil eben nicht passiert ist. Griechenland hat, so weit ich das beurteilen kann, diese Sparmaßnahmen nie zur eigenen Sache gemacht, nie versucht, jetzt durch eigene Reformbemühungen dann Griechenland wieder wachsen zu lassen und Griechenland eine neue Perspektive zu eröffnen, sondern man hat diese Auflagen, die gekommen sind, immer als europäische und damit fremde Auflagen verkauft, auch im Inland, und das wird dann von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Man hätte das zur eigenen Sache machen müssen und viel zügiger Reformen, Privatisierungen, anderes umsetzen müssen, aber das ist nicht passiert.

    Zagatta: Ganz konkret: Was würden Sie den Politikern jetzt vorschlagen, weil die müssen ja wohl, so wie es im Moment aussieht, in den nächsten Tagen schon handeln?

    Kösters: Das was man ja hört ist, dass im Finanzministerium Pläne durchgerechnet werden, wie man diese geordnete Insolvenz zu Wege bringen könnte und wie man sie abwickeln könnte. Dabei wird ganz wesentlich der EFSF, der europäische Schutzschirm, eine Rolle spielen müssen, denn wenn wie gesagt diese Insolvenz fällig wird, dann wird man die Banken retten müssen, die dann in die Schieflage geraten. Dazu wird es also einer Rekapitalisierung von Banken bedürfen und dazu braucht man Geld, und das muss wahrscheinlich dann vom EFSF kommen, wenn man keine andere Möglichkeit findet. Aber das wäre der Weg, der sich jetzt abzeichnet.

    Zagatta: Das ist der Schutzschirm, um den der Bundestag im Moment verhandelt. Dem müsste dann, trotz des großen Widerstandes dort bei FDP und teilweise auch in den Reihen der Union, der Bundestag aber auf alle Fälle zustimmen?

    Kösters: Ja, ich denke schon, denn mit den bisherigen Möglichkeiten, man hätte nicht alle Möglichkeiten, die man hätte, wenn diese Reform oder diese Änderung umgesetzt würde, und die brauchen wir, denke ich.

    Zagatta: Wie würde eine solche Insolvenz praktisch aussehen? Könnte Griechenland dann noch im Euro-Raum bleiben, oder müsste das Land den Euro aufgeben?

    Kösters: Das liegt nicht in der Hand Deutschlands oder der anderen Europäer; das ist Sache Griechenlands, denn der Lissabon-Vertrag lässt nicht zu, dass man ein Land aus der Währungsunion ausschließt, das dieser Währungsunion beigetreten ist. Es kann nur freiwillig die Währungsunion verlassen. Auch das ist umstritten, auch das dürfte es an sich gar nicht, denn wenn man einmal in der Währungsunion drin ist, sollte man für immer drin bleiben. Aber ich denke, einen freiwilligen Austritt, den kann man nicht verwehren. Also liegt es an Griechenland, und Griechenland müsste für sich ausmachen: Was ist der günstigere Weg, um wieder zu Wachstum zu kommen und damit aus der Krise auf längere Sicht wieder rauszukommen? Ein Austritt aus der Währungsunion, dann hätte man die Möglichkeit, den Wechselkurs zu nutzen, die Währung abzuwerten, damit wieder wettbewerbsfähig zu werden. Oder in der Währungsunion zu bleiben, dann könnte man die Währungsunion als Hebel benutzen für Reformen im Inland. Das müsste Griechenland dann entscheiden, was für Griechenland der beste Weg ist.

    Zagatta: Aber es wäre durchaus denkbar, dass Griechenland dann weiterhin den Euro hat, also in diesem Euro-Raum bleibt. Was hätte denn eine Insolvenz für Griechenland an Ansteckungsgefahren? Würde das nicht geradezu Spekulanten auf den Plan rufen, dann jetzt gegen Italien oder Portugal ähnlich vorzugehen?

    Kösters: Ja, genau das ist das andere Problem, was gelöst werden muss. Wenn jetzt andere Länder, die noch nicht insolvent sind, die nur illiquide sind, wenn gegen die spekuliert würde, müsste man ihnen beistehen, damit sie nicht dann auf diese Art und Weise gezwungen werden, die Währungsunion zu verlassen. Da wäre der EFSF gefragt, um dann nicht weiter die Europäische Zentralbank zu strapazieren, die ja in letzter Zeit in großem Umfang schon italienische und spanische Papiere aufgekauft hat, um die Zinsen da zu senken, die Renditen zu senken für diese Papiere.

    Zagatta: Käme die EZB, also die Europäische Zentralbank, aus diesem Teufelskreis, so wie das jetzt im Moment aussieht, dann überhaupt noch heraus?

    Kösters: Wenn es den EFSF nicht gibt mit diesen Möglichkeiten, dann ist weiter die Europäische Zentralbank gefordert, und sie wird dann immer mehr zu einer Staatsfinanziererin, was ja gar nicht ihre Aufgabe ist und was ihren Statuten auch widerspricht. Aber sie hat sich auf diesen Weg, auf diesen verhängnisvollen Weg, muss man sagen, begeben und ist dadurch ja auch total unglaubwürdig geworden als unabhängige Zentralbank.

    Zagatta: Und wenn dieser Rettungsschirm den Bundestag passiert, wenn der tatsächlich in Kraft tritt, dann sind Sie optimistisch?

    Kösters: Das würde ich auch noch nicht so sagen. Ob dann alle Probleme gelöst werden, ist ja die Frage, denn wir haben uns wirklich in die Hand Griechenlands und anderer Peripherieländer begeben und müssen jetzt darauf hoffen, dass sie entsprechende Reformen durchführen, weil wir sonst darauf hängen bleiben und sonst zu Dauerfinanzierern werden, was nicht geht, was die Bevölkerung auch nicht mitmachen wird.

    Zagatta: Aber diesen Rettungsschirm plus einen Austritt Griechenlands, oder eine Insolvenz Griechenlands, dann wären Sie optimistisch?

    Kösters: Ja. Man muss mit den Reformen weitermachen in anderen Ländern. Wenn das nicht weitergeht, wird das ein Fass ohne Boden und dann wird die Währungsunion auseinanderbrechen.

    Zagatta: Professor Wim Kösters vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut. Herr Kösters, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Kösters: Danke Ihnen, Herr Zagatta.

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