Martin Zagatta: Ganz Europa starrt also auf das für morgen angesetzte Referendum, in dem sich Ministerpräsident Tsipras sein Nein zu den Sparvorschlägen der Gläubiger absegnen lassen will. Führende EU-Politiker dagegen hoffen auf ein Ja bei dieser Abstimmung, so auch, das setze ich mal voraus, der CDU-Politiker Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Brok!
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Brok, wenn morgen bei dieser Abstimmung - so sieht es ja aus - ein Ja herauskommt, also eine Ohrfeige der Griechen für ihre eigene Regierung, wäre das für Sie tatsächlich ein Grund zur Freude? Denn dann geht doch das ganze Gezerre wieder von vorne los.
Brok: Ja, wir müssen sehen, dass hier ein Volk darum kämpft, nicht von einer linksradikalen Regierung in eine falsche Richtung gedrückt zu werden, und wir können uns, glaube ich, nicht erlauben, dass Griechenland - ein Land, das doch wirklich zu Europa gehört und auch aufgrund seiner strategischen Lage wichtig für Europa ist - in ein anderes Lager abwandert.
Zagatta: Also Sie sind ganz klar für ein Ja, also die Griechen sollen das, was ihnen jetzt Ministerpräsident Tsipras vorschlägt, das sollen sie ablehnen?
Brok: Das sollen sie ablehnen. Ich meine, es ist ja schon ungeheuerlich, dieser Wahlzettel, der dort ausgelegt wird, der auf Manipulation hindeutet, wo die Fragestellung kompliziert ist und vor allen Dingen das Nein als Erstes steht, also etwas völlig Unübliches, dass etwas derartiges gemacht wird. Deswegen ist, glaube ich, der Kampf derjenigen, die für das Ja sind, ein sehr schwieriger Kampf, bei dem wir sie unterstützen müssen.
Zagatta: Aber wenn die Griechen morgen ja sagen - mit wem wollen Sie, mit wem sollen die Gläubiger denn dann am Montag verhandeln? Mit Tsipras wieder? Ist das für Sie noch denkbar?
Brok: Ich meine, wer eine solche Frage verliert, muss zurücktreten und Neuwahlen ausschreiben. Das ist, glaube ich, zwingend notwendig. Tsipras hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Er verhandelt monatelang mit der Europäischen Union und dann hat er praktisch einen Abschluss fertig und dann sagt er: Ja, ich werde diesen Abschluss dann unterschreiben, aber ich werde ein Nein empfehlen. Wie soll man mit ihm denn dann glaubwürdig eine Verhandlung führen, dass dann wirklich zielgerichtet eine positive Entwicklung da rauskommt, wenn er es mit dem Reformprogramm gar nicht mal ernst meint?
Zagatta: Das heißt, Sie fordern ihn zum Rücktritt auf, wenn er diese Abstimmung verliert - weil das hat er so noch, na ja, nur angedeutet, zumindest offengelassen?
Brok: Er hat es angedeutet, dann wieder zurückgenommen. Aber ich glaube, wenn man in einer solchen Kernfrage von seiner eigenen Bevölkerung ein Nein bekommt, dann ist man verpflichtet, zurückzutreten und den Weg freizumachen, damit dann neue Kräfte die Verhandlungen führen können, die dann vom Volk ja gewollt werden, dass Verhandlungen geführt werden. Und ich glaube, dass er nicht die Glaubwürdigkeit hat, für Griechenland etwas Vernünftiges herauszuholen. Keiner am Verhandlungstisch wird ihm noch glauben, jeder hat gesehen, dass er lügt. Er lügt gegenüber der eigenen Bevölkerung, er lügt am Verhandlungstisch. Wie soll man so glaubwürdig in einer so schwierigen Frage dann zu einer Übereinkunft kommen?
"Hinweise auf eine neue proeuropäische Bewegung"
Zagatta: Ist da Glaubwürdigkeit nicht ein ganz heikler Begriff? Denn wir alle wissen ja noch, dass Deutschland und Frankreich, wenn es ihnen nicht passt, sich dann auch nicht an vereinbarte Regeln in der EU halten.
Brok: Nun, auch da haben Deutschland und Frankreich im letzten Jahrzehnt erhebliche Fehler gemacht und auch viele andere Länder. Aber es ist die Frage: Wenn ich jemandem gegenüber sitze und der mit mir verhandelt und ich merke, dass der mich anlügt in den Verhandlungen, dass man merkt, dass er sagt, selbst das, was ich mit dir abschließe, werde ich dann anschließend nicht machen - das ist, glaube ich, im privaten Bereich sowie bei Staatsführern so -, dass das ein unakzeptables Verhalten ist.
Zagatta: Herr Brok, wenn Tsipras gehen muss, worauf jetzt vieles hindeutet, dann kämen aber wieder die Leute und die Parteien an die Macht, die Griechenland mit ihrer Korruption in diese fürchterliche Lage gebracht haben. Das kann es doch auch nicht sein.
Brok: Nun, Korruption weiß ich nicht, aber mit der Unfähigkeit, das Land mit Reformen voranzubringen. Und deswegen hoffe ich, und darauf gibt es auch Hinweise, dass sich dann eine neue proeuropäische Bewegung, jetzt eine Partei, die über den bisherigen Klüngel hinausgeht, bildet. Ich glaube, das ist eine Bedingung dafür, und ich habe auch den Eindruck, dass da manches an Vorbereitungen in diesem Sinne laufen.
Zagatta: Aber wenn es so kommt, dann hätte man ja erst mal wieder ein Machtvakuum, also wahrscheinlich würde das ja auf Neuwahlen hinauslaufen, also wieder auf ein monatelanges Hin und Her.
Brok: Nein, in Griechenland ist es so, dass man dann innerhalb von 25 Tagen Neuwahlen haben kann. Das ist auch schon eine lange Frist angesichts der Umstände.
Zagatta: Ja, und danach käme eine neue Regierung, und danach kämen wieder Verhandlungen, die müssten ja irgendwo wieder beim Punkt Null fast anfangen.
Brok: Ja, sie müssen auf jeden Fall mit Null anfangen und die alten Programme sind aufgelaufen, das vorläufige Rettungsprogramm, aus dem bisher Griechenland gespeichert wurde, existiert dafür nicht mehr. Es muss der europäische Stabilitätsmechanismus benutzt werden. Und das ist dann eine völlig neue Verhandlung, und ich glaube, auch eine Verhandlung, die dann wirklich nach dem Votum in den Kern hineingehen soll - und das ist nicht Sparmaßnahmen, sondern: Wie reformiert man diesen griechischen Staat? Wie kriegt man eine anständige Staatsverwaltung hin, die zu schnellen Entscheidungen möglich ist, eine anständige Finanzverwaltung? Wie kriegt man ein Steuerrecht hin, dass wirklich gerecht ist und nicht die kleinen Leute belastet? Das sind doch die Kernfragen. Es ist doch nicht die Frage, ob da ein oder zwei Prozent bei den Renten gemacht wird. Diese Modernisierung des griechischen Staates muss her, und dann muss es wirklich in diesen Kern hineingehen, um die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wieder herzustellen.
Zagatta: Was man über Jahre aber nicht geschafft hat. Herr Brok, das alles würde aber doch auf ein drittes Hilfspaket hinauslaufen?
Brok: Ein völlig anderes, es ist nicht in dem bisherigen Ablauf so drin, aber ja, darauf würde es hinauslaufen. Aber deswegen ist es eine Bedingung dafür, dass dann Verhandlungen herauskommen, die sich eben auf diese entscheidenden Punkte der Reform des Staates konzentrieren.
Zagatta: Aber was ein drittes Hilfspaket angeht, da haben ja viele in der CDU und der CSU, also in Ihrer Partei, ja schon gesagt: Das kommt nicht infrage. Glauben Sie, dass ein solches drittes Hilfspaket, dass das in Deutschland durchsetzbar wäre?
Brok: Ich glaube, wenn bei diesem Referendum ein Ja herauskommt und man dann in der Lage ist, wirklich den Kern Dinge, nämlich die Modernisierung des Staates Griechenland, in Angriff zu nehmen, ich glaube, dass dann auch eine griechische Regierung das Mandat dazu hat, eine solche Politik zu betreiben und endlich diese Reformen durchgesetzt werden.
"Bisher hat Griechenland uns nichts gekostet"
Zagatta: Die Griechen dürfen morgen abstimmen. Jetzt gibt es mittlerweile in Deutschland auch schon die Forderung, die Bevölkerung mal abstimmen zu lassen, ob man weiter Milliarden und Abermilliarden nach Athen überweisen soll. Ist das so abwegig, so was zu machen?
Brok: Ja, also erstens weiß ich nicht, ob auf Gefühlslagen etwas gemacht werden soll. Und wenn man es hinbekommt, dass der griechische Staat nicht pleite geht - es ist ja nichts gezahlt worden, bisher gibt es da noch Kredite, bis jetzt hat Griechenland uns praktisch noch nichts gekostet. Uns hat es viel gekostet, die Rettung der deutschen Banken, als wir fünf Prozent Minuswachstum hatten 2009, denn wir sind in eine ähnliche Krise gegangen wie Griechenland, hatten nur mehr eigenes Potenzial, und dafür haben wir ja mit all den Programmen, die wir gemacht haben, plus dem Aufkaufen der Banken, doch Hunderte von Milliarden Euro ausgegeben, das Zigfache von dem, das wir bisher an Krediten an Griechenland gegeben haben. Bisher hat Griechenland uns doch nichts gekostet. Und deswegen ist es wichtig, dass Griechenland auf die Beine kommt - dann kommen wir möglicherweise sehr billig davon. Wenn Griechenland pleite geht, dann ist das Geld weg, und wir müssen dann humanitäre Hilfeleistungen leisten, denn dann gibt es keine Pensionen, keine Gehälter mehr, kein Geld, um Lebensmitteleinführungen zu machen. Das würde eine teure Angelegenheit, denn man kann ja ein solches Land nicht in eine humanitäre Katastrophe laufen lassen.
Zagatta: Herr Brok, wie groß ist denn der Schaden, den dieses Gezerre, dieses unendliche Gezerre um Griechenland schon angerichtet hat? Also das muss doch zum Beispiel auf die Briten, die demnächst über den EU-Austritt abstimmen wollen, das muss doch auf die eine völlig abstoßende Wirkung haben?
Brok: Also wissen Sie, Großbritannien ist beim Euro nicht dabei und beteiligt sich auch nicht an Solidaritätsleistungen. Zweitens: Diese Geschichte ist ja eine positive Geschichte. Länder wie Irland, die in ähnlichen Situationen waren, die haben heute fünf Prozent Wirtschaftswachstum. Die Portugiesen zahlen vorfristig ihre Kredite zurück. Die Spanier haben nur 60 Prozent dessen, was ihnen im Hilfsprogramm zugesagt worden ist, genutzt. Das heißt, es funktioniert. Das ist hier eine reine griechische Frage. Die Europäische Union hat bewiesen, dass sie Länder aus solchen Krisen, die von außen gekommen sind wie der Finanzkrise, herausholen kann und ich finde, das ist eine phänomenale Leistung. Griechenland hängt da sehr stark von der Fähigkeit des griechischen Staates ab, und wir haben jetzt seit einem halben Jahr eine Regierung, die nicht will, die wirklich aus der Europäischen Union heraus will. Ich kenne viele von denen: klassische Kommunisten.
Zagatta: Aber es hat doch mit den Vorgängern auch nicht geklappt?
Brok: Doch.
Zagatta: Also die Argumente, die Sie jetzt anführen, da würden ja viele Ihrer Parteifreunde sagen: Genau das ist der Grund, einem dritten Hilfspaket nicht zuzustimmen. Sie würden da auf alle Fälle, wenn das vernünftig organisiert wird, sagen, müssen wir machen?
Brok: Ja, das würde ich sagen, und ich muss hier sagen: Bei allen Mängeln, die da sind, hat es ja bis Dezember geklappt. Wir waren im Plus, im leichten Plus des Wirtschaftswachstums, es gab einen Primärüberschuss, die griechische Regierung, der griechische Staat wieder mehr exportiert, sodass es nicht ausreichend, aber ein Weg nach vorne bereits war. Das ist ja alles wieder zurückgekoppelt worden von dieser Regierung. Also dass wir ein halbes Jahr nicht nur verloren haben, sondern wieder drei, vier Jahre zurückgegangen sind. Und das ist die eigentliche Katastrophe dieser Syriza-Regierung.
Zagatta: Dennoch ist der Widerstand in Ihrer Partei gegen weitere Hilfspakete groß. Ihr Parteifreund Wolfgang Bosbach zum Beispiel, der will seinen Hut nehmen, wenn es zu einem dritten Hilfspaket kommt. Sie sagen dann: Lieber Wolfgang, geh doch?
Brok: Also meinem Freund Wolfgang würde ich das nicht empfehlen und würde immer noch an seine Vernunft und seine Verantwortung appellieren, ich glaube, denn wir müssen sehen, dass Völker Fehler machen, das wissen auch wir, aber dass wir Völker, wenn sie dann sich entscheiden, es anders zu machen, zu unterstützen haben, sonst haben wir in Europa keine Chance, und hier sind wir auch verantwortlich für andere, wenn andere auch bereit sind, ihre Verantwortung endlich zu übernehmen.
Zagatta: Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Herr Brok, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!
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