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Griechenland
"Wir sind bereit, griechische Schwierigkeiten zu diskutieren"

Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, hat Griechenland davor gewarnt, die Solidarität gegenüber der Ukraine infrage zu stellen und stattdessen mehr Solidarität für Griechenland einzufordern. "Das halte ich für eine schlechte Strategie", sagte Harms im Deutschlandfunk.

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    Peter Kapern: Am Telefon in Brüssel Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Frau Harms.
    Rebecca Harms: Guten Tag.
    Kapern: Wir haben es ja gerade schon gehört, ich habe es auch kurz aufgezählt in der Anmoderation des Beitrags meines Kollegen Thomas Otto: Das ist ja doch ein fulminanter Start, den Alexis Tsipras da hinlegt, der Stopp für die Privatisierung, die Ankündigung neuer Sozialprogramme, neuer Einstellungen in den Staatsapparat, und dann die Kritik an den Russland-Sanktionen. Welche seiner Entscheidungen und Äußerungen finden Sie eigentlich am bemerkenswertesten?
    Harms: Dass Alexis Tsipras in Griechenland was ändern will und auch muss, dass Alexis Tsipras mit den Troika-Reformprogrammen, den Brüsseler Anforderungen nicht einverstanden ist und da was ändern wird, das ist alles bekannt. Trotzdem ist es so, dass Alexis Tsipras auch in allem Überschwang des Wahlerfolges natürlich hier in Brüssel Verhandlungen führen muss, und ich kann nur anraten nach dem, was ich in den letzten Tagen verfolgt habe, dass auch er wissen muss in Brüssel, was man vereinbart, das ist am Ende immer ein Kompromiss, und so wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch manchmal heraus.
    Kapern: Das heißt, man darf das alles gar nicht so ernst nehmen, was er da gerade macht?
    Harms: Doch, man muss das ernst nehmen. Aber man muss auch ganz ernsthaft, so wie Martin Schulz das gesagt hat, darauf bestehen. Wir sind bereit, griechische Schwierigkeiten zu diskutieren. Wir als Grüne waren immer der Meinung, dass die Reformen in Griechenland falsch waren, weil sie sich nur auf Haushaltskürzungen beschränkt haben. Wir gehören zu denen, die gerne darüber reden, was man in Griechenland besser machen kann und wie man das Land nachhaltig reformieren kann, wie man zur wirtschaftlichen Erholung beitragen kann.
    Aber wir halten nichts davon, dass neugewählte Staats- und Regierungschefs - und das hat es für mich den Anschein - in Brüssel sozusagen erpresserisch zwei verschiedene Themenfelder verbinden, sich querzuwerfen, was Sanktionen gegenüber Russland angeht, Solidarität gegenüber Osteuropäern infrage zu stellen, um dann mehr Solidarität für Griechenland einzufordern. Das halte ich für eine schlechte Strategie.
    Harms: Keine Rückkehr zu den alten Strukturen in Griechenland
    Kapern: Jetzt haben Sie deutlich gemacht, dass die Grünen durchaus Sympathie haben für einen anderen Reform- und Sanierungskurs in Griechenland. Jetzt hat Alexis Tsipras die Privatisierungen gestoppt, er will mehr Beamte in den Staatsapparat hineinholen, er verspricht höhere Renten, er verspricht neue Sozialprogramme. Ist das die Art eines geänderten Reformprogramms, das Sie unterstützen würden?
    Harms: Ich erinnere mich an die Probleme, die Griechenland hatte ohne die Eurokrise, schon bevor die Eurokrise da zugeschlagen hat, und verkrustete Strukturen in der öffentlichen Verwaltung, eine überbordende und gleichzeitig nicht funktionstüchtige öffentliche Verwaltung gehörten dazu. Eine Rückkehr zu den alten Strukturen halte ich unbedingt für den falschen Weg in Griechenland.
    Kapern: Wie muss man ihm das denn beibringen, denn er scheint ja doch sehr entschlossen zu sein? Er hat das ja nicht nur angekündigt in einer Art, sagen wir mal, Muskelspiel für die Galerie, auf der sich seine Wähler versammelt haben, sondern er setzt das ja in die Tat um. Er hat die Privatisierungen gestoppt beispielsweise.
    Harms: Ja, das sind tatsächlich überraschende und schnelle Entscheidungen gewesen. Trotzdem wird es jetzt so sein, dass er, wenn er nach Brüssel kommt, mit den anderen Staats- und Regierungschefs darüber reden muss, was er weiter vorhat, und für diese Maßnahmen, für die er sich da jetzt entschieden hat, muss es ja am Ende auch eine Finanzierung geben.
    Kapern: Das heißt, alles das, was Alexis Tsipras derzeit auf den Weg bringt, wird schon sein Ende finden, wenn dann die dazugehörigen Zahlen debattiert werden?
    Harms: Man soll dem jetzt nicht vorweggreifen. Ich bin der Meinung, dass in Brüssel in der Regel Vernunft sich durchsetzt, und ich glaube, dass es richtig ist, was Schulz gesagt hat: Man soll jetzt nicht mehr dauernd übereinander reden, sondern man soll jetzt miteinander reden. Es gibt gute Gründe, die verständlich machen, warum Alexis Tsipras die Wahlen gewonnen hat. Ich habe mich im Laufe der letzten Jahre immer wieder um Veränderungen in Griechenland bemüht. Ich werde das weiter tun. Ich glaube, dass man wirklich nicht einfach zurückkehren darf in das alte griechische System.
    "Wirtschaftssanktionen nicht zurücknehmen"
    Kapern: Welche Tragweite haben denn die Äußerungen des Alexis Tsipras in Sachen Russland-Sanktionen? Da überlegen ja die EU-Mitgliedsstaaten, ob sie eventuell die Sanktionen wegen der Angriffe der Rebellen auf Mariupol noch mal verschärfen. Tsipras sagt, davon hält er gar nichts, da ist nicht mal mit ihm drüber gesprochen worden. Ist das das Ende des Sanktionsregimes?
    Harms: Das wird nicht so sein, dass wir ein schnelles Ende des Sanktionsregimes sehen. Auch hat sich ja Herr Tsipras noch nicht festgelegt, ob er dieses griechische Veto wirklich aufrechterhält. Ich glaube, dass die Lage im Osten der Europäischen Union, also in der Ukraine, dass diese Lage sehr ernst ist. Die Europäer müssen darüber reden, was das eigentlich bedeutet, dass ihre monatelange intensive Diplomatie gescheitert ist. Die müssen darüber reden, was das bedeutet, dass wir auf eine militärische Eskalation nicht militärisch, sondern mit Wirtschaftssanktionen geantwortet haben. Ich glaube, dass man diese Wirtschaftssanktionen nicht zurücknehmen darf. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns darauf verständigen, dass wir zwar gerne ein europäisches Russland hätten, dass wir alles dafür tun, ein europäisches Russland zu bekommen, aber dass der derzeitige russische Präsident offensichtlich nicht an einem Kompromiss und an guten funktionierenden diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU interessiert ist.
    Luxleaks-Affäre: "Es geht nicht nur um Luxemburg"
    Kapern: Frau Harms, ganz kurz noch zu einem anderen Thema. Die Grünen verlangen seit geraumer Zeit einen Untersuchungsausschuss, der sich mit der Luxleaks-Affäre beschäftigen soll, also mit den Steuerabsprachen, die die Luxemburger Regierung unter Jean-Claude Juncker, dem heutigen Kommissionspräsidenten, mit multinationalen Konzernen getroffen haben. Nun sieht es so aus, als würde dieser Untersuchungsausschuss zustandekommen. Es gibt genügend Unterschriften und Stimmen dafür im Europaparlament. Das hat Parlamentspräsident Schulz gesagt. Was bedeutet das?
    Harms: Wir haben ein ganz klares Ziel, das wir mit diesem Untersuchungsausschuss verbinden. Wir möchten gerne wirklich aufklären, in welchem Umfang es in der Europäischen Union in einzelnen Mitgliedsstaaten - und es sind ja etliche, die das so machen - Sonderregeln für internationale Unternehmen gibt, die ihre Profite nie da versteuern, wo sie sie machen, sondern zu sehr günstigen Bedingungen ...
    Kapern: Das heißt, es geht nicht nur um Luxemburg?
    Harms: Es geht nicht nur um Luxemburg, es geht auch keineswegs jetzt alleine gegen Jean-Claude Juncker, sondern es geht darum, das aufzuklären, auch festzustellen, warum es überhaupt zu dieser schädlichen Entwicklung kommen konnte, und damit die Grundlage dafür zu legen, dass wir zu einer fairen Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union kommen.
    Kapern: Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament. Frau Harms, vielen Dank, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag nach Brüssel.
    Harms: Gerne! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.