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Griechische Unis
Hungerlohn für Akademiker

900 Euro im Monat: Damit muss in Griechenland ein gut ausgebildeter Akademiker auskommen. Seit der Universitätsreform von 2011 stehen an griechischen Hochschulen Stellenabbau und Gehaltskürzungen auf der Tagesordnung. Viele Jungakademiker wollen deshalb im Ausland arbeiten.

Von Thomas Wagner |
    Griechische Protestanten auf einer Demonstration
    Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland, die auch bei Jungakademikern bei 60 Prozent und darüber liegt, führte zu heftigen Protesten. (Menelaos Michalatos)
    Wer sich mit den Befindlichkeiten griechischer Studierenden in Zeiten der Finanzkrise auseinandersetzen möchte, unternimmt am besten einen Bummel auf der Akadimias, einem breiten Boulevard mitten in der Innenstadt von Athen. An einer markanten Stelle fallen zwei große Gebäude mit antiken Säulen ins Auge, die Nationalbibliothek und das Hauptgebäude der Universität von Athen. Dass in den vielen Cafés drum herum fast nur junge Leute sitzen, hat seinen Grund: Fast 100.000 Studierende leben in der griechischen Hauptstadt.
    Ein Gebäude in einer Seitenstraße erweckt einen eher heruntergekommenen Eindruck: An manchen Stellen der grauen Fassade bröckelt bereits der Putz ab. Am Eingang ein großer Schriftzug in griechischen Buchstaben: Hier hat die pädagogische Fakultät der Universität von Athen ihren Sitz. Auf der mächtigen Steintreppe hocken gut zwei Dutzend Studierende, einige mit Seminarblöcken in der Hand.
    Doch mit ihnen ins Gespräch zu kommen, gestaltet sich schwierig: Die meisten geben sich angenervt, wenn das Stichwort "Krise" fällt, wollen keine Interviews gehen; manche stehen auf und rennen davon. Minas, ein junger Mann Mitte 20, beginnt, nach kurzer Bedenkzeit, dann doch zu sprechen über die zurückliegenden Monate und Jahre:
    Studenten sind genervt von der Krise
    "In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu zahlreichen heftigen Protesten. Ja, die Studierenden sind auf die Straße gegangen. Sie forderten einschneidende Maßnahmen, um dem griechischen Bildungssystem zu helfen."
    Denn das hatte die griechische Regierung nach Ausbruch der Wirtschaftskrise in Griechenland mächtig gerupft: Rund 1400 Uni-Bedienstete, vornehmlich aus dem Verwaltungsapparat, wurden auf einen Schlag entlassen. Die Dozenten und Hochschulprofessorengehälter wurden je nach Dauer der Hochschulzugehörigkeit um bis zu 40 Prozent gekürzt.
    Nach einer Erhebung der European University Association kürzte der griechische Staat die Zuschüsse an den Hochschulen im Land im Zeitraum von 2009 bis 2013 um 46 Prozent. Doch nicht nur dagegen richteten sich die Proteste. Für Minas ist ein Punkt noch viel wichtiger:
    "Das größte Problem ist die hohe Arbeitslosigkeit unter den Jung-Akademikern. Sie müssen sich vorstellen: Da kommen Studierende von überall her nach Athen, bleiben hier vier oder fünf Jahre. Und danach finden sie keinen Job. Selbst wenn Du auf das Bachelor-Studium noch einen Master draufsetzt, kriegst Du einfach keinen Job hier in Griechenland."
    60 Prozent der Jungakademiker sind arbeitslos
    Nicht zuletzt die Jugendarbeitslosigkeit, die auch bei Jung-Akademikern bei nahezu unvorstellbaren 60 Prozent und darüber liegt, führte erst zu heftigen Protesten, dann auch zu einem vier Monate anhaltenden Streik an acht griechischen Unis, darunter auch die Universität von Athen.
    Erst die Androhung der Regierung, das Kriegsrecht über die Hochschulen zu verhängen, schüchterte Studierende und Uni-Angehörige derart ein, dass sie von ihren Protesten abließen. Viele blieben irgendwann aber auch wegen der massiven Nachteile zuhause, die sich aus dem Ausfall des Unibetriebes für sie ergeben hatten. Constina Mogadacu studiert angewandte Pädagogik:
    "Die Wahrheit ist: Ich war sehr enttäuscht von der ganzen Protest-Aktion. Auf der einen Seite verstehe ich ja, dass das alles schlimm ist für diejenigen an den Unis, die ihren Job verloren haben. Auf der anderen Seite habe ich die ganze Zeit über warten müssen, um meine Prüfungen zu machen und dabei locker mal vier Monate verloren. Danach musste ich das in ganz kurzer Zeit alles nachholen: Das bedeutete einen riesen Stress in jenen Wochen."
    Mittlerweile sind die Entlassungen der Unibediensteten vollzogen worden. Trotzdem geht kaum einer mehr zum Protestieren auf die Straße. Das bedeutet nicht, dass sich die Studierenden einfach so mit der Situation abgefunden haben. Cristina Mograkulu, angehende Lehrerin:
    "Viele jungen Leute denken darüber nach, ins Ausland zu gehen. Sie gehen woanders hin, wo es bessere Jobs gibt, so sie ein besseres Leben führen können. Ich persönlich möchte es erst mal hier, zuhause in Griechenland, versuchen. Aber wenn ich hier keine Arbeit finde, dann überlege ich mir das auch."
    Junge Griechen wollen nach England, Deutschland oder Frankreich
    Mittlerweile, ergänzt Geschichtsstudent Minas, gebe es unter den griechischen Studierenden bereits eine Art "Hitparade" der beliebtesten Ziele im Ausland:
    "Die meisten wollen nach England, Deutschland oder Frankreich gehen. Und das sind genau diejenigen, die wir eigentlich hier im Land bräuchten, Ingenieure, Computerfachleute und so weiter. Und in diesen Ländern finden die meisten eine Möglichkeit zum Arbeiten."
    Eine Frau, Mitte 20, und ein Mann, Anfang 60, im Gespräch in einem Nebenraum in der pädagogischen Fakultät. Obwohl sie sich auf Griechisch unterhalten, wird das Thema auch für deutsche Ohren sehr schnell klar: Es geht um die Krise und um die Auswirkungen auf die griechischen Hochschulen. Er ist Professor für Philosophie, sie Doktorandin.
    Beide wollen ihre Namen nicht nennen – möglicherweise ein Reflex auf die Drohung der griechischen Regierung mit personellen Konsequenzen an die Adresse all derjenigen Hochschulmitarbeiter, die die Streiks gegen die Sparpläne unterstützten. Als besonders schmerzhaft empfindet der Philosophieprofessor vor allem die Gehaltskürzungen bei Lehrern, Dozenten und Professoren:
    "Die Kollegen, die nicht so viele Jahre hier sind wie ich, die früher 1400 Euro bekommen haben, erhalten nun 900."
    Regierung droht Streikenden an der Uni mit personellen Konsequenzen
    Und mit 900 Euro, rechnet der Philosophieprofessor vor, könne man sich keine großen Sprünge leisten. Das sei für einen gut ausgebildeten Akademiker nicht mehr als ein Hungerlohn. Viele gestandene Professoren hätten bereits von ihrem gewohnten Lebensstandard Abschied nehmen müssen.
    "Man hat da große Schwierigkeiten: Man muss das Auto verlassen, verkaufen, man muss alles so machen, dass man mit 1000 Euro durchkommt. Das ist nicht so einfach. Mit Wohnungen ... Viele Wohnungen sind leer. Die Banken bekommen die Wohnung. Ich habe einige Beispiele. Es ist sehr dramatisch."
    "Ich bin Lehrerin an der Grundschule. Neben meinem Doktorat ist das mein eigentlicher Job. Und sie haben mein Gehalt um 40 Prozent gekürzt. Gleichzeitig sind die Grundnahrungsmittel wie beispielsweise Milch, Brot und das alles, keineswegs billiger geworden - im Gegenteil: Hier haben wir Preise, die deutlich höher sind als vor der Krise. Jetzt kann ich nicht mal mehr die Bücher kaufen, die ich eigentlich für meine Promotion bräuchte. Für mein tägliches Leben ist es wirklich sehr schwer. Das ist komisch: Du gehst manchmal in den Supermarkt, schaust Dir alles - und Du kaufst wirklich nur das, was Du unbedingt brauchst, keinen einzigen Artikel mehr."
    Griechische Unis sollen sich nach Marktbedürfnissen richten
    Dabei sind Stellenabbau und Gehaltskürzungen nur die spektakulärsten Punkte jener Universitätsreform, die die damalige Regierung bereits im August 2011 beschlossen hatte, die aber bis heute nicht vollständig umgesetzt worden ist. Die wichtigste Zielsetzung dieser Reform versetzt den Philosophieprofessor aus Athen in Alarmstimmung: Die griechischen Unis sollen sich demnach viel stärker als bisher den Erfordernissen des Marktes anpassen:
    "Das bedeutet, dass die Uni ihre liberale freie Rolle abgibt und sich dem Markt anpasst. Das ist nicht gut, das bedeutet für unsere Zunft, für die Geisteswissenschaften, ein 'Pech'. Wir sind die Ersten, die man nicht anerkennt."
    Dass an den griechischen Unis zukünftig viel weniger Platz als bisher sein soll für Philosophen, Politologen, für Historiker und Soziologen, das stattdessen vornehmlich Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler ausgebildet werden, hält der Philosophieprofessor für einen großen, verhängnisvollen Fehler. Denn gerade während der so genannten "Obristen-Diktatur" von 1967 bis 1974, als die Militärs das alleinige Sagen in Griechenland hatten, waren die Unis jener Ort, an dem sich gerade an den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten trotz aller Repression noch Ansätze liberalen Gedankengutes entwickeln konnten.
    "Student zu sein in Griechenland, ist etwas Bedeutendes. Und das, weil die Studenten in Griechenland eine große Rolle während der Diktatur gespielt haben. Trotzdem war die Uni ein Ort, wo viele liberalen Theorien unter den Studenten gewechselt wurden. Es war etwas Bedeutendes."
    Demokratische Kultur in Gefahr
    Nehme Griechenland durch eine nur auf die Marktbedürfnisse ausgerichtete Hochschulreform von dieser Tradition Abschied, dann bedeute dies auch einen herben Verlust für die demokratische Kultur in seinem Land. Viel Hoffnung auf eine Kehrtwende, auf eine Aufstockung finanzieller Mittel für die Unis, hegt er allerdings nicht.
    Auch seine Doktorandin ist pessimistisch, sieht aber dringenden Handlungsbedarf. Denn die Stärkung der politisch weit links von der Mitte stehenden Partei "Syriza"und der rechtsextremen "Morgenröte" bei der Europawahl hält sie für ein Zeichen des Protestes großer Teile der Bevölkerung:
    "Das betrifft nicht nur die Studierenden, sondern eigentlich alle: Die Leute brauchen eine Vision für die Zukunft. Sie wollen endlich Licht am Ende des Tunnels sehen."