Ob die Versprechen der griechischen Regierung auch umgesetzt würden, sei vollkommen unsicher, sagte Wolfgang Bosbach im DLF. Der CDU-Politiker geht davon aus, dass weitere Milliarden nach Athen fließen werden. Die Eurozone versuche, sich Zeit zu kaufen. Die 7,2 Milliarden Euro aus der letzten Tranche aus dem zweiten Hilfsprogramm würden die finanziellen Probleme nicht lösen.
Bosbach betonte, er gehe nicht davon aus, dass Griechenland jemals die Kredite wieder zurückzahlen könne. Dem Land fehle es an Wirtschaftskraft und an einem effizienten Staatswesen. Neue Gelder änderten daran überhaupt nichts.
Das Interview in voller Länge:
Gerd Breker: Eine Einigung im Schuldenstreit ist immer noch in weiter Ferne. Griechenland bekommt nun allerdings mehr Zeit zur Begleichung seiner Milliarden-Schulden an den Internationalen Währungsfonds. Der IWF gewährt der Regierung in Athen Aufschub für eine eigentlich heute fällige Kredit-Tranche in Höhe von 300 Millionen Euro. Mit anderen Worten: Die Hängepartie, sie setzt sich fort. Tsipras muss nun die seinen überzeugen und das wird nicht leicht, denn offenbar ist die Bereitschaft, noch mehr Zeit zu gewinnen, groß. Von Neuwahlen ist inzwischen in Athen die Rede. Und bei uns wächst die Sorge, zu viel Nachgiebigkeit bremse griechischen Reformeifer. Heute Früh im Deutschlandfunk äußerte sich die Erste stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, wenig zuversichtlich.
O-Ton Sahra Wagenknecht: "Vielleicht hätten sie irgendwo noch die 300 Millionen zusammengekratzt, aber es kommen ja jetzt demnächst viele, viele Milliarden, im Sommer sind es über 20 Milliarden an Rückzahlungen. Die kann dieses Land nicht zahlen, weil Griechenland seit dem Jahr 2010 überschuldet ist, und deswegen ist natürlich auch jetzt das wieder keine Lösung. Es ist Zeit gekauft und Zeit gewonnen, aber das Problem ist, dass Griechenland einen erheblichen Teil seiner Schulden nie wird zurückzahlen können."
Breker: Die Erste stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, heute Früh im Deutschlandfunk. - Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Er hat bislang immer gegen Griechenland-Hilfen gestimmt. Guten Tag, Herr Bosbach.
Wolfgang Bosbach: Ich grüße Sie mit dem kleinen Hinweis noch, dass ich dem ersten Hilfspaket für Griechenland noch zugestimmt habe, aber allen weiteren Hilfsmaßnahmen und Hilfsmilliarden nicht mehr. Da haben Sie recht.
"Wir geben Gelder gegen Reformversprechen"
Breker: Nun haben die Geldgeber wieder nachgegeben. Griechenland hat wieder mehr Zeit zur Begleichung seiner Schulden bekommen. Sind die Geldgeber aus Ihrer Sicht zu nachgiebig?
Bosbach: Wir sind jedenfalls nicht konsequent genug und es ist im Moment so, wie es in den letzten fünf Jahren immer war und meiner Einschätzung nach auch in den nächsten Jahren immer so bleiben wird. Wir erzählen ja den Bürgerinnen und Bürgern die Geschichte, wir geben Kredite, Gelder nur gegen Reformen. Das ist ja nicht richtig. Wir geben Gelder gegen Reformversprechen. Ob diese dann beschlossen werden, ob diese umgesetzt werden, ob diese dann die erhoffte Wirkung haben, ist völlig unsicher. Sicher ist nur, dass weitere Milliarden fließen.
Und was ist das für eine Aussage von Herrn Schulz, dass ihm Herr Varoufakis auf die Nerven geht? Das bleibt doch ohne jede Konsequenz! Herr Tsipras und Herr Varoufakis wissen: Gleich was sie machen, was sie sagen, wie sie sich verhalten, die Eurozone wird weiter zahlen. Und zwar wird man sich damit - das ist der Punkt, an dem Frau Wagenknecht tatsächlich recht hat - Zeit kaufen, denn wenn jetzt Griechenland zu der Einsicht käme, unter den Bedingungen des Euro kann es dieses Land nicht schaffen, dann wird man Griechenland bei der Rückkehr zur Drachme helfen müssen. Das wird viele, viele Milliarden kosten. Das heißt, es würde dann mit einem Schlag offensichtlich, dass die bisherigen Bemühungen nicht den erwünschten Erfolg gebracht haben, dass die allermeisten gewährten Kredite nie zurückgezahlt werden, und natürlich versucht man, diesen Punkt zu vermeiden.
Breker: Am Montag haben die Geldgeber im Kanzleramt wohl einen Plan ausgearbeitet, dem Griechenland aber einen eigenen Plan entgegengestellt hat, und dieser eigene Plan der Griechen, der reicht den Geldgebern nicht aus. Also steht Plan gegen Plan. Was soll daraus werden?
Bosbach: So wie in den letzten fünf Jahren auch wird man bis kurz vor zwölf verhandeln. Ich kenne übrigens nun auch die Uhrzeit: Wir haben fünf vor zwölf. Eine andere Uhrzeit hat man mir in Verhandlungen mit Griechenland in den letzten fünf Jahren nie genannt. Dann wird man sich ermattet zurücklehnen, einen Kompromiss gefunden haben und dann wird wieder gezahlt werden. Es geht ja im Moment "nur" um 7,2 Milliarden Euro als letzte Tranche aus dem zweiten Hilfsprogramm für Griechenland. Damit sind ja noch nicht die finanziellen Probleme Griechenlands in diesem Jahr und schon mal gar nicht in den nächsten Jahren gelöst. Die Summen sind ja gerade genannt worden. Es kommen Milliarden Belastungen auf Griechenland im zweiten Halbjahr diesen Jahres zu, in den Jahren danach auch, und Griechenland wird ohne immer neue Milliarden-Hilfen diese Kredite gar nicht bedienen können. Das heißt, wenn es so bleibt, wie es in der Vergangenheit war, werden wir auch in Zukunft weitere Zahlungen leisten müssen und wir werden dann darum gebeten, die Geschichte zu glauben, dass es sich ja nur um Kredite handelt und dass Griechenland das Geld eines Tages wieder zurückzahlen wird. Das wird das Land aber nicht können.
Griechenland hat es nie an finanziellen Hilfen gefehlt. Griechenland fehlt es an Wirtschaftskraft und an einem effizienten Staatswesen, nicht nur in der Steuerverwaltung, und immer neue Milliarden für Griechenland ändern daran überhaupt nichts.
"Früher hieß ja Sparen, man gibt weniger aus als man einnimmt"
Breker: Und in Griechenland, Herr Bosbach, können Sie den Willen nicht entdecken, sich zu reformieren, sich so aufzustellen, dass keine Schulden mehr gemacht werden müssen, und da stellt sich die Frage, was nützt ein Zeitgewinn, wenn eh nicht reformiert wird.
Bosbach: Das ist der Punkt. Und was nützen kraftvolle Reformvorhaben mit dieser Regierung, mit den Vorgängerregierungen, wenn es im Land, in der Bevölkerung dafür keine Mehrheit gibt? Was nützen Versprechungen von Politikern an den Verhandlungstischen, damit jetzt schnell weitere Milliarden fließen, wenn es im Parlament, aber auch in der Bevölkerung keine ausreichende Mehrheit gibt für die Reformen, die man umsetzen müsste, damit Griechenland wieder das Vertrauen der Finanzmärkte zurückgewinnen kann - jedenfalls in absehbarer Zeit? Die Sprache hat sich ja auch verändert. Wissen Sie, in diesen Tagen hat wieder das Wort oder der Begriff "Ende des Sparkurses" Konjunktur. Damit ist gemeint eine Ausweitung der Verschuldung. Früher hieß ja Sparen, man gibt weniger aus als man einnimmt. Heute heißt ja Sparkurs, wir müssen mehr Schulden aufnehmen. Das ist aber genau das, was Griechenland in diese schwierige Lage gebracht hat - im Übrigen nicht erst seit 2010.
Breker: Herr Bosbach, beim Treffen am Montag im Kanzleramt, beim Treffen der Geldgeber, da war Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht dabei. Das hat Spekulationen aufkommen lassen, Merkel und Schäuble würden in Sachen Griechenland möglicherweise nicht mehr an einem Strang ziehen. Kann es sein, dass die Kanzlerin nachgiebiger ist als Wolfgang Schäuble?
Bosbach: Das glaube ich im Ergebnis nicht. Es mag unterschiedliche Einschätzungen geben. Erstens: Wie erfolgsträchtig ist das, was wir jetzt mit den Griechen in einem neuen Programm vereinbaren? Wie zuverlässig ist die Regierung Tsipras nach allen Eskapaden, die wir in den letzten Monaten nicht nur, aber insbesondere mit Herrn Varoufakis erlebt haben? Wie hoch ist das Ausfallrisiko? Da mag es unterschiedliche Einschätzungen bei Kanzlerin und Finanzminister geben. Aber unter dem Strich werden sich beide - da bin ich ganz sicher - einig sein und nicht auseinanderdividieren lassen. Alle beide legen allergrößten Wert darauf, dass die Eurozone zusammenbleibt, inklusive Griechenland, und dann ist man auch bereit, erhebliche Milliarden-Risiken auf sich zu nehmen und immer weitere Zahlungen zu leisten. Wenn das vorgeschlagen wird, dann wird es auch keinen Aufstand in der Fraktion geben, die Mehrheit wird da mitstimmen.
"Von einer Haftungs- und Transferunion war nie die Rede"
Breker: Es klang gerade bei Ihnen an: Bundeskanzlerin Merkel hat gesagt, wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa. Das klingt auch so ein bisschen zwischen den Zeilen wie, einen Grexit darf es nicht geben.
Bosbach: Ich kann diese Argumentation nicht nachvollziehen, denn für mich ist der Euro eine Währungseinheit und nicht Europa. Europa ist für mich in erster Linie ein Werk von Frieden und Freiheit, von Wohlstand, Wachstum, Wahrung der Bürgerrechte, eine Wertegemeinschaft. Es gibt viele Länder, die haben keinen Euro, aber sie sind in der Europäischen Union. Es gibt sogar europäische Länder, die liegen mitten in Europa, sind aber nicht Mitglied der Europäischen Union. Sie alle gehören aber doch zu Europa.
Natürlich: Selbst ich würde mich ja freuen, wenn Griechenland in der Eurozone bleiben könnte. Aber ich fürchte, das Land wird es unter den Bedingungen des Euro aus ökonomischen Gründen und wegen eines wirklich fehlenden effizienten Staatsaufbaus nicht schaffen können, und dann stellt sich die Frage, gehen wir den Weg zu einer Haftungs- und Transferunion immer weiter fort, oder kehren wir zu dem zurück, was wir uns versprochen hatten und den Menschen versprochen hatten bei der Einführung des Euro. Und den Weg in eine permanente Transferunion, den gehe jedenfalls ich nicht mit. Das kann ich den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht zumuten und auch den Wählerinnen und Wählern nicht, denen wir genau das Gegenteil versprochen haben. Es ging immer nur um eine Währungsunion. Von einer Haftungs- und Transferunion war nie die Rede.
Natürlich: Selbst ich würde mich ja freuen, wenn Griechenland in der Eurozone bleiben könnte. Aber ich fürchte, das Land wird es unter den Bedingungen des Euro aus ökonomischen Gründen und wegen eines wirklich fehlenden effizienten Staatsaufbaus nicht schaffen können, und dann stellt sich die Frage, gehen wir den Weg zu einer Haftungs- und Transferunion immer weiter fort, oder kehren wir zu dem zurück, was wir uns versprochen hatten und den Menschen versprochen hatten bei der Einführung des Euro. Und den Weg in eine permanente Transferunion, den gehe jedenfalls ich nicht mit. Das kann ich den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht zumuten und auch den Wählerinnen und Wählern nicht, denen wir genau das Gegenteil versprochen haben. Es ging immer nur um eine Währungsunion. Von einer Haftungs- und Transferunion war nie die Rede.
Breker: Stellt sich nur die Frage, Herr Bosbach: Was nützt denn eine gemeinsame Währung, wenn alle Stabilitätskriterien verwaschen werden?
Bosbach: Der Fehler war ja nicht die Einführung des Euro, sondern der kapitale Fehler, damals noch unter Rot-Grün, Kanzler Gerhard Schröder, war, dass ausgerechnet Deutschland, als stabilitätsorientiertes Land bis dahin bekannt, sich von den Stabilitätskriterien von Maastricht verabschiedet hat mit einer Begründung, die wir danach von vielen Staaten immer wieder gehört haben: Jetzt im Moment nicht, wir müssen mehr Schulden machen zur Ankurbelung der Konjunktur. Das Ergebnis ist bekannt. Als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, hatten wir in Deutschland über fünf Millionen Arbeitslose. Und es ist ja gerade kein Widerspruch, Politik für Wachstum und Beschäftigung, aber gleichzeitig auch solide Staatsfinanzen, ausgeglichene Staatshaushalte. Beides muss doch unser Ziel sein und bleiben.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Herr Bosbach, ich danke für dieses Gespräch.
Bosbach: Ich danke Ihnen! Schönes Wochenende.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.