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Griechische Reparationsforderungen
"Athen möchte nicht mit Warschau in einen Topf geworfen werden"

Nicht nur Polen fordert von der deutschen Bundesregierung Reparationen. Auch in Griechenland wird der Ruf nach Kriegsentschädigung in regelmäßigen Abständen laut. Gemeinsame Sache mit Warschau wolle Athen aber nicht machen, sagte Korrespondent Michael Lehmann im Dlf.

Michael Lehmann im Gespräch mit Anne Raith |
    Ministerpräsident Alexis Tsipras im griechischen Parlament
    Alexis Tsipras sagt, die Gleichstellung der polnischen Forderungen nach Reparationszahlung durch Deutschland mit den griechischen Forderungen diene seinem Land nicht. (dpa / picture-alliance / Yannis Kolesidis)
    Anne Raith: Für die polnische Regierungschefin Beata Szydło ist es eine "Frage des Anstands und der Gerechtigkeit". Wobei es sich genau genommen nicht um eine Frage handelt, sondern um eine Forderung. Die Forderung nach deutschen Kriegsreparationen, die seit einiger Zeit wieder aus den Reihen der Regierungspartei PiS zu hören ist und deren Rechtmäßigkeit auch ein neues Gutachten belegen soll, über das zu Beginn der Woche lebhaft diskutiert wurde.
    Uns hat die Debatte in Polen an die Debatte erinnert, die auch in Griechenland seit vielen Jahren geführt wird, vor allem in der Hochzeit der Finanz- und Schuldenkrise ist der Ruf nach Reparationen immer wieder laut geworden und verstummt ist er bis heute nicht. In diesem Sommer erst ist es bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus zu einem Eklat gekommen, als eine ehemalige Syriza-Politikerin den Deutschen Botschafter daran hindern wollte, einen Kranz niederzulegen und ihn mit eben jenen Reparationsforderungen konfrontierte.
    Im Zuge der polnischen Debatte hat sich ja auch Regierungschef Tsipras erneut zu Wort gemeldet. Mit welcher Botschaft, wie argumentiert die griechische Regierung?
    Michael Lehmann: Das ist eine sehr klare Stellungnahme gewesen von Regierungschef Alexis Tsipras. Er sagte, die Gleichstellung dieser polnischen Forderungen nach Reparationszahlung durch Deutschland mit den griechischen Forderungen diene nicht seinem Land. Also ganz klar: Tsipras möchte da nicht in einen Topf geworfen werden und es wird sogar argumentiert, warum das so ist. Er sagt, die polnische Regierung sei politisch im Moment so anti-europäisch, dass es sich Griechenland auf keine Fall vorstellen kann, hier gemeinsame Sache in Sachen Reparationszahlungen zu machen und im griechischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen ERT sagte Tsipras dann wiederum sehr diplomatisch, er würde dieses eine mit dem anderen Thema nicht verbinden wollen. Also klare Aussage, im Moment keinerlei Zusammenarbeit zwischen Polen und Griechenland in diesem Punkt denkbar.
    Raith: Welche Beweggründe hat denn die Regierung in Griechenland, das Thema Reparationen in regelmäßigen Abständen vorzubringen?
    Lehmann: Sie haben die Hochzeit der Krise ja angesprochen, Frau Raith, und das war damals für Alexis Tsipras, als er noch extrem links als Wahlkämpfer unterwegs war, natürlich auch ein großer, wichtiger Punkt, weil er weiß, dass es nicht nur im älteren Teil der Bevölkerung diese Forderung nach Entschädigung nach wie vor gibt und dass ja auch immer wieder lautstark auch auf Demonstrationen sogar vorgetragen wurde.
    Griechenland bleibt bei seiner Forderung, geht aber diplomatischer vor
    Inzwischen hat sich das gewandelt. Tsipras bleibt dabei, auch in Ruhe sagt er ja, es gibt diesen Anspruch nach wie vor, Griechenlands gegenüber Deutschland aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, wo ja wirklich reichlich Kriegsverbrechen und Leid dem griechischen Volk zugefügt wurde. Aber er sagt eben jetzt mehr oder weniger, man müsse auf den richtigen Zeitpunkt warten. Und auch aus deutscher Sicht war das ja äußerst ungünstig, gerade da, als der kräftige Kassensturz Griechenlands zur Folge hatte, dass es wirklich fast keinen Ausweg mehr für das Land gab. Gerade in dieser Situation dann ausgerechnet lautstark und mit hohen Summen, nämlich dreistelligen Milliardensummen diese Reparationszahlungen neu auf den Tisch zu bringen war unklug. Inzwischen läuft das wesentlich zurückhaltender diplomatischer, aber im Kern bleibt Griechenland bei der Forderung.
    Raith: Und dieses Thema beschäftigt die deutsch-griechischen Beziehungen ja schon seit vielen Jahren. Wissenschaftliche Untersuchungen liegen auch in diesem Falle vor. Zu welchem Ergebnis kommen die denn mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der griechischen Forderung?
    Lehmann: Auch die Bundesregierung ist natürlich in dieser Frage immer wieder auch vorgegangen, hat sich wissenschaftlich beraten lassen und kommt sehr eindeutig zu dem Schluss, dass die Frage von Reparationszahlungen aus ihrer Sicht juristisch und politisch abgeschlossen ist. Deutschland habe ja nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in hohem Maße, so sagt es die Bundesregierung, Reparationsleistungen erbracht und damit seien eben auch alle Ansprüche Griechenlands abgegolten und somit erloschen und da gab es ja etwa in den 60er Jahren ein Entschädigungsabkommen mit insgesamt zwölf westlichen Staaten und tatsächlich wurde Griechenland auch von der damaligen BRD die Summe von 115 Millionen D-Mark ausbezahlt.
    In Deutschland ist die Reparationsfrage unter Experten umstritten
    Auf der anderen Seite gibt es aber auch in Deutschland Experten, die das anders sehen. Die sagen, so ganz einfach dürfen wir als Deutsche diese Frage doch nicht vom Tisch legen, es gebe nach wie vor einen Anspruch, der sei zwar nicht so hoch, heißt es dann oft, wie von Griechenland gefordert, nämlich da sind Summen so im Schnitt immer wieder um die 300 Milliarden Euro sogar in der Diskussion, aber wenn wir es mal in Zahlen so ganz grob fassen möchten: Die Stimmen, die auch bei uns auf juristischer Seite sagen, es gibt nach wie vor einen gewissen Anspruch auf weitere Reparationszahlungen von Griechenland, die bewegen sich alle so im zweistelligen Milliardenbereich. Schwierig wäre die Frage in der Tat auch endgültig juristisch zu lösen, weil ja noch nicht mal ganz genau klar ist, welches Gericht denn da zuständig sein könnte. Der internationale Gerichtshof in den Haag wäre wahrscheinlich der richtige Ansprechpartner.
    Raith: Herr Lehmann, zum Schluss noch die Frage jenseits der politischen Debatten und auch der Polemik, die wir ja in der Vergangenheit auf beiden Seiten immer mal immer wieder erlebt haben. Welche Rolle spielt denn diese Vergangenheit für die griechische Bevölkerung?
    Lehmann: Es ist immer wieder ein Thema, allerdings auch hier inzwischen sehr zurückhaltend, gerade wenn wir im aktuellen Jahr auf die sehr gut laufende Tourismussaison schauen. Da gibt es natürlich griechische Inseln, wo klar ist, hier ist irgendwann mal ein Wehrmachtsbomber drübergeflogen und ich habe selbst auch im Urlaub erlebt, wie ältere Griechen dann nach langer Zeit fast schon eher schüchtern auf einen zukommen und fragen, ob man denn um diese Zeit wisse, ob man sie kenne, ob man weiß, dass hier großes Leid von Seiten der deutschen Wehrmacht auf manchen griechischen Inseln, wo ja ein Zehntel der griechischen Bevölkerung gestorben ist in Folge der deutschen Besatzung dort, ob man das wisse. Und ich habe den Eindruck, dass man nicht bereit ist, alles zu vergessen, auch nicht alles der Wehrmacht natürlich nachsehen will, aber das es im aktuellen Verhältnis fast schon ruhig, ausgeruht und durchaus verständnisvoll eine Rolle spielt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.