Der Monastiraki-Platz in mitten Athen ist ein besonders lebendiger, ein besonders bunter Platz: Touristen lassen sich in den vielen Tavernen hier Gyros oder Souflaki schmecken; Straßenmusiker hoffen auf ein paar Euro. Die Sonne scheint auf die Fassade einer Kirche; gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes strömen Menschenmassen aus dem U-Bahnhof und mitten auf dem Platz hat Kostas gerade seine mobile Küche aufgebaut. Er kocht mit seinen Freunden hier Nudeln für 50 Leute:
"Es ist frei für alle. Aber Priorität haben natürlich diejenigen, die arm sind."
Sagt Kostas und rührt mit einem Riesen-Holzlöffel die Tomatensoße im Kessel. Wenn der Staat versagt und die Armen nicht unterstützen kann, dann müssen wir uns selbst helfen, dann müssen wir eben improvisieren, meint Kostas.
Keine Sozialhilfe in Griechenland
In Griechenland gibt es keine Sozialhilfe. Wer die Arbeit verliert, bekommt nur ein Jahr lang Geld vom Staat – dann ist man auf die eigene Familie oder auf Armenküchen angewiesen.
Die plötzliche Armut zwingt zum Improvisieren: Wo kann ich wohnen, wenn ich die Miete nicht mehr bezahlen kann? Woher bekomme ich etwas zu essen? Oder auch: Wie bekomme ich meine Kinder satt?
"Ich hab hier in Athen mal zwei Kinder gesehen, die haben aus einem Mülleimer Essensresten gefischt und sich dann gestritten, wer wie viel davon bekommt. Da hab ich entschieden: Ich koche jetzt regelmäßig auf der Straße."
Erzählt Kostas auf dem Monastiraki-Platz. Maria hilft heute beim Kochen und schüttet die 5-Kilo-Packung Nudeln in die kochende Tomatensoße:
Wo kommen die Nudeln her?
Wo kommen die Nudeln her?
"Die hat jemand uns gespendet. Ganz einfach. Er hat sie wohl im Supermarkt gekauft und uns gegeben. So machen wir jetzt Nudeln mit Soße, Thymian und Rosmarin."
Provisorische Küche eines Marketing-Managers
Kostas ist gerade 50 Jahre alt geworden. Er hat sich einen Vollbart stehen lassen, trägt alte Jeans und eine Sportjacke. Immer wieder lächeln und winken ihm Freunde zu, die auf den Monastiraki-Platz kommen: Es hat sich herumgesprochen, dass Kostas hier immer wieder seine provisorische Küche aufbaut.
Kostas ist einer von ihnen. Er hat selbst erlebt, wie es ist, zuerst die Arbeit, dann die Wohnung und dann den sozialen Halt zu verlieren: "Ich habe als Marketing-Manager gearbeitet bei großen Firmen im Telekommunikationsbereich. Im September 2009 kam ich vom Urlaub zurück und erfuhr: Du bist gekündigt. Ich hab erst gedacht: Ich finde schnell was Neues, aber die Krise wurde immer schlimmer. Es gab nichts. "
Er musste sein Auto verkaufen und konnte sich seine Wohnung nicht mehr leisten:
"Alles hatte sich geändert: nicht nur der Alltag, das ganze Leben. Mit 46 Jahren musste ich wieder zu meiner Mutter ziehen, weil ich nicht auf der Straße schlafen wollte. Ich hatte zu nichts mehr Lust, wurde depressiv."
"Kosta, dreh das Feuer runter."
Arbeitslos, obdachlos und nun krank
Ruft Maria, die oft gemeinsam mit Kostas kocht hat, wo immer er seine provisorische Küche aufbaut.
Maria ist auch arbeitslos, auch sie hat ihre Wohnung verloren; sie lebt jetzt auf der Straße.
Man merkt ihr nicht an, dass sie sehr krank ist:
Man merkt ihr nicht an, dass sie sehr krank ist:
"Ich hatte vor drei Monaten einen Herzinfarkt. Aber ich habe keine Krankenversicherung. Zum Glück konnte ich in die Praxis von den "Ärzten der Welt". Die haben mich untersucht – und die geben mir kostenlos die Medikamente. "
Ja, die Griechen können sich zwar nicht darauf verlassen, dass ihnen der Staat in allen Notlagen hilft, aber sie können darauf vertrauen, dass Hilfe kommt.
Hunderte Ärzte überall in Griechenland haben sich zusammengeschlossen und behandeln in ihrer Freizeit kostenlos all jene, die kein Geld für einen Arztbesuch haben. Auch diese Hilfe war am Anfang Improvisation: Ein paar Ärzte gingen in die Armenviertel und behandelten dort die Kranken, auch ohne Krankenschein. Inzwischen betreibt die Hilfsorganisation "Ärzte der Welt" sechs Tageskliniken in Griechenland, in denen jeder kostenlos behandelt wird.
Kostas braucht für seine improvisierte Küche kein großes Inventar: Einen großen Kochtopf, einen Rührlöffel, den Gaskocher und einen Klapptisch, das reicht. Auf dem Klapptisch stehen drei Stapel Einweg-Schalen aus Aluminium für die Nudel-Portionen und daneben eine Holzkiste als Spendenbox.
Ein Tourist aus Italien kommt vorbei und spendet ein paar Münzen:
"Das macht ihr gut!" So, das Essen ist fertig. Der Erste wartet schon mit seiner Alu-Schale:
"Ich bin immer der Erste, der isst", sagt der 69-jährige Giorgos mit dem dichten Schnurrbart und dem hageren Gesicht. Bis vor drei Jahren hatte Giorgos einen Laden, aber er musste wegen der Krise dichtmachen. Jetzt wohnt er im Obdachlosenheim:
"Ich hab derzeit gar kein Einkommen. Ich habe eine Rente beantragt und warte jetzt auf den Bescheid."
Giorgos verzieht das Gesicht: Wie lange er noch warten muss? Keiner weiß es. Jetzt aber will er erst mal die Nudeln von Kostas genießen.
Ist das eigentlich erlaubt? Muss man sich nicht eine Genehmigung holen, wenn man hier mitten in Athen auf dem Monastiraki-Platz kocht?
"Ja, in Deutschland oder England wäre das verboten, öffentlich zu kochen. Hier in Griechenland eigentlich auch. Aber: Man darf für sich selber öffentlich kochen und andere einladen. Als ich damit anfing, hat mich die Polizei fünf Mal mit zur Wache genommen und ausgefragt. Aber inzwischen kennen die mich und lassen mich kochen."
Kostas strahlt übers ganze Gesicht. Dutzende Menschen hocken jetzt auf den Banken und Mauern auf den Monastoraki-Platz und löffeln seine Nudeln:
"Ich fühle mich wundervoll, weil diese Idee von so vielen Menschen unterstützt wird. Das ist hier wahre Solidarität: Studenten, Rentner, Arbeitslose, alle halten wir zusammen. Mein ganzes Leben dreht sich um diese Initiative, ich esse hier, meine Freunde sind hier; das Leben ist viel authentischer als früher, als ich jeden Tag im Anzug ins Büro bin."
Und wie lange soll dieses Leben weitergehen? Wie stellt sich Kostas sein Leben vor, wenn er selbst ins Rentenalter kommt? Er schüttelt den Kopf und sagt: falsche Frage:
"Ich kann doch jetzt nicht planen, was ist, wenn ich 70 oder 80 bin, wo ich doch nicht einmal weiß, was morgen sein wird." Bloß nichts lange im Voraus planen, meint Kostas, denn er weiß: Sein Improvisationstalent wird ihn schon irgendwie durchs Leben bringen.