Gerwald Herter: "Wir Europäer müssen unsere Sicherheit stärker in die Hand nehmen." Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, CDU, hat das am Wochenende in Interviews wieder bekräftigt. Und das heißt für von der Leyen auch: Die Bundeswehr muss mehr Geld bekommen. Nach Berechnungen des Stockholmer SIPRI Instituts hat Deutschland im vergangenen Jahr 1,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgegeben. 1,2 Prozent, das ist deutlich weniger als die NATO-Vorgabe. Sie liegt bei zwei Prozent. Die SPD will sich der Forderung nicht einfach anschließen. Diese Zahlen sind in Deutschland zum Wahlkampfthema geworden.
Auch in dieser Frage kann uns aber der Blick über die deutschen Grenzen weiterbringen. Gemessen an seiner Produktivität gibt zum Beispiel Griechenland viel mehr Geld für seine Armee aus als Deutschland. Auf dem Papier also alles in Ordnung, die NATO-Anforderung erfüllt, Athen zuverlässig, weit über zwei Prozent, doch wie sieht das im Detail aus. Kurz vor der Sendung habe ich den griechisch-deutschen Journalisten Jannis Papadimitriou zunächst gefragt, warum die Verteidigungsausgaben Griechenlands im Vergleich so hoch sind.
Hohe Verteidigungsausgaben wegen Entwicklungen in der Türkei
Jannis Papadimitriou: Der Grund ist natürlich, das man auf die Entwicklungen in der Türkei besonders achten muss. Deshalb sind die Verteidigungsausgaben hoch, und sie waren eigentlich noch viel höher, nämlich über 3 Prozent der Wirtschaftsleistung, 7,5 Milliarden Euro im Jahr 2009. Im vergangenen Jahr waren es fast 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung - immer noch 4 Milliarden. Man darf natürlich auch nicht vergessen, die Wirtschaftsleistung ist mittlerweile deutlich geschrumpft.
Herter: Genau. Das ist ein wichtiger Punkt. Man kann sagen, die Produktivität Griechenlands ist so gering, und im Verhältnis sind die Verteidigungsausgaben hoch, aber immer noch niedrig. Wie gut ist die griechische Armee tatsächlich ausgestattet?
Papadimitriou: Ich vermute, gerade im Verteidigungsbereich ist die Produktivität eher schwer zu messen, aber ich denke, Griechenland ist relativ gut ausgestattet. Aber auch in diesem Bereich hat die Krise eben deutliche Spuren hinterlassen. Neue Waffenkäufe zum Beispiel finden kaum statt, und die Truppe muss mit dem auskommen, was schon vor der Schuldenkrise zur Verfügung stand.
Gute Beziehungen zu den USA, seitdem Donald Trump an der Macht ist
Herter: Altbestände also. Griechenland wird ja von Syriza regiert, allerdings in einer Koalition mit der rechtsnationalen Kleinpartei Unabhängige Griechen. Und ihr Vorsitzender Panos Kammenos ist Verteidigungsminister. Verhindert das zumindest drastische Kürzungen, ganz einfach, weil man diesen Mann Kammenos besser in Ruhe lässt?
Papadimitriou: Ja, zumindest seit 2015 ist das der Fall. Da kam die linksgeführte Regierung von Alexis Tsipras an die Macht, und Verteidigungsminister Kammenos hat von Anfang an klargemacht, dass er sich gegen Kürzungen im Verteidigungsbereich wehren würde. Wobei - nicht alles, was Kammenos sagt, muss man für bare Münze nehmen. Er hatte schließlich auch mal versprochen, dass frühere Lohneinschnitte beim Militär rückgängig gemacht würden. Das ist natürlich nicht passiert, aber in der Tat sieht es so aus, Kammenos betrachtet vermutlich das Verteidigungsressort als seinen eigenen Wirkungsbereich. Er betreibt auch eine Art Neben-Außenpolitik: Zum Beispiel pflegt er gute Beziehungen zu den USA seitdem Donald Trump an die Macht gekommen ist.
Herter: In der Vergangenheit haben ja Bestechungsgelder eine größere Rolle gespielt bei griechischen Verteidigungsausgaben. International betrachtet ist das leider gar keine Ausnahme. Gibt es denn da Hoffnung auf Besserung?
Papadimitriou: Wenn man Regierungschef Alexis Tsipras beim Wort nimmt, dann ja. Der eine oder andere Bestechungsskandal wurde schon aufgeklärt, und gerade Tsipras führt die Bekämpfung der Korruption im Schilde. Es gehört zu seinem Konzept, zu seinem Image als Politiker sowieso, dass er sagt, wir sind neu an der Macht, unverbraucht, wir wollen jetzt einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Ob das wirklich gelingt, bleibt noch abzuwarten.
Die Verteidigungsindustrie in Griechenland schrumpft krisenbedingt
Herter: Griechenland hat selbst fast keine eigene Rüstungsindustrie, keine nennenswerte Rüstungsindustrie. In Deutschland ist das ja ganz anders. Bietet das auch Vorteile, wenn man sozusagen frei auswählen kann, was man kauft?
Papadimitriou: Na ja, aber große Vorteile sehe ich darin nicht. Die Konkurrenz ist natürlich stärker. Vorteile gibt es vermutlich für die europäische Verteidigungspolitik, die allerdings immer wieder beschworen wird, noch haben wir sie nicht gesehen. Die Verteidigungsindustrie in Griechenland schrumpft natürlich krisenbedingt. Selbst die Soldatenuniformen werden mittlerweile dem Vernehmen nach in China genäht.
Eine politisch ganz brisante Geschichte betrifft die defizitäre Rüstungs- und Transportfirma ELBO in Thessaloniki. Sie soll jetzt privatisiert werden, und laut Medienberichten soll auch die Münchener KraussMaffei-Gruppe Interesse bekundet haben. Sie gilt angeblich als bevorzugter Investor, allerdings nicht bei den Gewerkschaften - sie reagieren mit Streiks, sie werfen Premier Tsipras vor, er hätte die Arbeitnehmer dort verraten, weil eben der ganze Betrieb jetzt zur Disposition steht.
Herter: Also trotz höherer Verteidigungsausgaben sorgen Rüstungsausgaben in Griechenland auch für Streit. Das waren Informationen und Einschätzungen von Jannis Papadimitriou. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.