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Griechenland-Krise
"Das Land wird verarmen und darben"

Mit "Der Schwur von Piräus" schrieb Markus Will schon 2011 einen Krimi rund um die Schuldenkrise. Die aktuellen Entwicklungen in Sachen Griechenland habe er sich "nicht vorstellen können", sagte der Autor, der auch Ökonom ist, im DLF. Er erwartet "ein Riesenproblem" für die Wirtschaft.

Markus Will im Gespräch mit Michael Köhler |
    "Befreit Griechenland aus dem Euro-Gefängnis": Ein Grafito an einem leer stehenden Haus in Athen
    "Befreit Griechenland aus dem Euro-Gefängnis": Ein Grafito an einem leer stehenden Haus in Athen (AFP / ANGELOS TZORTZINIS)
    Michael Köhler: Zuerst aber soll es um den Landstrich gehen, den wir als Wiege der Demokratie so gern beschwören. Dass Herrschaft des Volkes auch ziemlich tragisch bis undemokratisch sein kann, das findet jedenfalls Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulos. Heute Morgen sagte er in diesem Programm an die Adresse seiner Regierung:
    O-Ton Spiridon Paraskevopoulos: "Ich habe gestern die Debatte im griechischen Parlament verfolgt. Was ich da gehört habe, was sie den Europäern alles vorgeworfen haben, die Europäer sind Faschisten, die Europäer sind nicht Demokraten, die einzigen Demokraten, die in Europa übrig geblieben sind, ist die Regierung Tsipras. Und wenn sie die Vokabeln da gehört haben, kann man mit solchen unmenschlichen Typen, wie die Nordeuropäer sind, wie die beschrieben haben, kann man da zusammenbleiben? Da können die Franzosen so gute Absichten haben wie sie wollen; der Tsipras hatte eindeutig auf die Merkel gesagt, sie haben die Demokratie entdeckt und entwickelt, und der Tsipras hatte vergessen, dass die Demokratie in Griechenland seit der Schlacht von Heronia, als der Philipp, der Vater Alexander des Großen, das große Athen besiegt hat, ist die Demokratie in Griechenland untergegangen und seitdem haben wir niemals eine vernünftige Demokratie in Griechenland."
    Köhler: … sagt Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulos. Dramatisch-tragisch machen wir weiter. Für morgen hat die Kanzlerin nämlich alle Bundestagsparteien, also auch die Opposition beziehungsweise deren Fraktionschefs und Spitzen, ins Kanzleramt zum Griechenland-Krisengespräch eingeladen. Selbst Griechenland-Versteher in der SPD haben inzwischen den Kaffee auf. Parteichef Gabriel hat eine Israel-Reise abgesagt. Und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" titelt heute in griechischen Buchstaben "Exodus", Ausgang, Ende.
    Die Regierung Tsipras, sie führt vielleicht Kapitalkontrollen ein. Mal gucken, was noch alles kommt. Das Auswärtige Amt rät inzwischen bei Reisen nach Griechenland genug Bargeld mitzunehmen. Es klingt dramatisch, es klingt tragisch, fast nach einem Hörspiel von Orson Wells, nach dem Clash of Cash. Ist es aber nicht. Es ist europäische Realität am Sonntag, dem 28. Juni 2015.
    Die Europäische Zentralbank gewährt griechischen Banken weitere Notkredite, hören wir. Das Niveau werde auf dem bisherigen Stand gehalten, teilte die EZB heute in Frankfurt mit. Wir haben das zum Anlass genommen, Markus Will einmal zu fragen. Er ist Volkswirt, Betriebswirt, Unternehmensberater, habilitierter Hochschullehrer und Schriftsteller in der Schweiz und hat 2011 einen Krimi geschrieben, "Der Schwur von Piräus", und da geht es um Währungskriege. Was in diesen Tagen passiert, hat ja was von Drama, mindestens von Reality Krimi. Ist die Wirklichkeit ein besserer Autor als Sie, Markus Will?
    Markus Will: Die Wirklichkeit ist in der Tat ein besserer Autor als ich. Das Leben schreibt leider die traurigsten Geschichten oder auch die schönsten Geschichten. Das hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich habe es mir im Grunde auch bis gestern oder vorgestern nicht vorstellen können, dass die griechische Regierung ihr Volk quasi so darben lassen wird jetzt, weil das natürlich ein Riesenproblem für die griechische Wirtschaft werden wird, wenn sie erst Pleite sein wird und dann zweitens ihre Währung wechseln muss.
    Köhler: In der Tat, Sie sagen es. Versteckt sich da eine Regierung hinter dem Volk? Denn jeder Pilot kennt ja die alte Fliegerregel, kein Manöver ohne Alternative. Hat die griechische Regierung Ihrer Meinung nach einen Notfallplan, also eine Reservewährung, oder trudeln die da kopflos quasi durch den Äther?
    Will: Früher hatten alle Staaten eine Reservewährung im Kalten Krieg. Auch die Bundesrepublik Deutschland hatte eine zweite Serie D-Mark irgendwo in einem Bunker versteckt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das heute der Fall ist, und ich bin mir schon mal gar nicht sicher, ob das in Griechenland der Fall ist. Und insofern würde eine Umstellung des Papiergeldes natürlich Griechenland vor große Probleme stellen, weil dieses Papiergeld ja erst mal gedruckt werden müsste und dann unters Volk gebracht werden müsste. Wie das technisch laufen soll, wenn die Griechen aus dem Euro ausscheiden müssten, das ist, glaube ich, heute noch völlig offen.
    Köhler: Denn es ist ja die große Frage, wie es weitergeht. Inzwischen hat die Europäische Zentralbank angekündigt, den griechischen Banken weitere Notkredite zu gewähren. Das Niveau werde auf dem bisherigen Stand gehalten. Alle fünf Minuten gibt es neue Meldungen. Mit so einer Verwirrung kann ja kein Kapitalmarkt leben. Oder ist das jetzt der Versuch, vielleicht auf Währungsanleihen umzusteigen Oder vielleicht überhaupt aus dem Kapitalmarktverkehr auszusteigen?
    Will: Die Europäische Zentralbank will jetzt sicherlich nicht der schwarze Peter sein und durch das Zudrehen des Geldhahns das Land völlig in den Ruin treiben. Das müssen die politischen Kräfte schon selber entscheiden. Das ist die Entscheidungsebene von Merkel, Hollande und anderen. Es wird aber für Griechenland keine andere Möglichkeit geben, als nunmehr dann eine eigene neue Währung einzuführen, die dann stark abwerten wird. Das Land wird verarmen und darben und die griechischen Staatsschulden, die bislang aufgelaufen sind von 320 Milliarden Euro, die sind natürlich perdue (verloren).
    Köhler: Herr Will, Sie haben vor vier Jahren einen Krimi geschrieben, "Der Schwur von Piräus", und haben darin einen toten Banker gewissermaßen wiederauferstehen lassen. Und der hat einen Plan zur Rettung des Euros und zur Vermeidung von Weltwährungskriegen. Ich will jetzt nicht unnötig dramatisieren, aber wäre das ein mögliches Szenario, was sich nach einem Grexit bieten würde?
    Will: Ob man jemand wiederauferstehen lassen kann in der Realität, das sei mal dahingestellt. Aber die Griechen haben im Grunde keine Alternative. Sie werden so den Euro nicht behalten können. Sie werden auch keine Drachme an irgendeinen Dollar koppeln können, so ein fixes Wechselkurssystem, wie das Bretton Woods mal war, sondern sie werden nunmehr selber mit der gesellschaftlichen Einkunft über das, was sie in Zukunft als ihr Tauschmittel, als ihr Geld bezeichnen müssen, zurechtkommen. Ein Plan B, dass man mit einer anderen Währung, einer Parallelwährung arbeiten könnte, hülfe den Griechen ja über ihre Probleme nicht hinweg, weil die Staatsschulden sind ja da, die nicht leistungsfähige Wirtschaft ist ja da, dieses zu schlechte Steuersystem ist ja da und viele Dinge mehr. Jede Art von Währung ist ja nur eine Übereinkunft, was man als Tauschmittel einsetzt, und insofern müssen die Griechen an ihrer Wirtschaft operieren, an ihrem Staatswesen operieren und dann eine Währung haben, mit der sie arbeiten können. Das könnte im besten Fall der Euro sein, aber das ist natürlich seit vorgestern für die Griechen nicht mehr möglich.
    Köhler: Es ist ein schöner deutscher Tiefsinn, dass in dem Wort "Währung" Wahrheit steckt, in dem Wort "Gläubiger" der Glauben und in dem Wort "Kredit" noch mal der Glaube drinsteckt. Gegenwärtig hat man den Eindruck, die Griechen glauben selber nicht an die eigene Währung.
    Will: Nein, das tun sie nicht, und vor allen Dingen tut das nicht die griechische Regierung. Das griechische Volk hat sicherlich eine andere Meinung dazu, aber man muss dem griechischen Volk natürlich auch vorhalten, dass es sich diese Regierung gewählt hat mit Versprechen im Januar, die, auch wenn man bei Lichte sie betrachtet hätte, damals schon nicht einzuhalten waren. Insofern hat das Volk sich seine Regierung gewählt, die nunmehr das Land in dieses Desaster führt.
    Köhler: … sagt Markus Will, Ökonom, Hochschullehrer und Autor eines Krimis, "Der Schwur von Piräus", zum verlorenen Glauben an die Währung in dramatischen Tagen wie diesen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.