Jason ist vor wenigen Tagen zwölf geworden. Doch mit Gleichaltrigen kann er nichts anfangen. Im Podcast "Radiorebell", den er seit über einem Jahr mit seinem Vater macht, fragt er:
"Auf was sollten man denn noch Lust haben - außer lernen?"
"Fußballspielen, Sport machen" (Vater)
"Langweilig" (Jason)
"Rumtoben. Gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten." (Vater)
"Das sind drei Wörter, die bei mir auf einer Liste der schlimmsten Dinge noch vor einer Kollision mit dem Mars stehen." (Jason)
Themen von Freundschaft bis Wissenschaft
Spannend findet der Sechstklässler hingegen Naturwissenschaften: Medizin, Physik, Umweltschutz, das Universum. Um diese Themen geht es neben Alltagserlebnissen in dem gemeinsamen Podcast.
Jede Folge wird gelost, worüber Jason und Vater Mirco von Juterczenka bei der nächsten Aufzeichnung sprechen. Juterczenka schreibt Begriffe wie Freundschaft, Realität und Schule auf seine Lose.
"Die Themen, die ich so reingemacht habe, waren Folge eins, Sterne, die Folge Kräfte im Universum, die Folge jetzt, Schwarze Löcher. Die Folge Ozeane stammt von mir."
Jason sitzt auf Platz 71 in Wagennummer 23 der ICE-Zwei-Flotte auf dem Weg zwischen München und Kassel, während er von seinem Podcast erzählt. Er und sein Vater sind am Wochenende häufig unterwegs, meist mit der Bahn.
"Züge sind einfach toll. Man kann die Länge von ihnen bestimmen, es gibt verschieden Klassen, meistens sind sie nach Buchstaben benannt."
Entweder begleitet Jason seinen Vater bei der Arbeit. Oder sie besuchen Fußballspiele. Das hat bereits seit 2012 Tradition, als Jason zum ersten Mal im Stadion war:
"Zum Schluss habe ich gefragt, wieso freuen die sich alle und haben verschiedene Farben an? Und da hat Papsi gesagt, weil die alle Fan von 'nem Verein sind. Und da wusste ich ja nicht, von welchem Verein ich Fan bin. Und da habe ich gesagt, da müssen wir zu jedem Verein einmal fahren."
Ein anderer Blick auf die Welt
Über die Suche nach dem richtigen Verein schreibt Vater Mirco von Juterczenka seitdem im Weblog "Wochenendrebell", später kam der gemeinsame Podcast "Radiorebell" dazu. Untertitel der Website: "Sohn, Groundhopping, Papa & Autismus." Jason ist Asperger-Autist und hat dadurch einen anderen Blick auf die Welt. Das ist auch in einer Podcast-Folge Thema:
"Während es bei mir so ist, dass mein Gehirn Informationen für mich vorfiltert und eigentlich so im Hintergrund verarbeitet, ohne dass ich das mitbekomme oder merke, ist es bei dir so, dass die Informationen teilweise auf dich einprasseln. Und das hat positive Nebeneffekte. Und das hat negative Nebeneffekte." (Vater Mirco)
Als "Falscher-Planet-Syndrom" wird Asperger-Autismus auch beschrieben. Weil die Betroffenen Schwierigkeiten haben, sozial zu interagieren, Gestik und Mimik zu lesen, Ironie herauszuhören.
Jason will nicht berührt werden und er braucht regelmäßige Abläufe, eine klare Ordnung. Obgleich er auf dem Schulweg und auf dem Pausenhof immer wieder gemobbt wird, geht er selbstbewusst mit der Diagnose um: Nicht er sei auf dem falschen Planeten, sondern die Menschen um ihn herum.
"Dafür ist die Erde viel zu spannend, um irgendwelche Dinge wegzufiltern."
Liebe ist auch materiell
Jasons Stärken werden in jeder Podcast-Folge deutlich. Sein Blick ist erheiternd und erhellend, etwa wenn Vater und Sohn über das Thema Liebe diskutieren:
"Wie ist denn Liebe im Duden beschrieben? Weißt du das?" (Vater Mirco)
"Nein. Bestimmt als Ausschüttung von Dopamin." (Jason)
"Meint du? Willst du mal googeln? (Vater Mirco)
"Hm. Liebe, Duden... Bedeutung, schwaches Verb, ja, ja. Ah, hier: Starkes Gefühl des Hingezogen-Seins, starker körperlicher, geistiger, seelischer Kontakt." (Jason)
"Und findest du das gut beschrieben?" (Vater Mirco)
"Nein. Weil das so dargestellt wird, als wäre Liebe nichts Materielles." (Jason)
"Es ist ja auch nichts Materielles." (Vater Mirco)
"Ist es wohl." (Jason)
"Findest du?" (Vater Mirco)
"Dopamin ist materiell." (Jason)
Ein Lehrstück für Selbstbestimmung
Ein bisschen ärgert es den ehrgeizigen Gymnasiasten, dass der Podcast beim Grimme-Online-Award in der Kategorie "Kultur und Unterhaltung" nominiert ist, nicht "Wissen und Bildung". Denn Jason referiert fundiert über Themen der Astro-, Quanten- und Teilchenphysik. Die Jury aber hebt die Berichte über die "irritierenden Ereignissen und überraschenden Begegnungen bei den Reisen zu den Fußballplätzen" hervor; und dass es dem Podcast gelinge, "viel Verständnis für Menschen mit Asperger-Syndrom zu vermitteln".
"Gibt's denn vielleicht einen Tipp für Nicht-Autisten, wie sie besser mit Autisten umgehen können?"
fragt Mirco von Juterczenka seinen Sohn in der Folge zum Asperger-Syndrom.
"Neugierig sein, wenn man etwas nicht versteht, was der andere macht. Einfach nachfragen und wenn man das nicht versteht, auch mit Ehrgeiz da ran gehen und versuchen, das nachzuvollziehen."
"Okay." (Vater Mirco)
"Versuche ich auch, aber bei mir klappt es leider nicht so gut." (Jason)
Für die Hörerinnen und Hörer des Podcast übernimmt Jasons Vater die Aufgabe. Mit Geduld, Hingabe und Respekt. Es ist ein mitreißendes Lehrstück für Selbstbestimmung. Preisverdächtig.