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Griechische Reparationsforderungen
"Der historischen Verantwortung gerecht werden"

Die Bundesregierung weist Reparationsforderungen der griechischen Regierung aus dem Zweiten Weltkrieg zurück, weil sie den Fall für rechtlich abgeschlossen hält. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) kritisiert dies. Die Forderungen nach Reparatur seien auf der Londoner Schuldenkonferenz nur zurückgestellt und nicht endgültig geklärt worden, sagte Dagdelen im DLF.

Sevim Dagdelen im Gespräch mit Sandra Schulz | 13.03.2015
    Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen vor dem Reichstagsgebäude.
    Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. (imago/Christian Thiel)
    Christoph Heinemann: Mit einer diplomatischen Protestnote hat die griechische Regierung auf Äußerungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über seinen Athener Kollegen Yanis Varoufakis reagiert. Schäuble habe sich herablassend über Varoufakis geäußert und in Zweifel gezogen, dass Athen seinen Verpflichtungen nachkommen könne. Im Streit um die weiteren finanziellen Unterstützungen Griechenlands hatte sich Varoufakis und Schäuble in jüngster Zeit harte inhaltliche Auseinandersetzungen geliefert. Angesichts einer drohenden Staatspleite richtete die griechische Regierung zuletzt außerdem mehrfach die Forderung an Deutschland, Reparationen für deutsche Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg zu zahlen. Die Bundesregierung lehnt das ab, sie betrachtet die Angelegenheit als rechtlich geregelt. - Darüber hat meine Kollegin Sandra Schulz mit Sevim Dagdelen gesprochen. Sie ist für die Linkspartei Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
    Sandra Schulz: Wie konstruktiv ist jetzt die griechische Drohung mit Pfändungen und auch die Beschwerde von Varoufakis über eine angebliche Beleidigung Schäubles?
    Sevim Dagdelen: Na ja, ich glaube, hier muss man eigentlich schon wirklich sehr differenzieren und auseinanderhalten. Hier wird ja alles zusammengemischt, die aktuelle Griechenland-Politik der Bundesregierung mit der EU zum Thema Schuldenschnitt und Kreditprogramm, und das andere sind jetzt berechtigte Forderungen, die gestellt werden gegenüber Deutschland hinsichtlich des Unrechts. Da, glaube ich, würde es zur Entspannung auch ein bisschen beitragen in dem Verhältnis zu Griechenland, wenn die Bundesregierung hier nicht entsprechende Forderungen einfach brüsk zurückweist, sondern versucht, da ins Gespräch zu kommen.
    Schulz: Aber dass diese Forderungen jetzt wieder aufkommen, parallel zu den Verhandlungen um Griechenlands Schuldenkrise, von wie viel politischer und auch historischer Sensibilität zeugt das?
    "Berechtigte Forderungen" der Griechen
    Dagdelen: Zunächst einmal muss man sagen, dass die Griechen hier berechtigte Forderungen stellen. Herr Steinmeier hat das verglichen mit den individuellen Ansprüchen der Opfer und Hinterbliebenen beispielsweise eines SS-Massakers von Distomo. Darum geht es hier konkret nicht, was die griechische Regierung sagt. Die griechische Regierung spricht an die NS-Zwangsanleihe, die gemacht worden ist in Höhe von 568 Millionen Reichsmark, und zum Ende des Krieges waren nur noch 476 Millionen Reichsmark als Restschuld offen. Diesen Zwangskredit hat es gegeben und es wurde auch eine Rückzahlung vereinbart, und das wurde bis heute nicht zurückgezahlt. Das heißt, das ist eine offene Forderung und diese offene Forderung, die verjährt auch nicht, und deshalb ist es eine berechtigte Forderung.
    Schulz: Das ist ja rechtlich alles hoch umstritten. Aber sagen Sie das noch mal, weil darauf meine Frage ja auch abzielte: Dass diese Forderung jetzt zum Zeitpunkt der Schuldenkrise-Verhandlungen kommt, ist das nicht letzten Endes eine Instrumentalisierung der Opfer des Nazi-Regimes?
    Dagdelen: Nein. Erstens ist sie nicht umstritten, die Debatte um die Zwangsanleihe. Es ist ein Kredit, der nicht zurückgezahlt worden ist. Ein Rückzahlungstermin war nicht vereinbart worden, weshalb eben auch keine Verjährung eingetroffen ist, und diese Sache ist juristisch eigentlich klar auf der Seite der Griechen. Anders ist das mit dem Thema Reparationen an sich. Das ist umstritten.
    Schulz: Das hält die Bundesregierung aber auch für rechtlich abgeschlossen. Insofern ist auch das natürlich umstritten.
    Griechen wollen "Hinweis geben"
    Dagdelen: Auch das ist umstritten. Ich finde aber, insgesamt täte es wirklich gut, hier mit den Griechinnen und Griechen überhaupt ins Gespräch zu kommen, weil anders als mit Polen oder Frankreich oder Italien oder eben auch Israel hat es überhaupt keine Aufarbeitung der Geschichte gegeben, des deutschen Unrechts in Griechenland gegeben mit den Griechinnen und Griechen. Da, glaube ich, wäre es auch tatsächlich eine Chance, hier mal ein überfälliges Kapitel aufzumachen und das zu bearbeiten, der historischen Verantwortung auch gerecht zu werden, vor allen Dingen, wenn man vollmundig immer von internationaler Verantwortung spricht, die man übernehmen möchte.
    Das Zweite ist: Ich glaube, insoweit ist es schon Sensibilität auch der Griechinnen und Griechen, weil sie auf etwas hinweisen wollen. Sie wollen darauf hinweisen, dass bei dem Schuldenerlass gegenüber Deutschland 1952, 1953 bei der Londoner Konferenz man ganz vernünftig mit einem hoch überschuldeten Staat umgegangen ist, nämlich durch einen Schuldenerlass, und dass man jetzt doch vielleicht einmal reflektiert, angesichts der deutschen Griechenland-Politik, dass man eventuell anders mit einem hoch überschuldeten Staat wie Griechenland umgehen müsste, als es jetzt der Fall ist. Insofern, glaube ich, kann man den Griechinnen und Griechen jetzt keinen Vorwurf machen, sondern ich glaube, es ist nachvollziehbar und verständlich, warum man hier eigentlich auch einen Hinweis geben möchte.
    Schulz: Die Bundesregierung sagt ja, das Kapitel ist abgeschlossen, auch rechtlich abgeschlossen in Folge der Zwei-plus-vier-Verträge. Das habe eine endgültige Regelung gegeben, aller durch den zweiten Weltkrieg entstandenen Rechtsfragen, und diesem Papier hat Griechenland auch zugestimmt. Warum jetzt diese Forderung?
    Griechenland hat Forderungen nicht "als abgegolten verstanden"
    Dagdelen: Das ist wirklich nur die halbe Wahrheit. Auf der Londoner Schuldenkonferenz 53 wurden die Forderungen an Deutschland, ich zitiere, bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt. Diese steht bis heute aus. Die Bundesregierung argumentiert zwar, dass der Zwei-plus-vier-Vertrag die Reparationspflichten aufheben würde und die KSZE-Staaten, darunter auch Griechenland, dieser Regelung mit der Charta von Paris im Jahr 90 zugestimmt haben. Aber daran sind zwei Aussagen falsch. In keinem der beiden Dokumente ist auch nur mit einem Wort der Begriff Reparation enthalten. Zweitens: Die KSZE hat dem Zwei-plus-vier-Vertrag nicht zugestimmt, sondern, ich zitiere, mit großer Genugtuung Kenntnis von ihm genommen, und die Bundesregierung deutet dies aus eine faktische Zustimmung. Und der wissenschaftliche Dienst des Bundestages beispielsweise führt dagegen in einem Gutachten aus, es seien Zweifel an einer solch weitgehenden Interpretation dieser Kenntnisnahme begründet.
    Als dritten Punkt möchte ich noch anmerken, dass es mitnichten so ist, dass Griechenland alle Forderungen als abgegolten verstanden hat, weil allein schon 1997 es eine Verbalnote der griechischen Regierung an Deutschland gegeben hat, dass man das eben nicht als erledigt sieht, und bis vor kurzem, auch unter der konservativen Regierung von Samaras in Griechenland, gab es diese Reparationsforderungen.
    Heinemann: Sevim Dagdelen von der Linkspartei. Die Fragen stellte meine Kollegin Sandra Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.