Archiv

Griechenland
Skepsis gegenüber der EU

Der Widerstand war groß, als die EU und die griechische Regierung 2015 das dritte Sparpaket auf den Weg gebracht haben. Diese Zeit wirkt bis heute nach. Viele Griechen schauen vor den Europawahlen skeptisch auf die EU.

Von Panajotis Gavrilis |
Demonstranten verbrennen eine EU-Flagge, als sie am 10. Januar 2018 vor dem Gerichtsgebäude in Thessaloniki gegen Versteigerungen von Immobilien protestieren.
Auch 2018 wurde noch protestiert: Die Schuldenkrise wirkt bei vielen Griechen bis heute nach (picture alliance / Sakis Mitrolidis)
Athens Straßen sind wie gewohnt laut. In der Nähe des Omonia-Platzes im Zentrum der Stadt sitzen etwa 40 Leute auf dem Bürgersteig und rauchen durch selbst gebaute Glaspfeifen Crystal Meth. Eine Familie mit zwei Kindern schlängelt sich mit ihren Rollkoffern durch die sitzende Menge auf der Suche nach ihrem Hotel. Hier das Elend, dort die Hotels und glitzernden Läden. Die alltäglichen Gegensätze einer europäischen Metropole.
Ein paar Straßenblöcke weiter sitzt Manolis Chatzidimitriou in seinem "U-Boot". So nennt sich der Kulturverein, der Konzerte in seinem Kellercafé veranstaltet. Manolis dreht Zigaretten, mit seiner tiefen, ruhigen Stimme erzählt er, warum er die EU so skeptisch sieht.
"Jetzt gerade ist die EU eine Last. Sie bedeutet den Verlust bestimmter Handlungsmöglichkeiten. Auch das Argument, dass wir uns in einer ökonomischen und politischen Situation befinden, in der man uns beschützen soll, greift nicht. In den kritischen Momenten hat sich gezeigt, dass diese Politik uns nicht beschützt."
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Zentrales Versprechen wurde nicht eingehalten
Die Schuldenkrise der vergangenen Jahre wirkt bei Manolis Chatzidimitriou immer noch nach. Er bezeichnet sich als "einfacher Mensch, als einfacher Grieche". Hauptberuflich ist er Wächter im Akropolis-Museum, nebenbei ist er Musiker. Seitdem Griechenland 1981 in die EU eingetreten ist, sei aber ein zentrales Versprechen nicht eingehalten worden, kritisiert er.
"Wir Griechen, unabhängig von unseren unterschiedlichen Meinungen, dachten es sei Konsens, dass der Wert deiner Arbeit an alle anderen Europäer angeglichen wird. Das heißt, alle bekommen irgendwann mehr oder weniger den gleichen Lohn. Selbst in guten Zeiten der EU, eine Lohnangleichung gab es nie in Griechenland."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Griechenland und die EU – Eine komplizierte Beziehung.
700 Euro – mit dieser Summe lebt Manolis Chatzidimitriou jeden Monat. Damit zähle er noch zu den Glücklichen, sagt er. Er wünscht sich eine EU mit direkterer Demokratie, mit mehr Möglichkeiten der Bürger, ihre Abgeordneten zu kontrollieren und eine größere Nähe "zwischen den Völkern" ohne einen Vermittler, wie er sagt.
"Die Europäische Union richtet sich stark gegen die Nationalstaaten. Und mit der Bankenkrise und Schuldenkrise ab 2010 hat die EU ihr anderes Gesicht gezeigt. Nicht nur in Griechenland, sondern im ganzen Süden. Beim Referendum 2015 über die Sparpolitik habe ich selbstverständlich mit Nein gestimmt. Es wurde uns ein Messer an den Hals gehalten. Das hätte so nicht passieren dürfen."
Chatzidimitriou ist mit dieser Meinung nicht alleine.
Dabei sind die Menschen in Griechenland historisch gesehen eher proeuropäisch eingestellt, sagt der Politikwissenschaftler Yiannis Balampanidis. Er forscht an der Athener Panteion-Universität zum Thema Europaskepsis.
"Ganz am Anfang standen die Menschen der EU zwar eher skeptisch gegenüber. Das hat sich aber schnell normalisiert, so wie in anderen Ländern auch. Auf die Frage, ob Griechenland von der EU profitiert, hat die Mehrheit das immer bejaht. Und der Anteil dieser Gruppe war zum Teil höher als in anderen Ländern der EU."
Sparprogramm drückte auf die Stimmung
Die Union war für Griechenland anfangs vor allem geostrategisch und wirtschaftlich eine Absicherung. Später kamen dann die EU-Fördermittel dazu, von denen das Land enorm profitiert hat, sagt Balampanidis. Die Bindung sei dadurch aber auch oberflächlicher geworden.
Zudem hätten Bankenkrise und Sparprogramme das Verhältnis zwischen der EU und Griechenland verschlechtert. Zum ersten Mal sagten die Griechen mehrheitlich: Wir profitieren nicht von der Mitgliedschaft in der EU und ein nationaler Alleingang wäre möglicherweise besser, so der Wissenschaftler.
"Die Jahre 2010, 2011 haben gezeigt, wie einfach Einstellungen sich auch ändern können. Es kam eine harte ökonomische und politische Krise, die zugleich auch eine europäische Krise war und das führte zu einem Meinungswandel. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass in Zukunft die Europafreundlichkeit, die es grundsätzlich gibt, einer erneuten Krise standhalten wird."
Immerhin normalisiere sich die Beziehung zwischen den Griechen und der EU jetzt wieder, so der Wissenschaftler. Im Alltag sieht das manchmal aber ganz anders aus.
"Für mich ist die EU das Schlimmste"
An einem Kiosk im Athener Zentrum steht ein älterer Mann, der seinem befreundeten Kioskbesitzer erzählt, wie sehr er von der Politik enttäuscht ist. Er stellt sich als Theodossis vor. Er arbeitet in einem Weinladen, sechs Tage die Woche, acht bis 14 Stunden am Tag.
"Für mich ist die EU das Schlimmste. Es muss ohne die EU weitergehen. Wenn sie uns rausschmeißen oder wir entscheiden rauszugehen, dann werden wir zwar sehr leiden, wir werden vielleicht in bitterer Armut leben, aber ich glaube, ich wäre… Wissen Sie, ich verdiene 600 Euro, ich habe zwei Kinder. Eines musste operiert werden, der Arzt allein hat schon 700 Euro verlangt. Egal was es ist: Ja, wir müssen raus. Raus und sehr weit weg."
Für ihn dient die EU nur den Banken und denen, die Geld haben, sagt er. Und Theodossis spricht Sätze aus, die man immer wieder hört. Sätze wie: Politiker seien Marionetten, Tsipras eine Witzfigur, die sich den Forderungen der Gläubiger gebeugt habe. Theodossis hat einen Teil seiner Kindheit in Deutschland verbracht, erzählt er, bevor er dann ausholt – auf Deutsch:
"Ich hasse Europäische Union. Ich hasse, ich hasse sie. Nur Geld. Nicht für die Leute. Nur für Geld. Geld, Geld, Geld."