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Griechenland-Krise
"Diese Regierung hat das Land ins Chaos gestürzt"

Der CDU-Politiker Gunther Krichbaum lehnt ein mögliches weiteres Hilfspaket für Griechenland derzeit ab. Für weitere Finanzhilfen fehle die Grundlage, sagte er im Deutschlandfunk. Voraussetzung für Gelder aus dem Rettungsfonds ESM seien Ansteckungsgefahren für die Eurozone. Diese sehe er aber nicht.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Gunther Krichbaum, CDU, Vors. des Europaausschusses im Bundestag.
    Gunther Krichbaum, CDU, auf einem Foto aus dem Jahr 2011. (picture alliance / dpa / Zipi)
    Krichbaum ist Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag. Er betonte im DLF, die griechische Regierung sei für die Misere verantwortlich. Sie verweigere Reformen und habe das Land ins Chaos gestürzt. Er widersprach damit Äußerungen von Linkspartei-Chef Bernd Riexinger. Dieser hatte den Gläubigern im DLF eine verfehlte Politik vorgeworfen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Eine Mehrheit der Deutschen sieht die Schuld für die jüngste Eskalation der Schuldenkrise bei der Regierung in Athen. 68 Prozent der Befragten sagen das, nachzulesen im ARD-Deutschlandtrend. Die Deutschen zeigen sich gespalten, was den Verbleib Griechenlands in der Eurozone angeht. Jeweils 45 Prozent sind der Umfrage zufolge dafür beziehungsweise dagegen. Und es gibt einen Gewinner: Wolfgang Schäuble erzielt seinen bislang höchsten Beliebtheitswert im Deutschlandtrend mit 70 Prozent. In Griechenland ist der Bundesfinanzminister, sagen wir mal, nicht ganz so populär. Heute entscheidet das oberste griechische Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit des geplanten Referendums. Die Griechen sollen über die Hilfen und Zumutungen der Gläubiger abstimmen, und das wird auch in Berlin mit Spannung erwartet.
    Am Telefon ist Gunther Krichbaum (CDU), der Vorsitzende des Europaausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag.
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Tag, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Krichbaum, Sie haben Stephan Detjens Bericht mitgehört. Ist diese Ignoranz schuld an der Eskalation, die wir seit Wochen und Monaten beobachten?
    Krichbaum: Ja nun, man darf nicht vergessen, dass Griechenland einseitig den Verhandlungstisch verlassen hat. Das hat natürlich jetzt dazu geführt, dass das Programm auslief, ohne dass ein Anschlussprogramm vorhanden wäre. Dazu wurde die Schuld an den IWF nicht zurückbezahlt, also diese Regierung hat das Land natürlich in ein richtiggehendes Chaos gestürzt.
    Heinemann: Weil sie die Lage der Menschen verbessern wollte, weil sie das Bankensystem ordnen wollte und keinerlei Unterstützung von den Gläubigern erfahren hatte. Das hat jedenfalls heute Morgen Linken-Chef Bernd Riexinger bei uns im Deutschlandfunk gesagt.
    "Ziemlich unverantwortlich, was da geschieht"
    Krichbaum: Na ja, gut. Die Linken erzählen sehr viel dieser Tage. Sie fühlen ja mit der Regierung in Athen, die ihre Brüder im Geiste hier sind. Es ist schon ziemlich unverantwortlich, was hier geschieht, denn in der Tat hat ja Europa in den letzten Jahren sehr viel Solidarität bewiesen. Aber es war ein richtiger Satz von Kanzlerin Angela Merkel, als sie sagte, Solidarität wäre Solidität, und das hat sich ja auch bei all den anderen Ländern gezeigt, siehe in Spanien, in Portugal, aber auch in Irland, denn hier haben dann die Reformen ja auch dazu geführt, dass die Länder sehr, sehr stabil jetzt mittlerweile auch den Rettungsschirm wieder haben verlassen können. Spanien war da ein Sonderfall, klein klassisches Programmland. In Zypern sind wir sehr, sehr viel weiter gekommen, aber es haben auch andere Länder, die nicht klassische Programmländer waren, wie man dazu sagt, mittlerweile ihre Reformen durchgeführt. Das ist natürlich mit Einschnitten verbunden. Ohne das wird es nicht gehen. Aber wir haben natürlich nicht nur eine Reformverweigerung dieser Regierung, sondern mittlerweile eine sehr verfahrene Situation, und dafür trägt sie auch die Verantwortung.
    Heinemann: Einschnitte heißt Suppenküche, Arbeitslosigkeit und so weiter?
    Krichbaum: Nein, das heißt es gerade nicht, denn es ist ja sehr viel Geld hereingeflossen nach Athen. Aber es nutzt natürlich den Menschen tatsächlich nachher wenig, wenn es versickert, wenn die Korruption nicht bekämpft wird und wenn insbesondere auch keine staatliche Infrastruktur geschaffen wird. Ich darf daran erinnern, dass gerade auch im Jahre 2012 sogar eine technische Hilfe angeboten wurde aus der Eurogruppe heraus. Als Beispiel hatten die Niederländer gesagt, wir helfen beim Aufbau eines funktionierenden Gesundheitssystems. Wir hatten gesagt, wir helfen beim Aufbau einer kommunalen Selbstverwaltung. Die Franzosen haben gesagt, wir helfen beim Aufbau einer funktionierenden Steuerverwaltung. All diese Hilfe, um nur jetzt wenige Beispiele zu nennen, wurde bis heute nicht in Anspruch genommen mit der Folge, dass es heute Steueraußenstände gibt in Griechenland in einer Größenordnung von 68 Milliarden Euro. Das ist Geld, das dem Staat nicht nur zusteht, sondern er müsste damit natürlich dann auch entsprechend wirtschaften. Und ich glaube, die Menschen haben auch in Europa ein sehr feines Gespür dafür, dass man zunächst mal auch diejenigen in Anspruch nehmen muss, die die Staatsangehörigen sind, die auch leistungsfähig sind, bevor man den Rest Europas und die Steuerzahler in anderen Ländern hier zur Kasse bittet.
    Heinemann: Wäre ein Ja schwieriger für Angela Merkel als eine Ablehnung der Vorschläge der Gläubiger? Denn dann wird es richtig teuer.
    "Ein etwas skurriles Referendum"
    Krichbaum: Da muss man vielleicht die Dinge ein wenig ordnen. Mir persönlich scheint dieses Referendum ohnehin etwas skurril, denn es steht hier etwas zur Abstimmung, was eigentlich sich als Frage gar nicht mehr stellt. Das Programm ist ausgelaufen am letzten Dienstag. Das war, jetzt etwas technisch gesprochen, noch auf der Grundlage der sogenannten EFSF. Dieses ist weg und deswegen haben wir bei allem, was jetzt kommt, den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Wie gesagt, es klingt technisch, hat aber eine große Bedeutung, denn hier spielen auch andere Voraussetzungen eine Rolle. Es muss nicht nur der konkrete zu finanzierende Betrag feststehen und eine Schuldentragfähigkeitsanalyse auch einer gewissen Qualität auf dem Tisch liegen, sondern es darf insbesondere eine Ansteckungsgefahr von diesem Land dann oder es müsste keine Ansteckungsgefahr von diesem Land ausgehen, so man eben hier nicht hilft.
    Heinemann: Gab es aber bisher nicht!
    Krichbaum: Genau diese Ansteckungsgefahr sehe ich nicht, da haben Sie völlig Recht, denn hier sind wir in einem ganz, ganz anderen zeitlichen Kontext als noch vor vier oder fünf Jahren. In der Tat, da hätten wir einen verheerenden Dominoeffekt erlebt in Europa. Das ist so nicht mehr. Wir haben uns zum einen als Eurozone stabilisiert, ja immunisiert gegen Ansteckungsgefahren. Wir haben das europäische Semester, wir haben natürlich auch den ESM selbst, wir haben viele andere Instrumente, die uns sehr geholfen haben, bis hin zu einer Bankenunion. Und auf der anderen Seite haben wir natürlich auch gesehen, dass die EZB mit ihrer Politik in den letzten Jahren gewissermaßen die Risiken aus dem Markt herausgezogen hat, und genau deswegen sind auch hier Szenarien ausgeblieben, dass die Börsen nicht zusammengebrochen sind am Anfang dieser Woche.
    Vorgehen ähnlich wie bei Entwicklungsländern
    Heinemann: Apropos Szenarien. Wie ging es denn bei einem Ja weiter? Mit einem dritten Hilfspaket, oder käme der ESM wieder ins Spiel?
    Krichbaum: Das ist genau das, was ich gerade ins Spiel gebracht habe. Ein drittes Hilfspaket kann es ja dann auch nur auf der Grundlage des ESM geben. Das heißt, es müssten dann auch Ansteckungsgefahren für die Eurozone im Raum stehen. Genau dies sehe ich nicht und deswegen sehe ich auch nicht die Möglichkeit, ein drittes Paket auf Grundlage des ESM hier zu verabschieden. Das heißt natürlich nicht, dass man den Menschen nicht hilft, die hier von der Krise dann tatsächlich hart betroffen sind. Das bedeutet aber auch im Klartext, dass hier die Europäische Bank für Wiederaufbau in London, die Europäische Investitionsbank in Luxemburg Konzepte entwerfen muss, wie man die Realwirtschaft stärkt, wie man hier als Katalysator wirken kann, ähnlich wie es eine Weltbank tut mit Entwicklungsländern, weil eines klingt jetzt relativ hart, aber mit der Nichtüberweisung an den IWF hat sich Griechenland dort in eine traurige Reihe mit Simbabwe und Sudan oder anderen Ländern eingereiht, die ihrerseits ihren Verbindlichkeiten gegenüber dem IWF in der Vergangenheit nicht nachkamen.
    Heinemann. Herr Krichbaum, die Bundeskanzler Schmidt oder Kohl haben immer Europapolitik mit dem Scheckbuch betrieben, auch mit dem Scheckbuch betrieben, so empörend oder vielleicht so unverständlich das für viele Menschen hierzulande klingen mag. Ist das nicht auch Deutschlands Aufgabe, Konflikte mit den finanziellen Mitteln, über die das Land nun mal verfügt, auszugleichen?
    Ein Land muss selber Projekte definieren können
    Krichbaum: Wir haben ja sehr viel geholfen und das gerät letztlich auch hier immer wieder in Vergessenheit. Griechenland ist ja seit 1981 Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, später der Europäischen Union, und allein in diesem Zeitraum sind durch Infrastrukturfonds, Kohäsionsfonds und anderes mehr über 100 Milliarden Euro in das Land hineingeflossen. Man darf auch nicht vergessen, unabhängig von allen weiteren Initiativen, denn diese Mittel müssen normalerweise co-finanziert werden zu 50 Prozent aus dem eigenen Haushalt, dass wir dazu übergegangen waren, eine Co-Finanzierung nur noch in einer Höhe von fünf Prozent zu verlangen. Das heißt, das Geld kam direkt dann eigentlich auch aus Brüssel. Aber es ist dann auch wichtig, dass ein Land selber europäische Projekte definieren kann, um auch die Mittel dann dafür einzusetzen. Und noch einmal: Es muss auch gewährleistet sein, dass diese Gelder ihren Zweck erfüllen. Das Land hat es aber versäumt, und auch die Regierungen zuvor, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen, und es wäre verantwortungslos, Geld nur reinzuschicken, wenn ich dann nicht gewährleisten kann, dass dieses Geld auch seinen Zweck erfüllt. Nicht nach dem Motto, viel Geld hilft viel, sondern wir brauchen Strukturen, wir brauchen eine funktionierende staatliche Infrastruktur, und diese Regierung in Athen hat leider unter Beweis gestellt, dass sie dazu nicht in der Lage ist.
    Heinemann: Wobei sie - das haben Sie ja gerade angedeutet - da in einer Reihe steht mit Konservativen und Sozialisten vor ihnen. - Herr Krichbaum, was muss sich in der Eurozone ändern, damit ein Staat nicht mehr in eine solche Schieflage geraten kann?
    Krichbaum: Ich glaube, ganz wichtig ist erst einmal das eigene Selbstverständnis. Denn all die Reformen, die da notwendig sind, werden ja nicht zum Gefallen von Berlin, Brüssel oder Paris gemacht, sondern zunächst einmal im eigenen Interesse. Und genau dieses eigene Interesse wurde in allen vorhin auch erwähnten Ländern in Europa immer gesehen, ganz besonders beispielsweise auch in den baltischen Staaten. Hier waren die Einschnitte in der Relation im Übrigen wesentlich stärker als im Falle von Griechenland, und trotzdem haben es diese Länder gepackt, und genau das gehört dazu. Es ist eine Frage der Grundeinstellung, eine Frage der Mentalität, wie ich dann an diese Dinge herangehe. Wie gesagt, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Das darf es nicht sein. Da muss schon Gegenverkehr herrschen und deswegen muss natürlich auch Griechenland selber das Erforderliche tun und da wird auch die Europäische Union nicht ruhen, genau die Kräfte, die dafür notwendig sind, die stimuliert werden müssen auch in einer Gesellschaft, das auch entsprechend anzupacken und nach vorne zu tragen.
    "Wir sind auf alle Dinge vorbereitet"
    Krichbaum: Gunther Krichbaum (CDU), der Vorsitzende des Europaausschusses des Deutschen Bundestages. Ich nehme an, Sie haben Ihre Urlaubsplanung auf eine mögliche Sondersitzung des Bundestages schon eingestellt?
    Krichbaum: Wir müssen erst mal schauen, ob es überhaupt und wann es überhaupt zu Sondersitzungen kommt. Wie vorhin schon gesagt, es gibt die Schuldentragfähigkeitsanalyse, die man auch nicht gerade über Nacht entwickeln kann. Dazu ist es im Übrigen auch erforderlich, dass man wieder in das Land hineingehen kann, die Bücher angucken kann. Aber wir sind auf alle Dinge vorbereitet.
    Heinemann: Schaumer mal, wie der Kaiser sagt.
    Krichbaum: So ist es!
    Heinemann: Danke Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Krichbaum: Ja, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.