Durch die Parlamentswahl in Griechenland sei die Syriza-Partei von Alexis Tsipras vom Gegner der Europäischen Union nun zu ihrem Partner geworden. In der Opposition könne man viel versprechen. In der Regierungsverantwortung seien die Dinge anders zu bewerten, sagte Inigo Mendez de Vigo y Montojo, spanischer Staatsminister für Europaangelegenheiten, im DLF. Zwei Regeln der EU müsse daher auch Tsipras' Regierung schnell begreifen: "Unilateralismus gibt es in Europa nicht, und Vereinbarungen müssen von allen respektiert werden", sagte Mendez de Vigo.
Spanien sei den Weg des Sparens und der strukturellen Reformen konsequent gegangen. Die letzten Zahlen der spanischen Wirtschaft seien deshalb nicht schlecht, so der Minister. Dieser Weg sei auch für Griechenland der einzige, der aus der Misere herausführe. "Ich will nicht, dass Griechenland aus dem Euro austritt", betonte Mendez de Vigo.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Alexis Tsipras hat damit keine Probleme gegenüber den Geberländern, gegenüber den anderen in der Europäischen Union, die selbst noch immer unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise leiden. Der neue Regierungschef hat keine Probleme, die Troika nicht mehr zu wollen. Er will selbst bestimmen, wo und wie sein Land sich reformiert, wo und wie sein Land spart und wie sein Land Geld ausgibt, solange die Europäer zahlen. Ein Affront gegenüber den anderen angeschlagenen Südeuropäern wie Portugal oder Spanien beispielsweise, denn Lissabon wie auch Madrid haben sich darauf eingelassen, die Reformforderungen der EU und der Troika zu akzeptieren. Was also jetzt?
In unserem Hauptstadtstudio in Berlin haben wir nun das seltene Glück, den spanischen Europaminister Inigo Mendez de Vigo begrüßen zu können. Guten Morgen.
In unserem Hauptstadtstudio in Berlin haben wir nun das seltene Glück, den spanischen Europaminister Inigo Mendez de Vigo begrüßen zu können. Guten Morgen.
Inigo Mendez de Vigo y Montojo: Guten Morgen.
Müller: Spinnen die Griechen?
Mendez de Vigo: Spinnen ist ein schweres Wort auf Deutsch. Es ist sehr spannend, muss ich sagen. Ich bin diesen Leuten aus Syriza im Europäischen Parlament begegnet. Ich war ja dort fast 20 Jahre Abgeordneter. Und meine Erfahrung ist, dass sie immer gegen die Europäische Union, gegen die Bildung der Europäischen Union gestimmt haben. Jetzt sind sie in der Regierung, sie sind gewählt worden und jetzt sind sie Partner und jetzt müssen sie natürlich mit den anderen Partnern reden.
Ich glaube, es gibt zwei wichtige Sachen, wo man wirklich darauf achten muss. Erstens: Man kann nicht in der Europäischen Union unilateral sein. Man kann nicht sagen, das tue ich nicht, das will ich nicht. Man muss mit den Partnern sprechen und wir werden ihnen natürlich zuhören.
Und zweitens: In Europa muss man die Regeln respektieren. Das ist das Allerwichtigste. Und natürlich kann man nicht einfach sagen, jetzt will ich diese Regeln nicht.
Ich glaube, es gibt zwei wichtige Sachen, wo man wirklich darauf achten muss. Erstens: Man kann nicht in der Europäischen Union unilateral sein. Man kann nicht sagen, das tue ich nicht, das will ich nicht. Man muss mit den Partnern sprechen und wir werden ihnen natürlich zuhören.
Und zweitens: In Europa muss man die Regeln respektieren. Das ist das Allerwichtigste. Und natürlich kann man nicht einfach sagen, jetzt will ich diese Regeln nicht.
Müller: Wobei das neu ist, wenn alle Regeln akzeptiert werden.
Mendez de Vigo: No, no, die Regeln sind akzeptiert. Aber man muss sie besprechen und man muss am Ende des Tages einverstanden sein. Alle Partner müssen einverstanden sein. Aber man kann nicht einfach sagen, jetzt respektiere ich die Regeln nicht und jetzt tue ich was ich will.
"Wir sind natürlich immer bereit zum Dialog"
Müller: Aber genau das hat Athen ja getan. Ist das am Anfang ein bisschen Camouflage, ein bisschen Winken mit neuer Stärke, mit Selbstbewusstsein, und dann muss man einlenken?
Mendez de Vigo: Schwer zu sagen! Aber wissen Sie, wir haben Regeln. Die 28 sind damit einverstanden. Und wir sind natürlich immer bereit zum Dialog, zuzuhören. Gut: Was wollen Sie? Was verlangen sie? Aber am Ende des Tages muss eine Abstimmung sein und müssen alle zusammen stimmen und in dieselbe Richtung gehen. Unilateralismus gibt es in Europa nicht.
Müller: Das heißt, es gibt keine einseitigen Schritte, die man ohnehin nur dann unternehmen kann, wenn andere mit von der Partie sind, weil das Ganze ja mit verantwortet und mit bezahlt werden muss.
Mendez de Vigo: Sie haben es sehr gut gesagt und so ist das auch. Und es gibt viele Länder. Spanien ist nicht unter der Troika, wir sind nicht unter ihrem Programm, wir haben die Troika in Spanien nicht. Aber in Spanien machen wir strukturelle Reformen, nicht, weil die Europäische Union das verlangt, aber weil wir glauben, dass das gut ist für Wachstum in Spanien um Arbeitsplätze zu haben, und wir werden es immer machen. Aber auch mit unseren Partnern werden wir das besprechen.
Müller: Herr Mendez de Vigo, sie sagen das gerade, es geht um Arbeitsplätze. Tatsächlich ist das ja eines der Hauptprobleme in Griechenland wie auch in Spanien. Reden wir mal über die Zahlen in Griechenland, die sind nicht so ganz klar und eindeutig. Aber 60 Prozent der jungen Menschen in Griechenland sind immer noch ohne Job. Und wenn wir die Zahlen für Spanien richtig gelesen haben, dann sind es immerhin noch fast 24 Prozent im Durchschnitt Arbeitslosigkeit in Spanien, und bei den Jungen ist es in vielen Regionen auch so. Das gilt für 30, 40, 50 Prozent. Jeder zweite Jugendliche oder junge Mensch ist auch in Spanien arbeitslos. Wie können Sie da sagen, das sind Reformen zugunsten von Arbeitsplätzen?
Mendez de Vigo: So ist das. Das Wichtigste ist, dass wir diese Reformen machen, damit wir Arbeitsplätze bekommen. In Spanien haben wir eine sehr, sehr schwierige wirtschaftliche Lage gehabt, aber das geht in Spanien viel, viel besser. Unsere letzten Ziffern von Arbeitsplätzen sind ziemlich gut. Natürlich sind wir nicht unverletzlich. Natürlich, wenn wir eine große Mehrheit von Leuten haben, die keine Arbeit haben, können wir nicht positiv sein. Aber in Spanien geht das viel besser.
Und ich muss auch noch anknüpfen: Die Europäische Union hat solidarisch mit unseren Ländern gearbeitet und wir haben in dem letzten Finanzplan eine Initiative für Arbeitslosigkeit für die Jugendlichen. Das ist wichtig für uns, das ist wichtig für Spanien, aber auch für Griechenland. Das sind die Staaten im südlichen Europa, die das meiste Geld bekommen werden, und das wird uns natürlich auch helfen. Das muss man auch im Kopfe haben, wenn man über Europa spricht.
"Jetzt sehen wir die Früchte"
Müller: Schauen wir einmal auf dieses politische Rezept vonseiten der Europäischen Union, ganz gleich ob Troika oder nicht Troika, ganz gleich ob in irgendeiner Form aufoktroyiert oder quasi qua Überzeugung erreicht. Sparen, das war ein ganz wichtiges Credo aus Brüssel, auch ein wichtiges Credo aus Berlin, und Strukturreformen. Wenn Sie die Entwicklung in Ihrem eigenen Land, in Spanien anschauen, bei so viel Arbeitslosigkeit, bei jahrelangen wirtschaftlichen Problemen, diese Immobilienblase, dieser Hype, der irgendwann geplatzt ist, und dann mit Sparen - da haben Sie auch drauf geantwortet -, vollkommen umstritten in Ihrem Land, sind Sie so weit gegangen, dieses Land fast kaputt zu sparen?
Mendez de Vigo: Wissen Sie, in Spanien haben wir ein großes Problem gehabt. Sie haben es erwähnt. Aber am 6. Juni 2012 hat Premierminister Mariano Rajoy einen Brief den Partnern in Europa geschickt. Das war nicht unilateral. Wir haben mit den Partnern in Europa gesprochen. Wir haben gesagt: Was muss man denn tun? Wir müssen sparen zur Minderung des Defizits. Wir müssen strukturelle Reformen auf nationaler Ebene und auf europäischer Ebene machen und wir müssen auch ein Bild haben, wohin die Europäische Union geht. Und das ist, was wir in Spanien tun. Das haben wir natürlich mit unseren Partnern besprochen, aber wir machen strukturelle Reformen in Spanien nicht, weil Brüssel das verlangt, aber weil wir glauben, dass strukturelle Reformen das einzige Ziel sind, damit wir aus einer schwierigen wirtschaftlichen Lage rauskommen.
Müller: Aber wie viel Sparen ist für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich?
Mendez de Vigo: Wissen Sie, wir hatten ein Defizit im Jahre 2011 von elf Prozent des BIP. Jetzt sind wir schon bei 5,5.
Müller: Drei Prozent sind erlaubt.
Mendez de Vigo: Nein, nein! Sechs Prozent! Das ist wichtig und viel in Spanien. Das spanische Volk hat wirklich viel daran gearbeitet. Aber jetzt sehen wir die Früchte. Und in Griechenland mit der Regierung von Samaras, die waren viel besser als vor fünf, sechs Jahren. Die waren schon in der guten Richtung. Das ist auch wichtig in Europa. Man kann in Europa manchmal mehr Zeit bekommen, aber man muss in der guten Richtung sein, strukturelle Reformen und das Ziel des Wachstums haben, das ist das Allerwichtigste für uns, und es mit dem Partner besprechen. Man kann nicht unilateral sein, man muss die Regeln respektieren.
Müller: Herr Mendez de Vigo, die Sparpolitik in Spanien, die ist ja nach wie vor sehr umstritten. Viele bei uns in Deutschland, die am Wochenende Fernsehen geschaut haben, die Nachrichten geschaut haben, haben viele Demonstranten gesehen an diesem Wochenende von der sogenannten „Podemos"-Bewegung, auch eine linke Bewegung, die da sagt, wir müssen alles anders machen.
Mendez de Vigo: Eine extrem linke Bewegung.
Müller: Da geht es auch darum, wieder Arbeitsplätze zu schaffen, auch die sozialen Verhältnisse zu verbessern. Wir haben gelesen, 150.000 Demonstranten sind da immerhin zusammengekommen. Wie ernst nehmen Sie diesen Protest?
Mendez de Vigo: Wir nehmen sie ernst und die Leute haben natürlich das Recht zu demonstrieren, und das bedeutet, dass es Leute gibt, die nicht einverstanden sind mit der Politik der Regierung. Aber ich muss sagen, ich muss darauf antworten, dass wir jetzt schon die Früchte sehen. Manchmal dauert es ein bisschen. Ich habe eine kleine Tochter, die 14 Jahre alt ist, und die kümmert sich und die fragt, Papa, was macht ihr in der Politik, wir sehen die Früchte nicht. Und ich versuche manchmal, ihr zu erklären: Ein Baum steigt nicht auf in zwei Tagen, es dauert ein bisschen Zeit. Aber wir sehen in Spanien schon die Früchte. Ich glaube, die Stimmung in Spanien ist viel besser, als wir vor drei Jahren an die Regierung kamen. Wir nehmen die Demonstranten ernst, aber wir sagen, der Weg sind die strukturellen Reformen, Wachstum, um Arbeitsplätze zu schaffen. Und ich glaube, dass die letzten Ziffern von den letzten, sagen wir, acht Monaten in eine gute Richtung gehen.
"Wir müssen diesen Juncker-Plan mehr sexy machen"
Müller: Ich sage das noch mal: Wir haben immerhin eine Arbeitslosigkeit von rund 24 Prozent im Landesdurchschnitt und bei den jungen Menschen liegt sie häufig in vielen Regionen noch viel, viel höher. Das Wirtschaftswachstum liegt vermutlich bei 1,4, 1,5 Prozent im vergangenen Jahr, mehr als in vielen anderen Ländern der Europäischen Union. Trotzdem noch einmal auf dieses Sparpaket zurückzukommen: Auch in Deutschland wird ja viel, viel offensiver, viel, viel offener inzwischen über Investitionen geredet, weil auch bei uns Konservative, Sozialdemokraten und vielleicht sogar der Finanzminister einräumt, wir haben es vielleicht ein bisschen übertrieben in Europa mit diesem Konzept Sparen und haben vergessen, tatsächlich für Wachstum zu sorgen. Wie ist das bei Ihnen?
Mendez de Vigo: Ja, wir sind immer dafür gewesen, Sparen und Wachstum, beides zu tun. Es ist wahr, dass wir uns aufs Sparen konzentrieren mussten. Wir haben elf Prozent Defizit des BIP gehabt. Aber ich glaube, wir sind in den letzten Monaten auf einer Balance, und ich glaube, in Europa haben wir diesen Juncker-Plan. Der Juncker-Plan bedeutet, er kann, wenn wir es gut tun, mehr Wachstum bedeuten, mehr Investitionen. Und wir sind dafür. Wir glauben, das ist eine gute Möglichkeit.
Müller: Wenn die privaten Unternehmen mitmachen, wenn sie sich davon überzeugen lassen?
Mendez de Vigo: Ja. Und wissen Sie, das ist wahr, denn 90 Prozent von diesem Juncker-Plan kommen aus dem Privaten. Deshalb müssen wir diesen Juncker-Plan mehr sexy machen und man muss den Privaten die Möglichkeit geben, dort zu investieren. Das ist, was wir jetzt in Europa zusammen bearbeiten müssen, einen guten Juncker-Plan für Wachstum und Investitionen.
Müller: Noch mal die Frage: Das heißt, an Investitionen hat es in den vergangenen Jahren definitiv zu wenig gegeben?
Mendez de Vigo: Ja, möglicherweise. Aber wissen Sie, das kommt darauf an, in verschiedenen Ländern. In manchen Ländern gab es mehr Investitionen, in anderen weniger. Aber ich glaube, man muss eine Balance finden zwischen beiden. Das war auch das Ziel des Briefes von Premierminister Mariano Rajoy, den ich erwähnt habe.
Müller: Wollen wir noch einmal, Herr Mendez de Vigo, auf die griechischen Verhältnisse zurückkommen. Falls Alexis Tsipras, die ganze Regierung nach wie vor störrisch bleibt, wenn ich das so formulieren darf, das heißt nach wie vor blockiert und sagt, wir bestimmen die Bedingungen, ihr könnt mitmachen oder nicht, ist es dann für Sie denkbar, wenn das Ganze weiter eskalieren sollte, dass Griechenland raus muss aus dem Euro?
Mendez de Vigo: Ich will nicht, dass Griechenland aus dem Euro raus muss und rausgeht. Im Jahr 2010 hat die ganze Europäische Union viel gearbeitet, damit es bleibt. Das Problem ist nicht, dass Griechenland aus dem Euro rausgeht; das Problem jetzt für die griechische Regierung ist, dass die Euros aus Griechenland rausgehen. Denn die privaten Investitionen, 11.000 Milliarden sind aus Griechenland rausgegangen. Das ist das Problem. Ich hoffe, dass die Regierung - - Wissen Sie, wenn man nicht in der Regierung sitzt, sagt man viele Sachen. Wenn man in der Regierung ist, wenn man die Kasse hat, sieht man, wie das geht. Und ich glaube, das Allerbeste für Griechenland und auch für die europäischen Partner ist, dass Griechenland im Euro bleibt.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der spanische Europaminister Inigo Mendez de Vigo. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag und Aufenthalt in Berlin.
Mendez de Vigo: Vielen Dank! Es war mir ein Vergnügen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.