Dirk-Oliver Heckmann: In der Nacht bereits gab es die Meldung, Athen und seine Geldgeber hätten sich auf die Haushaltsziele der kommenden Jahre geeinigt, eine wichtige Voraussetzung dafür, dass überhaupt neues Geld zur Verfügung gestellt wird. Aber lange nicht die einzige, denn welche Reformen genau damit verbunden sind, das ist noch unklar. Athen spricht dennoch schon von einem Durchbruch.
Hans Michelbach ist Mitglied der CSU, Obmann der Union im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, außerdem stellvertretender Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU und CSU. Er gehört zu den 60 Unions-Abgeordneten, die gegen ein neues Verhandlungsmandat mit Griechenland gestimmt hatten. Schönen guten Tag, Herr Michelbach.
Hans Michelbach: Guten Tag! Hallo.
Heckmann: Herr Michelbach, der SPD-Politiker Axel Schäfer, der hat sich jetzt schon für eine rasche Abstimmung im Bundestag über das dritte Hilfspaket ausgesprochen. Sind Sie bereit?
Michelbach: Es darf natürlich kein Druck wegen des 20. August, des Rückzahlungstermins von 3,4 Milliarden an die EZB stattfinden. Das muss grundsätzlich natürlich geprüft werden. Hier ist eine Gründlichkeit vor Schnelligkeit zu sehen, Glaubwürdigkeit vor Schnelligkeit. Die Grundprüfung ist Aufgabe des Parlaments und diese Verantwortung, die nimmt uns niemand ab. Deswegen halte ich es für verfrüht, schon hier einen Freibrief zu geben. Man muss ja sehen, dass die Einigungsmeldungen und Umsetzungen in Athen immer mit sehr Vorsichtigkeit zu sehen sind, und ein Hilfsprogramm macht ja nur dann Sinn, wenn es dann auch tatsächlich Hilfe zur Selbsthilfe ist. Das gemeinsame Ziel ist natürlich die Rückgewinnung von Handlungsfähigkeit in Griechenland selbst, damit eine Transferunion nicht auf Dauer stattfinden muss.
Heckmann: Herr Michelbach, noch ist ja noch gar nicht klar, welche Reformen genau verbunden sind mit diesem Paket, das heute Nacht offenbar geschnürt worden ist. Dass Athen aber jetzt schon den Durchbruch meldet, was sagt das über die griechische Verhandlungsführung? Geht da das Taktieren, das Hin und Her weiter?
Michelbach: Ich denke mal, bevor man das nicht sich genau angeschaut hat, bevor man auch im griechischen Parlament eine Beschlussfassung durchgeführt hat - das soll ja am Donnerstag, so bin ich informiert, durchgeführt werden -, bevor dann am Freitag die Euro-Finanzminister eine Stellungnahme abgeben, kann das deutsche Parlament, der Deutsche Bundestag sich gar keine Meinung auf fachlicher Ebene bilden.
Heckmann: Aber wenn das Paket dann durch ist in Athen, dann wären Sie auch bereit, dieses Paket so schnell zu prüfen, dass der 20. August gehalten werden kann? Oder meinen Sie, Sie würden so lange prüfen wollen, dass der Termin nicht gehalten werden kann?
"Man hat zwei Prozent zugesagt. Jetzt sind es 0,5 Prozent"
Michelbach: Ich habe ja gesagt, Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Man muss natürlich hinterfragen, wie man jetzt 2016 einen Primärüberschuss, also Haushaltsüberschuss ohne Zins und Tilgungen, von 0,5 Prozent erzielen will. Bisher hat man uns 2016 zwei Prozent von der griechischen Regierung zugesagt. Jetzt sind es 0,5 Prozent. Das ist ja nicht sehr viel. Wie man in 86 Milliarden neue Kredite einsteigen will und die Schuldentragfähigkeit mit 0,5 Prozent Primärüberschuss argumentieren will, ist mir natürlich schleierhaft.
Heckmann: Aber wie wollen Sie denn einen höheren Überschuss von Athen verlangen, nachdem man das Land durch die Sparpolitik, die aufoktroyiert wurde, in Teilen zumindest, erst so richtig an die Wand hat fahren lassen?
Michelbach: Das ist keine Sache von außen, sondern das ist ja für die eigene Heilung notwendig. Man hat ja zwei Prozent uns zugesagt. Jetzt sind es 0,5 Prozent. Die Frage ist ja, gibt es eine Gesamtschuldentragfähigkeit. Wir haben 240 Milliarden Euro bereitgestellt, jetzt sollen noch mal 86 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Wir haben eine Privatisierungserlöszusage von 50 Milliarden Euro. Man muss natürlich schon sehen, dass hier eine Verantwortung besteht, die genau geprüft werden kann. Und es bringt ja gar nichts, wenn man die Rückgewinnung von Handlungsfähigkeit in Griechenland nicht erreicht. Dann wird das ja eine Transferunion. Es wird ja immer ein neues Hilfsprogramm dann geben müssen, aus dem dritten ein viertes und fünftes Programm. Das wird dann natürlich zu Lasten der gesamten Wirtschafts- und Währungsunion gehen. Und wir müssen schon mal auch eine Grundsatzdebatte in Deutschland über diese Wirtschafts- und Währungsunion führen, über eine Insolvenzordnung für Staaten. All das fehlt und ich glaube, dass man nicht so locker darüber hinweggehen darf und schon gar nicht einen Freibrief für die Verhandlungen jetzt geben kann.
Heckmann: Herr Michelbach, Sie haben die Höhe des Hilfspaketes angesprochen: 86 Milliarden Euro. Darum soll es gehen, um diese Summe. Es gibt aber auch schon maßgebliche Personen, die sagen, das wird bei weitem nicht reichen, allein um die Banken wieder zu stabilisieren. Gehören Sie auch zu denen, die befürchten, dass diese 86 Milliarden Euro lange nicht das letzte Wort sind?
Michelbach: Ja man muss natürlich wissen, wie die Sanierung des Finanzsektors aussieht. Wir haben die Situation, dass ab 2016 die Bankenunion in der Europäischen Union greift. Das heißt, wir sind in der Haftung auch für die griechischen Banken ab dem 1. Januar 2016 dabei. Deswegen muss man natürlich sehr intensiv hinschauen, wie sind denn die Banken kapitalisiert und wie geht das in der Zukunft. Eine europäische Haftung für die griechischen Banken, für den griechischen Finanzsektor kann man nicht so ohne weiteres mit der Bankenunion übernehmen. Da muss man zumindest wissen, was sich dahinter verbirgt, und dementsprechend kann man dann Prüfungen übernehmen.
Heckmann: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer wieder und wieder betont, dass eine Grundvoraussetzung für weitere Hilfen für Griechenland sei, dass der Internationale Währungsfonds, der IWF mit an Bord ist, und das war ja bisher auch immer der Fall gewesen. Aber jetzt sagt der IWF, er will in Zukunft nur noch mitmachen, wenn es wirklich auch einen weiteren Schuldenschnitt geben wird, um diese Schuldentragfähigkeit endlich im Prinzip herzustellen, und dieser Schuldenschnitt, der wird von Berlin aus ja weiterhin abgelehnt. Eines dieser beiden Versprechen wird nicht zu halten sein. Von welchem sollte man abgehen?
Michelbach: Ich habe hier einen Brief von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der ganz deutlich ausgesagt hat, der IWF mit seiner großen Expertise bei Reformprogrammen bleibt und muss weiterhin im Boot bleiben. Ohne den IWF geht es nicht, so wörtlich, und das muss man ja für bare Münze nehmen. Der IWF ist derjenige, der fachliche Expertise beigetragen hat und nicht faule politische Kompromisse, wie sie leider die EU-Kommission mit Herrn Juncker immer wieder hervorholt.
"Was erzählen wir den Spaniern, den Irländern, den Italienern?"
Heckmann: Aber wenn es so wichtig ist, dass der IWF dabei ist und wirklich auch dabei bleiben soll, und der IWF einen Schuldenschnitt fordert und sagt, ohne den machen wir einfach nicht mit, dann wären Sie einverstanden, dann käme es zu einem weiteren Schuldenschnitt?
Michelbach: Zunächst einmal kann der Schuldenschnitt nicht an der vordersten Stelle stehen. Das muss man natürlich auch als Verrat gegenüber den anderen Ländern sehen. Was erzählen wir den Spaniern, den Irländern, den Italienern wie auch immer, dass wir bei ihnen keinen Schuldenschnitt machen? Letzten Endes braucht es eine nachvollziehbare nachhaltige Gesamtschulden-Tragfähigkeitsanalyse, um dann zu sehen, was kann denn erreicht werden mit den Haushaltsüberschüssen, mit den Primärüberschüssen, und inwieweit werden wir dann zu Schuldenerlässen kommen müssen und ist dazu überhaupt eine Bereitschaft da und ist nach dem Gleichheitsprinzip das auch sinnvoll. All das ist ja völlig offen.
Heckmann: Da wären Sie verhandlungsbereit und offen?
Michelbach: Das muss sicher im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Nur jetzt schnell 86 Milliarden Euro zu geben und die deutschen Steuerzahler und die Steuerzahler generell in der Eurogruppe zu belasten, das ist zu kurz gesprungen. Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte über die Wirtschafts- und Währungsunion. Wir haben den Leuten immer versprochen, keine Transferunion, keine Haftungsunion, keine Schuldenunion, und deswegen müssen wir auch die Debatte öffentlich führen.
Heckmann: Ganz kurz zum Schluss, wir haben noch eine knappe Minute. Muss die Option eines Grexit aus Ihrer Sicht weiter auf dem Tisch bleiben?
Michelbach: Es war ein großer Verhandlungsfehler der EU-Kommission mit Juncker, dass er immer die Grexit-Entwicklung ausgeschlossen hat. Damit haben wir Herrn Tsipras, Herrn Varoufakis in der Vergangenheit eine Pokerrunde erlaubt, die das Ganze beschwert hat. Wir wären sehr viel besser dran, hätte man diese Klarheit geschaffen, die praktisch notwendig ist, und ich denke mal, es muss jetzt auch mit der Prüfung Klarheit geschaffen werden, wird uns wieder etwas vorgemacht, sind die Umsetzungen garantiert, wie sehen die Ergebnisse mit dem Haushaltsüberschuss aus und letzten Endes wie sieht die Gesamtschuldentragfähigkeit aus.
Heckmann: Also in einem Wort: Der Grexit ist nicht vom Tisch?
Michelbach: Nein, kann nicht vom Tisch sein. Das wäre auch völlig falsch, weil dann wird weitergewurstelt, faule Kompromisse, politische Kompromisse werden eingegangen, die letzten Endes gar nicht handhabbar sind und die niemand letzten Endes verantworten sollte.
Heckmann: Der Obmann der Unions-Fraktion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, Hans Michelbach, war das von der CSU. Herr Michelbach, danke Ihnen für Ihre Zeit!
Michelbach: Danke schön!
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