Was die Motive Tsipras' für Neuwahlen betrifft, stimme ihn die übertriebene Eile skeptisch, sagte Dimitris Droutsas von der sozialdemokratischen Pasok im DLF. Bei Neuwahlen werde Tsipras wahrscheinlich von der tiefen Abneigung der griechischen Bevölkerung gegenüber der alten politischen Klasse profitieren. Tsipras setze darauf, dass es keine politische Alternative für ihn gebe. Um an der Macht zu bleiben, nutze Tsipras alle politischen Mittel. Das große Fragezeichen bei Neuwahlen sei aber, wie der abgespaltene linke Flügel der Syriza-Partei abschneiden werde.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, der strebt ein starkes Regierungsmandat an, so hat er es gesagt, und darum ist er jetzt zurückgetreten. Die Selbstzerlegungsprozesse seiner Syriza-Partei, die sind wohl auf einem vorläufigen Höhepunkt angekommen – die Partei ist tief zerstritten über den Reformkurs, den Preis für das dritte Hilfspaket, die sozialen Einschnitte, die Politik von Ministerpräsident Tsipras. Und mit seinem Rücktritt und Neuwahlen will er die Machtfrage in seiner Partei endgültig klären, wobei das fast schon erledigt ist, denn der linke Flügel von Syriza hat sich abgespalten, 25 Abgeordnete haben eine neue Parlamentsgruppe gebildet. Wir wollen über diese Situation sprechen mit Dimitrios Droutsas von der sozialdemokratischen Pasok. Guten Morgen!
Dimitrios Droutsas: Guten Morgen, Frau Schulz!
"Tsipras agiert mit übertriebener Eile"
Schulz: Griechenland steht jetzt vor Neuwahlen, rein technisch vorgeschaltet stehen aber die Sondierungen der zweitgrößten Fraktion, der konservativen Nea Dimokratia – gibt es aus Ihrer Sicht noch eine Restchance, dass es zu einer neuen konservativen Regierungskoalition oder unter Führung einer konservativen Partei kommen könnte?
Droutsas:Ich glaube, wir müssen hier realistisch sein, dass es keine politischen Möglichkeiten mehr gibt, hier zu einer Regierungsmehrheit in Griechenland unter dem jetzigen Parlament zu gelangen. Ich glaube, diese vorgezogenen Neuwahlen sind jetzt eine Tatsache. Die Frage ist halt nur, ob diese jetzt am 20. oder 27. September stattfinden werden.
Schulz: Und das haben wir richtig verstanden, Tsipras ist zurückgetreten jetzt, um sozusagen gestärkt Regierungschef zu bleiben dann nach den Neuwahlen?
Droutsas: Das ist seine Argumentation, und auf der einen Seite ist oder klingt diese vielleicht verständlich – er hat die parlamentarische Mehrheit schon seit längerem verloren, also es ist nicht einfach für ihn, hier dieses Reformprogramm weiterhin umzusetzen –, auf der anderen Seite, Frau Schulz, möchte ich doch darauf hinweisen, dass diese übertriebene Eile und auch die Art und Weise, wie Herr Tsipras hier jetzt agiert – viele in Griechenland sprechen sogar von Verfassungswidrigkeit jetzt –, diese stimmen doch sehr skeptisch über die wahren Beweggründe von Herrn Tsipras, was diese vorgezogenen Neuwahlen anbelangt.
Schulz: Warum ist die Eile übertrieben, wenn die Fraktion sich jetzt gerade zerlegt hat?
Droutsas: Es ist übertrieben, weil – es sind auch ein bisschen die griechischen Besonderheiten zu berücksichtigen. Wir befinden uns im Hochsommer noch, das Land liegt gerade still, das ist eine griechische Besonderheit, insbesondere auch aus dem Umstand heraus, dass sehr viele Griechen sich ja mit dem Tourismus beschäftigen. Herr Tsipras hat nur wenige Stunden, nachdem das neue Hilfsprogramm unterzeichnet wurde, in Kraft gesetzt wurde, hier diese Neuwahlen ausgelöst. Er hat dies gemacht, indem er eben zurückgetreten ist und nicht einmal im Parlament hier noch mal die Vertrauensfrage gestellt hat und hier wirklich Klarheit zu verschaffen über die Stimmenverhältnisse, die Machtverhältnisse im griechischen Parlament.
All dies ist eine übertriebene Eile, und wenn man sich auch die Vorschriften der griechischen Verfassung anschaut, muss man doch ein bisschen Bedenken darüber aussprechen.
Schulz: Ja, Sie finden natürlich die schnellen Neuwahlen als Oppositionspartei nicht gut, weil es Ihnen, also jetzt rein taktisch, natürlich lieber wäre, wenn schon mehr von den Einschnitten greifen würden und dann vielleicht auch die Beliebtheit von Tsipras leiden würde. Sagen Sie uns doch mal, wenn wir diesen Schritt machen, womit ist denn zu rechnen bei Neuwahlen?
Droutsas: Bei Neuwahlen im Moment, so wie die Dinge ausschauen – und das ist auch das, worauf Herr Tsipras sich mehr oder weniger verlässt –, er schätzt, dass er eben mangels glaubwürdiger politischer Alternativen in Griechenland noch den Vorzug beim griechischen Wähler genießen wird, denn auch hier offene Worte, Frau Schulz, zu tief sitzt noch die Abneigung beim Wähler gegenüber den Vertretern der alten politischen Klasse in Griechenland, die für die Misere des Landes verantwortlich gemacht werden.
Also Tsipras geht davon aus, dass es hier eine mangelnde politische Alternative zu ihm gibt und dass deswegen hier die Mehrheit der griechischen Bevölkerung noch für ihn wählen wird. Aber, Frau Schulz, das andere Argument, dass Sie bereits erwähnt haben, das vollkommen richtig, ist, müsste ich aber auch betonen im Hinblick auf Herrn Tsipras – Tsipras muss befürchten, dass je mehr Zeit vergeht, den Wählern die Härte der Maßnahmen im dritten Hilfspaket für Griechenland bewusst wird, und dann wird der Unwille der Bevölkerung sich offen gegen Tsipras wenden, und das nimmt er natürlich auch zur Kenntnis.
"Es ist teilweise politische Absurdität"
Schulz: Da wollte ich Sie auch bitten, uns noch mal den griechischen Wähler ein bisschen zu erklären, denn letzten Endes hat es ja das Referendum gegeben, das klare Nein gegenüber einem weiteren Reform- und Sparkurs. Jetzt gibt es diese abgespaltene Fraktion, die Nein-Sager sozusagen aus der Syriza-Partei – müssten die nicht aus den oder bei Neuwahlen auch gestärkter vorgehen?
Droutsas: Das ist ein großes Fragezeichen, und wie gesagt, dieses Referendumsergebnis, 62 Prozent Nein, ist nicht einfach zu interpretieren, denn, Frau Schulz, die Frage, die damals Herr Tsipras gestellt hat oder die Interpretation, die er, was die Frage anbelangt und auch das Ergebnis anbelangt, dann betrieben hat, ist eine höchst – wie soll ich sagen – unlogische.
Wenn man mit Nein stimmt, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass man Nein sagt eben zu diesem Vorschlag, der auf dem Tisch damals gelegen ist, was das Hilfsprogramm anbelangt. Herr Tsipras hat vor dem Referendum sehr stark eben für dieses Nein in dieser Hinsicht argumentiert und gleich nach dem Referendum aber dieses Nein, diese 62 Prozent, zu einem Ja uminterpretiert zugunsten des Verbleibs Griechenlands im Euro, also für die Unterzeichnung dieses Hilfspaketes.
Es ist eine Unlogik hier im Spiele, es ist teilweise auch politische Absurdität und, Frau Schulz, Herr Tsipras leider verwendet sehr, sehr stark all diese politischen Instrumente, die ihm zur Verfügung stehen, um eben hier an der politischen Macht zu bleiben. Und ich – Sie hören ein bisschen auch eine Frustration und Resignation aus meinen Worten –, ich wage zu behaupten, dass Griechenland und die griechische Bevölkerung wieder einmal zum Spielball und Opfer seiner verantwortungslosen Politiker werden wird.
"Es war und ist eine Einbahnstraße für Griechenland"
Schulz: Ja, wobei Sie in der letzten Woche, als es um das Reformpaket und das dritte Hilfspaket ging, ja in der Sache mit Tsipras gestimmt haben, also auch für weitere soziale Einschnitte, also auch gegen sozusagen die Referendumsmeinung der Menschen in Griechenland – sind denn diese Einschnitte gut für das Land?
Droutsas: Es war und ist eine Einbahnstraße im Moment für Griechenland. Wir müssen hier ganz ehrlich sein, wenn Griechenland den Bankrott vermeiden will und auch – ja, um dieses Wort wieder mal zu verwenden – den Grexit vermeiden will, muss sich eben Griechenland diesen Bedingungen fügen, auch wenn sie hart sind, auch wenn sie ungerecht sind, auch wenn sie teilweise wieder in die falsche Richtung gehen. Frau Schulz, meine Meinung von Anfang an ist gewesen, Griechenland braucht natürlich die finanzielle Unterstützung seiner EU-Partner, ohne die geht es nicht, und da ist natürlich solch ein Hilfspaket und diese Bedingungen auch notwendig. Aber: Griechenland braucht viel, viel mehr große, große Strukturänderungen, Reformen, und diese sehe ich in diesem Paket wieder einmal nicht wirklich enthalten. Wir brauchen ...
"Die griechische Politik hat in den letzten Jahrzehnten schlicht versagt"
Schulz: Warum haben Sie denn die nicht schon früher angestoßen? Ihre Partei hatte ja auch Regierungsverantwortung.
Droutsas: Das ist ein Vorwurf, den sich alle politischen Kräfte in Griechenland in den letzten Jahren und Jahrzehnten natürlich gefallen lassen müssen von der griechischen Bevölkerung und deswegen ist auch die Unglaubwürdigkeit der Politik und auch das Misstrauen der griechischen Bevölkerung gegen die Politik und Politiker natürlich so groß. Ich möchte, Frau Schulz, hier nicht in die Versuchung geraten, unsere eigene Regierung damals von 2009 bis 2011 von Herrn Giorgos Papandreou, damals als die Krise ausgebrochen ist, verteidigen zu wollen. Ich glaube doch, dass wir damals so einiges an wirklichen Reformen auf den Weg gebracht haben, innenpolitisch hat es leider dann diese Entwicklungen in Griechenland gegeben.
Es ist ein Faktum, Frau Schulz, ich sage das ganz offen, dass die griechische Politik und die griechischen Politiker in den letzten Jahrzehnten und Jahren schlicht und einfach versagt haben, aber das heißt nicht, dass wir hier nicht endlich, endlich diesen, nennen wir es Neuanfang wagen müssen und wirkliche Strukturänderungen in Griechenland durchführen müssen, das heißt, im Staatswesen allgemein, öffentliche Verwaltung, richtiges, faires Steuersystem und vor allem effizienter Steuereintreibungsmechanismus, Abbau der Bürokratie, Erziehungs-, Gesundheitswesen müssen reformiert werden, unabhängiges Justizwesen, Frau Schulz, unabhängige Medien in Griechenland, all diese Dinge sind notwendig.
Dazu bedarf es des großen politischen Willens und Mutes. Und, Frau Schulz, noch mal – meine Frustration und Resignation, ich glaube nicht, dass Herr Tsipras der richtige Mann ist, um diese großen Änderungen in Griechenland in unmittelbarer Zeit durchzuführen.
"Griechische Wahlkämpfe werden immer sehr hitzig geführt"
Schulz: Ja, das wollte ich Sie gerade noch fragen. Also wenn Ihre Partei jemals wieder in die Situation kommen will, mitzugestalten und nicht nur zu reden oder nicht nur Forderungen aufzustellen, dann wird das jetzt vielleicht doch der Zeitpunkt, auch wieder auf Tsipras zuzugehen. Warum ist das keine Perspektive?
Droutsas: Man muss jetzt diesen Wahlkampf und die Wahlen abwarten. Es ist leider so, dass Wahlkämpfe in Griechenland immer sehr, sehr hitzig geführt werden, sehr viel gesprochen wird, sehr viel versprochen wird, das hat ja auch Herr Tsipras getan und hat bei den letzten Wahlen am 25. Januar die Mehrheit für sich erlangen können.
Ich hoffe, dass dieser Wahlkampf jetzt hier gekennzeichnet sein wird von einer spezifischen Ruhe, nicht allzu große Töne, dass man sich eben hier darauf konzentriert auf den Tag nach den Wahlen, dass die notwendigen Zusammenarbeiten dann wirklich möglich sind, und ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck erteilen, dass auch mehr junge Leute in die griechische Politik hineinkommen, die mit neuen Ideen und neuer Begeisterung hier dieses Werk und diese Zusammenarbeit nach den Wahlen dann durchführen können.
Schulz: Der frühere griechische Außenminister, Dimitrios Droutsas von der sozialdemokratischen Pasok, heute hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen für das Interview!
Droutsas: Ich danke auch!
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