Thomas Oppermann (SPD) sagte im Deutschlandfunk, er sei entsetzt darüber, dass Athen in der vergangenen Nacht die Zusammenarbeit mit den internationalen Geldgebern praktisch aufgegeben habe. Wenn Ministerpräsident Alexis Tsipras ein Referendum vorschlage und gleichzeitig die Ablehnung des Reformplans empfehle, sei dies ein destruktiver Akt. Tsipras setze auf die Volksabstimmung, weil er selbst keine Verantwortung übernehmen wolle, meinte der Fraktionschef.
Auf die Frage, ob die Europäische Zentralbank weitere Notkredite an griechische Banken überweisen sollte, bleibt der SPD-Politiker zurückhaltend. Das müsse vernünftig im "geltenden rechtlichen Rahmen entschieden werden, unter Berücksichtigung dessen, was jetzt passieren kann." Die Ankündigung Tsipras´ die Verhandlungen zu beenden, habe schon zu panikartigen Reaktionen in Griechenland geführt. Für Oppermann ist klar: Sollte es am Ende eine Zukunft Griechenlands außerhalb der Euro-Zone geben, braucht Griechenland Hilfe, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. "Dann allerdings auch mit den notwendigen Reformen, und Griechenland muss unbedingt Mitglied in der Europäischen Union bleiben. Daran darf nicht der geringste Zweifel bestehen!"
Hier können Sie das vollständige Interview mit Thomas Oppermann nachlesen:
Frank Capellan: Das Interview der Woche, heute in etwas anderer Form, als Sie es an dieser Stelle gewohnt sind. Ich begrüße den SPD-Fraktionsvorsitzenden nun direkt am Telefon, in seiner Heimatstadt Göttingen: Guten Morgen Thomas Oppermann.
Thomas Oppermann: Guten Morgen Herr Capellan.
Capellan: Herr Oppermann, wir hatten uns bereits Ende der Woche zum Interview in Berlin verabredet zu einem Zeitpunkt, als wir beide ja nicht ahnen konnten, wie dramatisch sich das Ringen um Griechenland noch zuspitzen würde. Sie haben da immer wieder betont, wie wichtig es sei, für den Verbleib des Landes Griechenland in der Euro-Zone zu kämpfen. Ist das nun endgültig gescheitert oder gibt es doch noch irgendeine Chance, den Grexit abzuwenden?
Referendum ist Abstimmung gegen Verhandlungspartner
Oppermann: Ich bin entsetzt über das Verhalten der griechischen Regierung. Sie hat in der Nacht zu Samstag praktisch die Zusammenarbeit aufgekündigt und die Verhandlungen abgebrochen. Ich war bis dahin optimistisch, dass es zu einer Einigung kommen würde. Aber die Ankündigung eines Referendums über die Angebote der Europäischen Union, über die Angebote der Euro-Zone, mit der Empfehlung, diese abzulehnen, ist ein destruktiver Akt. Ich hätte eine Volksabstimmung über das, was wir den Griechen anbieten oder anbieten können, gut gefunden.
Eine offene Volksabstimmung, wo die Griechen entscheiden können: Wollen wir das oder wollen wir das nicht. Aber die Volksabstimmung, die Herr Tsipras offenbar plant, das ist keine solche Abstimmung, sondern das ist eine Abstimmung praktisch gegen die Verhandlungspartner.
Capellan: Herr Oppermann, nun hat allerdings Sigmar Gabriel gestern Morgen bei uns im Deutschlandfunk bereits gesagt, man solle diese Volksabstimmung doch ernst nehmen, das sei möglicherweise auch eine Chance für die ganze Sache. Gibt es da Uneinigkeiten in der SPD-Spitze mit Blick auf diese Volksabstimmung?
Oppermann: Nein, wir sind exakt der gleichen Meinung. Ich habe ja gesagt, auch ich befürworte die Idee einer Volksabstimmung – sie ist damals Ministerpräsident Papandreou verweigert worden. Das war ein Fehler, weil mit einer solchen Entscheidung hätte man der griechischen Bevölkerung die Chance gegeben, zu diesem Programm zu stehen und hätte eine andere politische Legitimation gehabt. Ich bin nicht gegen eine Volksabstimmung über die Angebote, die jetzt im Raum stehen, aber Herr Tsipras will diese Volksabstimmung, weil er selber keine Verantwortung übernehmen will. Er sagt: Ich kann das nicht annehmen und lege das jetzt dem Volk vor und empfehle dem Volk, das abzulehnen – dann stehen sie am Ende vor dem Nichts.
Capellan: Die Frage ist ja, Herr Oppermann, wird die griechische Bevölkerung ihm wirklich folgen? Es könnte ja auch sein, dass sie das Verhandlungsergebnis anerkennen und sagen: Ja, wir lassen uns auf diese Vereinbarungen mit den Institutionen, mit den Geldgebern ein. Wäre das nicht das Aus für die Linksregierung in Athen und würde das möglicherweise eine neue Chance für neue Verhandlungen ergeben?
Tsipras treibt die Leute in Panik
Oppermann: Ich würde jede Chance begrüßen. Ich will nicht darüber spekulieren, wie die Volksabstimmung ausgehen könnte; und wir kennen nicht mal die exakte Grundlage dieser Volksabstimmung, die innerhalb einer Woche organisiert werden soll. Entscheidend ist doch im Augenblick, dass wir in Griechenland keinen Verhandlungspartner mehr haben. Herr Tsipras treibt die Leute in Griechenland in die Panik. Die Menschen sind die Leidtragenden.
Ich empfinde eine große Solidarität mit den Griechen und Griechinnen, die im Augenblick hilflos sind und dringend Orientierung brauchen. Herr Tsipras ist nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, sondern schiebt alles auf die Europäische Kommission und auf die Euro-Zone. Ich finde, das ist ein total unverantwortliches Verhalten.
Capellan: Nun hat Sigmar Gabriel, der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende, eine Israel-Reise, die er eigentlich heute mittag antreten wollte, abgesagt. Ist das ein Zeichen dafür, dass er gefragt ist, dass möglicherweise auch die Kanzlerin in letzter Minute versucht, doch noch etwas zu bewegen in der Griechenlandkrise?
Oppermann: Wenn sich Möglichkeiten ergeben sollten, die Situation noch zu verändern, dann müssen sie unbedingt genutzt werden. Das setzt aber voraus, dass Herr Tsipras wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrt, den er verlassen hat. Herr Juncker, aber auch Martin Schulz, aber auch die Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister Schäuble, haben ja bis zum Schluss sich bemüht, die Griechen zu einem Kompromiss zu bringen und ihnen auch Brücken zu bauen.
Ich muss sagen, ich bin sehr enttäuscht von dieser griechischen Regierung. Seit Monaten ziehen die Reichen ihr Geld aus Griechenland ab und bringen es ins Ausland und die sozialistische Regierung schaut tatenlos zu. Und jetzt will Herr Tsipras von Europa Geld, aber er ist nicht bereit, als Gegenleistung auch strukturelle Reformen auf den Weg zu bringen, die die Situation in Griechenland grundlegend im positiven Sinne verbessern. Solidarität, ja, aber es muss auch eine Gegenleistung geben, und das muss die Reformbereitschaft der griechischen Regierung sein – und das lehnt Herr Tsipras ab!
Capellan: Noch einmal gefragt nach der Kanzlerin, nach Angela Merkel, die hat ja in der vergangene Woche noch gesagt: "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!" Sollte das griechische Volk nächsten Sonntag "Ja" zu den Vereinbarungen sagen, "Ja" zu einer Einigung mit den Geldgebern? Wäre das ein Auftrag, doch noch einmal alles auf Anfang zu stellen?
Oppermann: Wenn das das Ergebnis eines Volksentscheides wäre und tatsächlich dann auch über das Angebot der europäische Seite abgestimmt werden sollte, dann hätte allerdings die griechische Bevölkerung der eigenen Regierung doch klar die Grenzen aufgezeigt, dann müsste diese Regierung wieder verhandeln, wenn sie denn überhaupt noch legitimiert wäre, solche Verhandlungen zu führen.
Capellan: Nun wird wahrscheinlich schon in den kommenden Tagen das Geld knapp werden in Griechenland. Die Frage ist, ob die Menschen überhaupt noch Geld an den Automaten bekommen werden morgen. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss in den kommenden Tagen eigentlich Notkredite an die Banken in Griechenland zahlen, um eine Bargeldversorgung überhaupt noch sicherstellen zu können. Zur Stunde tagt das EZB-Direktorium in einer Sondersitzung. Sollte es diese Zahlungen geben? Muss es sie geben? Denn das Geld, was jetzt da nach Athen geschickt wird, das wäre wohl endgültig für immer verloren?
Oppermann: Die Europäische Zentralbank hat ja diese ELA-Notkredite schon in der Höhe von 90 Milliarden Euro bewilligt, sonst wären die griechischen Banken gar nicht mehr in der Lage, Geld auszuzahlen. Es gibt Kritiker, die sagen, dass damit schon die Grenze, die rechtlichen Befugnisse der EZB überschritten seien. Ich kann nur an den EZB-Rat appellieren, jetzt eine vernünftige Entscheidung zu treffen.
Capellan: Und vernünftig wäre, jetzt die Zahlungen direkt einzustellen?
Oppermann: Darüber erlaube ich mir kein Urteil. Das ist eine Entscheidung, die die EZB unabhängig zu treffen hat, und zwar im geltenden rechtlichen Rahmen und unter Berücksichtigung dessen, was jetzt passieren kann. Herr Tsipras' Ankündigung, die Verhandlungen abzubrechen, hat ja in Griechenland schon zu panischen Reaktionen geführt. Jetzt muss man einen Mittelweg finden, wie man wieder Ruhe in den ganzen Prozess hineinbringen kann, um die Panik nicht noch zu vergrößern.
Griechenland muss in der EU bleiben
Capellan: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" – ein Wort ebenfalls der Bundeskanzlerin. Sigmar Gabriel, Ihr Vize, hat daraufhin gesagt: "Der Aggregatzustand der gemeinsamen Währung, der verändert sich mit einem Ausstieg Griechenlands von "solide und fest" auf "flüssig"." Scheitert also in Ihren Augen der Euro, wenn Griechenland rausfliegt?
Oppermann: Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. Ich sehe auch nicht, dass eine Zahlungsunfähigkeit von Griechenland von heute auf morgen zum Ausstieg aus dem Euro führt. Wir werden dann eine Übergangssituation haben.
Capellan: Also nicht in der kommenden Woche, wie das viele vorhersagen?
Oppermann: Ganz sicher nicht. Wir werden eine Übergangssituation haben, und in dieser Situation müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie ein Wiederaufbauprogramm in Griechenland auf den Weg gebracht werden kann. Wenn es am Ende für Griechenland eine Zukunft außerhalb der Euro-Zone gibt, dann braucht Griechenland Hilfe, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen – allerdings dann auch mit den notwendigen Reformen, die gemacht werden müssen. Und Griechenland muss unbedingt in der Europäischen Union bleiben, daran darf nicht der geringste Zweifel bestehen.
Capellan: Herr Oppermann, die Stabilität der Währung sorgt auch viele Deutsche hierzulande. Durch die Zinspolitik der EZB haben viele schon sehr viel Geld verloren. Wird sich das nun fortsetzen? Für Deutschland stehen immerhin – das sagen Experten – 80 Milliarden Euro im Feuer – fast ein Viertel des Bundeshaushaltes. Können wir das so einfach wegstecken?
Oppermann: Im Augenblick stehen die noch nicht zur Disposition. Wir müssen jetzt schauen, wie die Dinge sich entwickeln und dürfen jetzt nicht unsererseits die Panik, die sowieso schon da ist, noch verstärken. Wir werden, denke ich, alle Dinge, die jetzt kommen, bewältigen können. Wir sind stark genug. Es steht viel Geld im Feuer, da haben Sie recht, aber ob diese Kredite komplett abgeschrieben werden müssen oder nicht, das kann erst später richtig bewertet werden.
Capellan: Sie, als Parlamentarier, als SPD-Fraktionsvorsitzender, tragen da große Verantwortung auf Sondersitzungen. In den kommenden Tagen waren Sie darauf eingestellt, aber eigentlich gibt es jetzt für den Bundestag nichts zu beraten, oder?
Oppermann: Natürlich muss nächste Woche die Situation in Griechenland beraten werden. Wir werden uns darüber verständigen, in welcher Form wir das tun. Solange es aber keine verhandelte Einigung der Euro-Zone gibt, über die Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms, können wir als Bundestag dieser auch nicht zustimmen.
Scheitern Griechenlands wäre Zeichen der Schwäche
Capellan: Sie haben gesagt, wirtschaftlich sei der Ausstieg Griechenland aus dem Euro möglicherweise zu verkraften, aber politisch wäre das ein fatales Signal. Sie sorgen sich um die Zukunft Europas. Dieser Ausstieg, wäre das auch ein Signal, ein falsches, in Richtung Großbritannien? Denn dort steht ja möglicherweise ein Referendum über einen Ausstieg aus der Europäischen Union in Aussicht.
Oppermann: Ein Scheitern Griechenlands wäre ganz gewiss ein Zeichen der Schwäche. Deshalb muss jetzt alles getan werden, um die Zusammenarbeit in der Euro-Zone zu vertiefen. Die Euro-Zone muss insgesamt stärker werden. Und solche Dramen, wie wir sie in diesen Wochen oder in diesen Jahren mit Griechenland erlebt haben, dürfen sich nicht wiederholen. Wir müssen uns dagegen wappnen, dass die Euro-Zone wieder zum Gegenstand, zum Spekulationsobjekt gemacht wird. Und das geht nur, indem wir die wirtschaftliche und finanzpolitische Zusammenarbeit in der Euro-Zone vertiefen.
Wir brauchen Europa jetzt mehr als je zuvor
Capellan: Wir haben nie so viel von Misstrauen, von Verärgerung, von Ultimaten gehört, wie in den vergangenen Tagen aus Brüssel. Auch in der Flüchtlingspolitik ist die Europäische Union zerstritten. Steht die europäische Idee in diesen Tagen auf dem Spiel?
Oppermann: Europa ist in einer schwierigen Verfassung – keine Frage. Die Volksabstimmung in Großbritannien, aber auch das Verhalten der osteuropäischen Länder, sich nicht an einer fairen Verteilung der Flüchtlinge zu beteiligen, die Situation in Griechenland, all das darf aber insgesamt nicht dazu führen, dass wir die große Idee von Europa aufgeben.
Wir brauchen Europa jetzt mehr als je zuvor. Wir haben Instabilität überall in der Welt, wir haben die Gefahr des Terrorismus, wir haben den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, und in dieser Situation müssen wir jetzt alles dafür tun, dass Europa zusammen bleibt, dass wir weiter zusammen handlungs- und entscheidungsfähig sind. Vor allen Dingen müssen wir wirtschaftlich stark bleiben, weil das die Grundlage für vieles andere ist.
Capellan: Thomas Oppermann, Sie haben auch an diesem Sonntag noch weitere Termine, deshalb ganz herzlichen Dank, dass Sie sich aktuell Zeit genommen haben für diese Einschätzung. Danke nach Göttingen. Auf Wiederhören.
Oppermann: Ich danke auch Ihnen.
Capellan: Und ich sagte es eingangs, wir hatten vor diesem Telefonat bereits Gelegenheit zu einem ausführlichen Studiogespräch, und dabei haben wir über andere wichtige Fragen jenseits der Griechenlandkrise gesprochen.
Capellan: Herr Oppermann, das sind turbulente Zeiten für Sie, kurz vor der Sommerpause. Sie müssen die Haltung Ihrer Fraktion zu Griechenland sortieren, Sie stehen andererseits persönlich weiter unter Druck. Manche sagen auch, Sie stehen auf der Anklagebank – Stichwort: "Edathy Untersuchungsausschuss". Vergangene Woche ging es da um die Frage, wer Ihnen wann von dem Kinderpornografie-Verdacht gegen Ihren ja sehr renommierten ehemaligen Innenpolitiker, Sebastian Edathy, erzählt hat.
Es geht um den 17. Oktober 2013. Sie waren damals Geschäftsführer der Fraktion, gerade in Sondierungen mit der Union über eine Koalition. Sie mussten verhindern, dass Edathy ein wichtiges Amt bekommen würde. Sie haben den damaligen BKA-Chef, Jörg Ziercke, angerufen, ihn gefragt, was dran ist, an diesen Gerüchten, die es damals gab, kurz, nachdem Sie von Sigmar Gabriel informiert worden waren – das ist Ihre Version, die Sie immer wieder geschildert haben. Sind Sie enttäuscht, dass Sie der Parteivorsitzende nicht wirklich entlasten konnte in dieser Frage?
Oppermann: Ich glaube, Herr Capellan, Sie haben Verständnis dafür, wenn ich diese Fragen erst mal im Untersuchungsausschuss beantworten will. Ich habe letzte Woche dort alle Fragen beantwortet, die gestellt worden sind. Und ich werde auch nächste Woche alle Fragen beantworten, die mir gestellt werden. Aber ich werde nicht vorher schon im Deutschlandfunk die Fragen dazu beantworten. Wenn ich mit dem Untersuchungsausschuss durch bin, komme ich gerne auch wieder ins Radio und wir können darüber reden.
Capellan: Aber das war ja alles öffentlich, also auch was Sie da geäußert haben über dieses Telefonat mit Jörg Ziercke. Da weiß man, 15:29 Uhr hat das stattgefunden, dann hat der Parteivorsitzende – der ja auch befragt wurde im Untersuchungsausschuss – gesagt: "Na ja, ich weiß nicht genau, wann ich mit Thomas Oppermann telefoniert habe, vielleicht war es am Abend, vielleicht auch vorher". Also eine wirkliche Entlastung sähe doch anders aus?
Oppermann: Sie werden in der nächsten Woche sehen, dass ich alle Fragen klar beantworten kann. Und ich werde die Fragen der Abgeordneten beantworten – so viel Respekt muss sein. Ich befinde mich gerade in einer unterbrochenen Zeugenvernehmung und deshalb, wenn wir nächste Woche damit durch sind, komme ich gerne noch mal und wenn dann noch Fragen offen sind, beantworte ich auch alle Fragen des Deutschlandfunks.
Niemand hat Edathy gewarnt
Capellan: Okay, dann muss ich es jetzt ein bisschen allgemeiner versuchen. Es drängt sich bei vielen Bürgern der Eindruck auf: Die Sozialdemokraten kungeln; da soll vertuscht werden, dass ein Parteimitglied – Sebastian Edathy – vorzeitig gewarnt worden ist, weil es schwere Vorwürfe gegen ihn gab. Wie wollen Sie dem denn entgegentreten, diesem Eindruck?
Oppermann: Wir haben Informationen von Innenminister Friedrich bekommen, über einen möglichen Verdacht, und ich bin ganz sicher, dass niemand diese Information verwendet hat, um Sebastian Edathy zu warnen.
Capellan: Es geht einerseits um den Untersuchungsausschuss, es geht aber auch um ein schwebendes Verfahren in der SPD, Sebastian Edathy aus der Partei auszuschließen. Da gab es den Spruch eines Schiedsgerichtes – eines parteiinternen –, man solle seine Parteimitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Die Parteiführung will sich darauf nicht einlassen, Sebastian Edathy soll aus der SPD fliegen. Warum?
Oppermann: Ich mache zu laufenden Parteiordnungsverfahren keine Anmerkungen oder Kommentare.
BND-Aktivitäten liegen in Verantwortung des Kanzleramts
Capellan: Sebastian Edathy war im Frühjahr 2014 eine Belastung für die Koalition, jetzt ist es sicherlich ein anderes Thema: Die NSA-Affäre. Sigmar Gabriel, der SPD-Chef, hat die Sache eskalieren lassen mit einer überraschenden öffentlichen Attacke gegen die Kanzlerin. Er sagte: "Zweimal habe ich sie gefragt: Hat der BND im Auftrag der Amerikaner Wirtschaftsspionage betrieben? Zweimal wurde das verneint von Angela Merkel". Der Vizekanzler hat da aus vertraulichen Gesprächen berichtet. Verstehen Sie, dass Angela Merkel darüber wenig begeistert ist?
Oppermann: Nun, die Verantwortung für die Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes liegen ganz klar im Kanzleramt und in letzter Instanz dort bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das hat Sigmar Gabriel klargestellt und darüber darf sich niemand beschweren.
Capellan: Nun hat er aber die Latte sehr hoch gelegt, denn sollte sich anderes herausstellen, dann könnte die SPD die Kanzlerin der Lüge bezichtigen.
Oppermann: Nun, jetzt geht es erst mal darum, herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Es ist der Vorwurf im Raum, dass der Bundesnachrichtendienst der NSA geholfen haben könnte, Unternehmen, deutsche oder europäische Unternehmen auszuspionieren, aber auch befreundete Regierungen– das wäre nicht statthaft.
Wir haben jetzt ein Verfahren gefunden – mit dem die Amerikaner nicht einverstanden sind, aber wir werden es trotzdem durchziehen –, indem ein Sachverständiger, eine sachverständige Vertrauensperson, vollständigen Einblick in die geheimen Unterlagen erhält, auch in die Selektoren, dass dann danach berichtet wird über das, was passiert ist. Da werden keine geheimhaltungsbedürftigen Details verraten, aber wir wollen in typisierter Form schon wissen: Was ist da passiert? Wenn dieser Beauftragte, wenn diese sachverständige Person, nicht befriedigend für Aufklärung sorgen kann, behalten wir uns alle weitergehenden Rechte vor.
Ermittlungsbeauftragter in NSA-Affäre ist ein Option
Capellan: Das wäre zum Beispiel?
Oppermann: Zum Beispiel ein Ermittlungsbeauftragter, der ausschließlich vom Parlament entsandt wird. Dies ist ja ein Ermittlungsbeaufragter, auf den sich das Parlament und die Regierung gemeinsam verständigt haben.
Capellan: Also wäre doch die beste Lösung, dass man zumindest zwei Leute auf die Einsicht der Selektorenliste, dieser IP-Adressen – das muss man noch mal sagen –, Telekommunikationsverbindungen, dass man sich darauf einlassen würde, dass das zwei unter die Lupe nehmen?
Oppermann: Wir hätten auch zwei Sachverständige akzeptiert, die Grünen haben aber sofort klar gemacht, dass sie sich an dieser Sache nicht beteiligen wollen. Entscheidend ist: Das Parlament hat weiter das Heft in der Hand. Ich rechne aber schon jetzt mit interessanten Aufklärungsergebnissen.
Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit USA muss bleibt
Capellan: Die Kanzlerin hat damals gesagt, als bekannt wurde, dass auch sie im Visier der NSA stand: "Abhören unter Freunden geht gar nicht!". Die Frage ist nur: Was war die Konsequenz daraus? Jetzt erfahren wir, wie sehr auch die Franzosen möglicherweise mit Mitwirkung des BND abgehört worden sind. Warum muss man da so viel Rücksicht jetzt nehmen auf die Amerikaner – Stichwort: "Selektorenliste", Sie haben das gerade angesprochen – lässt sich Angela Merkel von Washington an der Nase herumführen?
Oppermann: Es geht nicht darum, die Amerikaner durch falsche Rücksichtnahme zu schonen, sondern wir müssen selbstverständlich auch Vereinbarungen respektieren und beachten: Pacta sunt servanda. Ich meine, wir wollen ja, dass die Tätigkeit der Nachrichtendienste sozusagen rechtlich geregelt, eingehegt, begrenzt wird, und wenn wir rechtliche Maßstäbe setzen wollen, dann müssen wir auch erst einmal rechtliche Vereinbarungen selber respektieren. Im Übrigen glaube ich, dass wir unbedingt an einer Sicherheitspartnerschaft mit den USA, dass wir die nicht infrage stellen sollten. Wir brauchen Informationen, um uns vor schweren Anschlägen zu schützen. Und deshalb brauchen wir auch weiterhin eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den USA.
Capellan: Das heißt, aber im Klartext: Der BND ist zu sehr von der NSA abhängig und ist viel zu schlecht finanziell ausgestattet, als dass wir es uns mit den Amerikaner verscherzen könnten?
Oppermann: Ich glaube –richtig –, der BND ist eine große Baustelle. Er muss besser werden. Er braucht auch bessere gesetzliche Grundlagen. Er muss eindeutig legitimiert werden für das, was er tun soll, nämlich Nachrichten zu sammeln. Vor allen Dingen muss er aber auch besser kontrolliert und gesteuert werden – aus dem Kanzleramt. Denn die Dinge da, um die es jetzt geht, sind ja offenkundig nicht hochgemeldet worden an die politisch Verantwortlichen. Und wir brauchen eine bessere parlamentarische Kontrolle, sodass die Mitarbeiter des BND wissen, was sie tun, das kann jeden Tag Gegenstand parlamentarischer Kontrolle werden. Und deshalb sollte jeder auch darauf achten, dass er in diesen verantwortungsvollen Aufgaben, die dort wahrgenommen werden, sich immer an Recht und Gesetz hält.
Capellan: Sie reiben sich an der Union in der Geheimdienstaffäre, beim Thema Vorratsdatenspeicherung dagegen ist Sigmar Gabriel ohne Not auf den Koalitionspartner zugegangen, hat ein Angebot gemacht. Man hatte zunächst ja gesagt, wir werden da nur auf europäischer Ebene eine Lösung finden, mit Blick auf das anlasslose Datensammeln. Warum musste er das in Ihren Augen tun?
Oppermann: Im Koalitionsvertrag war vereinbart, dass wir eine rechtsstaatlich eng gefasste Vorratsdatenspeicherung einführen.
Vorratsdatenspeicherung ist für die SPD eine schwierige Frage
Capellan: Auf europäischer Ebene.
Oppermann: Natürlich war das im Kontext mit der EU-Richtlinie, die inzwischen vom Europäischen Gerichtshof für nichtig erklärt worden ist, gleichwohl gibt es überall in Europa Vorratsdatenspeicherung, mit zum Teil sehr langen Fristen, mit bis zu zwei Jahren. Und dies ist ein wichtiges Instrument für Ermittlungsbehörden, um schwere Verbrechen aufzuklären. Und für uns Sozialdemokraten ist das eine schwierige Frage. Das ist bei uns anders, als bei den Konservativen oder bei den Liberalen. Für die Konservativen ist im Konflikt, zwischen Freiheit und Sicherheit, die Sicherheit immer das Wichtige und dafür muss dann auch die Freiheit eingeschränkt werden.
Capellan: Die Ikone der Freiheit in der SPD war für viele SPD-Linke gerade Heiko Maas, der Justizminister, der bis zuletzt gesagt hat, es wird keine Vorratsdatenspeicherung geben, es sei denn, wir einigen uns auf europäischer Ebene. Sigmar Gabriel hat ihn zu einer 180-Grad-Kehrtwende gezwungen. Thorsten Schäfer-Gümbel, der stellvertretende SPD-Vorsitzende, sagt nun, das war eine Operation am offenen Herzen der SPD. Das können wir uns nicht noch einmal erlauben. Warum war das dennoch nötig? Denn in den Augen vieler Sozialdemokraten hat doch Heiko Maas erheblich an Glaubwürdigkeit verloren.
Oppermann: Ich finde, dass Heiko Maas in dieser Debatte an Statur gewonnen hat. Denn er hat mit diesem Gesetzentwurf die Abwägung von Freiheitsrechten auf der einen Seite und den notwendigen Instrumenten, die ein Staat auch braucht, um Verbrechen aufzuklären, genau das richtige Maß gefunden. Er kombiniert die kürzesten Speicherfristen mit den engsten Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten für die Sicherheitsbehörden. Damit kriegen wir das europaweit und vermutlich weltweit engste, fortschrittlichste und modernste Gesetz über die Speicherung von Daten. Und ich meine, das wird ja immer wieder falsch verstanden: Es werden ja keine Inhalte gespeichert, es werden Verbindungsdaten gespeichert.
Capellan: Dennoch konnte der SPD-Vorsitzende die Basis davon nur überzeugen, indem er die persönliche Vertrauensfrage stellte. Warum musste dieses "Basta" von Sigmar Gabriel sein, die Zeiten sollten doch eigentlich vorbei gewesen sein in der SPD?
Oppermann: Für mich war das kein "Basta". Wir hatten eine sehr leidenschaftliche, sehr sachliche Debatte auf diesem Konvent über Stunden hinweg. Wir haben uns das richtig schwer gemacht.
Capellan: Viele Beobachter haben das dennoch als "Basta" empfunden. Das führt mich zu der Frage: Wäre nicht ein "Basta" in einer ganz anderen Frage, gegenüber dem Koalitionspartner angebracht vom Vizekanzler und Energieminister, ein "Basta" in Richtung Bayern, was die Energiewende angeht? Horst Seehofer versucht nach wie vor, einen Trassenbau durch Bayern zu verhindern. Müsste da nicht Sigmar Gabriel endlich mal deutliche Worte sprechen?
Capellan: Thomas Oppermann, danke für das Gespräch.
Oppermann: Ich bedanke mich auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.