Gerd Breker: Nun ist also die Deadline gesetzt. Jetzt gibt es kein Vertun mehr. Bis zum nächsten Sondergipfel der Europäischen Union am kommenden Sonntag hat die Regierung Tsipras Zeit, einen belastbaren Plan vorzulegen, der die Eurozone dazu bewegen kann, neue Hilfsgelder zu bewilligen. Man sei auf den Grexit vorbereitet, aber wenn Griechenland bereit ist zu liefern, dann werde man auch helfen. Das die Kernaussage des gestrigen Gipfels der Eurozone, denn inzwischen wird deutlich, dass die Regierenden der Eurozone Probleme haben werden, Mehrheiten in ihren Parlamenten zu weiteren Griechenland-Hilfen zu bekommen.
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Reinhard Bütikofer, für Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Herr Bütikofer!
Am Telefon sind wir nun verbunden mit Reinhard Bütikofer, für Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Herr Bütikofer!
Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie, Herr Breker.
Breker: In der Volksabstimmung hat sich Griechenland gegen Sparpläne der Geldgeber ausgesprochen, und nun wird die Regierung Tsipras genötigt, solche Sparvorschläge vorzulegen. Sonst gibt es keine Euros mehr. Klingt irgendwie, Herr Bütikofer, wie Erpressung.
Bütikofer: Nun ja. Ich glaube, wenn wir ganz nüchtern sind und die Girlanden weg lassen, die Beschönigungen und das sich selbst Aufputschen im Rhetorischen, dann können wir feststellen, dass wahrscheinlich die Regierung Tsipras schon vor der Volksabstimmung einem Sparpaket zugestimmt hätte, wenn das Element einer Schuldenerleichterung dabei gewesen wäre. Das war, was die Regierung verlangt hat. Das ist von der Eurogruppe abgelehnt worden. Da war besonders Wolfgang Schäuble bockelhart. Und meines Erachtens ist das der Schlüssel. Die Griechen sind nicht so blöd, dass sie nicht wüssten, dass man jetzt nicht nach vorne kommt, wenn es nicht auch Sparmaßnahmen gibt, obwohl diese radikale Sparpolitik fehlgeschlagen ist. Aber ich finde, es ist falsch, sich jetzt auf diese Sparfragen zu fokussieren. Man muss sich auf zwei andere Dinge konzentrieren. Das eine ist: Ja sagen zu der Arbeit an einer Schuldenerleichterung. Und zweitens auf der griechischen Seite Reformen. Und ich finde, das muss man mal unterscheiden. Sparpolitik, die einfach nur wegkürzt, ist nicht dasselbe wie Reformen. Hätten wir, als wir Arbeitsmarktreformen gemacht haben vor zehn Jahren in Deutschland, so eine radikale Sparpolitik obendrauf gepackt, es wäre alles an die Wand gefahren. Das muss man mal unterscheiden.
Breker: Denn durch Sparen kann kein Wachstum entstehen. So einfach ist es.
Bütikofer: Man kann sich nicht ins Wachstum reinschrumpfen!
"Es muss die Tür aufgemacht werden zu einer Schuldenerleichterung"
Breker: Ist die Hilfe für Griechenland zu einer Auseinandersetzung von Ideologien geworden? Ist Ökonomie wichtiger als Politik?
Bütikofer: In der Debatte heute Morgen im Europäischen Parlament hier in Straßburg ist von allen Seiten mehr oder weniger offen Ideologie bemüht worden. Und ich bin einer, der auch Freude hat daran, ideologische Gefechte auszufechten. Aber jetzt in dieser allerletzten Stunde - und ich finde, das Dramatischste an dieser aufgeregten Debatte heute Morgen war die ruhige Einleitung von Präsident Tusk, denn darin war die eigentliche ernste Lage abzulesen -, in dieser Situation jetzt ideologische Gefechte führen zu wollen, ist, egal wer es macht, falsch. Deswegen fand ich es auch grottenschlecht und richtig Öl ins Feuer gegossen, was der Fraktionsvorsitzende Weber von der CSU heute gemacht hat, der da unsäglich aufgetreten ist. Es muss ein Ja geben zu zwei entscheidenden Punkten. Es muss die Tür aufgemacht werden zu einer Schuldenerleichterung und es müssen diese ewig versprochenen Reformen glaubwürdig auf den Tisch gelegt werden. Nur wenn die beiden Elemente zusammenkommen, wird es einen gemeinsamen Weg nach vorne geben. Ohne das schlittern wir in den Grexit.
"Nicht möglich, bis zum Sonntag da eine fix und fertige Lösung zu finden"
Breker: Die Griechen - Sie sagen es, Herr Bütikofer - fordern einen Schuldenschnitt, damit das Land auch eine Perspektive habe. Das will aber die Mehrheit der anderen in der Eurozone nicht, denn dann müssten sie ja zugeben, dass dieses Geld weg ist. Das müssten sie ihren Steuerzahlern erklären. Deshalb wollen sie es nicht. Aber ist das nicht eigentlich ein Scheingefecht?
Bütikofer: Ich finde auch. In der Weise, in der es jetzt geführt wird, ist es ein Scheingefecht, weil es geht jetzt nicht einfach um einen Schuldenschnitt und es geht auch nicht so schnell und es geht auch nicht so, dass man völlig ignoriert die Lage von Portugal oder Spanien oder Irland und sich jetzt einfach nur auf Griechenland konzentriert. Deswegen habe ich auch bewusst nicht einfach nur von Schuldenschnitt gesprochen. Es gibt verschiedene technische Möglichkeiten. Entscheidend ist der politische Wille anzuerkennen, was die Fakten sind, und da geht es nicht um Ideologie, da geht es um Adam Riese. Wenn der IWF vorrechnet, dass dieses Belastungsniveau, das die griechischen Staatsschulden erreicht haben, nie und nimmer tragbar ist, dann muss man dieser Realität mal Respekt zollen. Und ich glaube nicht, dass es jetzt darauf ankommt, das ist gar nicht möglich, bis zum Sonntag da eine fix und fertige Lösung zu finden. Aber man muss das Vertrauen wiederaufbauen, dass Europa sich nicht weiter um diese Sache herumdrückt, weil vielleicht Frau Merkel fürchtet, oder Herr Schäuble fürchtet, ihre Versprechungen, dass es nie jemand was kosten wird, erweisen sich als auf Sand gebaut. Man muss aufhören mit dem Opportunismus gegenüber den illusionären Versprechungen, die man selber den Wählern gemacht hat, und den Ernst der Lage für das ganze europäische Projekt erkennen.
"Die EZB spielt ihre Rolle im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitgehend optimal"
Breker: Herr Bütikofer, den Griechen - lassen Sie uns konkret werden - geht so langsam das Geld aus. Die EZB hat aber die Nothilfen eingefroren auf 90 Milliarden. Muss sie die nicht erhöhen, damit das alltägliche Leben in Griechenland weitergehen kann?
Bütikofer: In der Sache müsste die EZB das tun. Die EZB möchte aber nicht - und das verstehe ich nun auch wiederum - in die eine oder die andere Richtung Entscheidungen treffen, die als politische Vorwegnahme des einen oder anderen Ergebnisses interpretiert würden. Wenn sie sagt, wir machen mit den Notkrediten ganz das Buch zu, dann haben sie praktisch Griechenland aus dem Euro rausgekickt. Deswegen machen sie das nicht, obwohl sie dafür von vielen kritisiert werden. Und wenn sie auf der anderen Seite Erleichterungen draufpacken, dann wird ihnen von der Gegenseite vorgeworfen, ihr signalisiert ja, dass wir uns immer weiter am Nasenring durch die Manege ziehen lassen, und ihr wollt ja gar nicht darauf bestehen, dass es wirklich eine Verabredung gibt. Deswegen würde ich die EZB als Allerletzte kritisieren. Die EZB spielt ihre Rolle meines Erachtens im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitgehend optimal.
Das Problem ist, dass die EZB ständig Ersatzlösungen sich aus den Fingern saugen muss, weil die Politiker die politischen Lösungen nicht zustande bringen, und das meint insbesondere die Politiker aus den europäischen Führungsnationen. Es ist nun mal so, dass in einer solchen Situation die stärkeren Länder Führungsstärke zeigen müssen, indem sie vorangehen und nicht nur an die heimische Kulisse denken.
"Nachhaltig ist nicht, einfach am Status quo festzuhalten"
Breker: Herr Bütikofer, vielleicht zum Schluss noch etwas Grundsätzliches. Die europäische Währung, der Euro ist ja mal eingeführt worden, um eine gewisse Integrationswirkung zu schaffen. Was lernen wir nun darüber? Das Projekt Europa hat doch definitiv Schaden genommen.
Bütikofer: Das Projekt Europa hat deswegen Schaden genommen, weil erstens die Euro-Einführung nur ein halber Schritt nach vorne war. Man hätte die europäische wirtschaftspolitische Integration eben auch nach vorne bringen müssen, und das war ein Fehler, den damals die Franzosen zu verantworten hatten, dass dieser Schritt verweigert wurde. Und man hat dann, nachdem es mit dem Euro eine Zeit lang ja gut lief und das schöne Wetter andauerte, versäumt, weiter dran zu bleiben an diesem Thema und es nachzuarbeiten. Daraus folgt aber nicht, dass der Euro an sich der Fehler gewesen sei, wie es ein paar Europafeinde kolportieren. Es folgt nur: Nachhaltig ist nicht, einfach am Status quo festzuhalten. Wir müssen vorwärts oder zurück. Einfach still stehen heißt umfallen wie beim Fahrrad.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Reinhard Bütikofer. Er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament. Herr Bütikofer, danke für das Gespräch.
Bütikofer: Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.