Als Grippesaison wird laut Robert Koch-Institut der Zeitraum bezeichnet, in dem Influenzaviren hauptsächlich zirkulieren. Das ist auf der nördlichen Halbkugel üblicherweise zwischen Anfang Oktober und Mitte Mai der Fall. 2020 ist die Grippesaison laut RKI wegen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie jedoch weltweit ausgefallen, denn was vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützt, schützt auch vor der Virusgrippe.
Inzwischen sind viele Menschen gegen Corona geimpft und die Corona-Maßnahmen sind in vielen Bereichen gelockert worden. Was bedeutet das für eine mögliche Grippewelle, also den Zeitraum erhöhter Influenza-Aktivität?
- Ist aktuell wieder mit einer Grippewelle zu rechnen?
- Wer sollte sich gegen Grippe impfen lassen?
- Warum ist eine Grippeimpfung während der Corona-Pandemie wichtig?
- Schützt die Grippe-Impfung auch gegen Corona oder umgekehrt?
- Wie groß ist der Schutz, wenn die Impfung jährlich angepasst werden muss?
- Geht es auch ohne Spritze?
Möglicherweise. Die Grippesaison des letzten Winters ist wegen der Corona-Maßnahmen ausgefallen, sagt Leif Erik Sander, Internist und Lungenarzt an der Berliner Charite, "weil wir durch Hygienemaßnahmen, Masken, Lockdowns und Ähnliches die Grippe-Übertragung quasi vollkommen stilllegen konnten. Da sieht man auch noch mal, wie viel ansteckender das Coronavirus ist als das Grippevirus. Das Coronavirus konnte sich dennoch verbreiten und die Grippeviren eben gar nicht."
Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek erwartet erst wieder eine schwere Grippesaison, wenn die Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen aufgehoben sind. "Es ist sehr abhängig von unserem Verhalten. Wenn wir weiter Maßnahmen haben, wie Kontaktbeschränkungen, Masketragen, auf verstärkte Händehygiene achten und Abstand halten, dann wird die Grippesaison wieder schwach werden, würde ich vermuten, weil wir es dem Grippevirus einfach schwer machen, Menschen zu infizieren."
Auch Christine Falk, Leiterin des Instituts für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, rechnet nicht mit einer heftigen Grippewelle. "Ich rechne damit, dass es durchaus möglich ist, dass wir wieder Influenza-Infektionen bekommen. Aber nicht etwa deshalb, weil das Immunsystem irgendwie nicht mehr fit wäre. Das ist noch genauso fit wie vor Corona und in der Coronakrise, sondern einfach deshalb, weil die Menschen mehr Kontakte haben und weil man dann wieder Infektionsketten ermöglicht."
Es gibt klare Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Es sollten sich vor allem diejenigen impfen lassen, die zu einer Risikogruppe gehören: alle Personen ab 60 Jahre, Vorerkrankte, Schwangere, Menschen mit einem beeinträchtigten Immunsystem, Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen. Die Impfung ist auch sinnvoll für Menschen, die beruflich viel Kontakt zu anderen haben, wie Mitarbeitende im Krankenhaus oder Verkäufer und Verkäuferinnen. Die STIKO spricht zwar keine generelle Impfempfehlung aus, rät aber auch nicht von einer Influenzaimpfung anderer Personen ab (Stand: 7.9.2021).
2020 - vor der Einführung der Corona-Impfstoffe - hätten sich sehr viele Menschen gegen die Grippe impfen lassen, erklärt Immologe Carsten Watzl, "um auf jeden Fall zumindest diese Infektionen zu vermeiden. Ob das sich dieses Jahr auch wieder so zeigt, weiß ich nicht. Ich hoffe mal, dass sich die Impfmüdigkeit, die wir aktuell gegen Corona sehen, jetzt nicht auch noch auf die Grippe-Impfung niederschlägt."
Leif Erik Sander, Sandra Ciesek und Carsten Watzl gehören zu den führenden Wissenschaftlern in Deutschland, wenn es um Infektionskrankheiten geht. In Bezug auf den Grippeschutz ist ihre Aussage eindeutig: impfen!
Dabei spielt es keine Rolle, ob man gegen Corona geimpft ist oder schon eine Corona-Erkrankung durchgemacht hat, sagt Virologin Sandra Ciesek von der Uniklinik Frankfurt. Ganz im Gegenteil: "Wenn Sie einen schweren Verlauf hatten und noch Spätfolgen haben an der Lunge zum Beispiel, dann macht es auf jeden Fall Sinn, sich gegen die Grippe impfen zu lassen, um nicht weiter die Lunge zu belasten."
Corona ist keine leichte Grippe. Beide Krankheiten können theoretisch sogar parallel auftreten. Sie betreffen die Atemwege und können schwere Verläufe haben. Daher sind auch Impfungen gegen beide Erreger sinnvoll, erklärt Carsten Watzl, Immunologe der TU Dortmund: "Die Impfung gibt einen spezifischen Schutz gegen den Erreger, gegen den man impft. Das heißt, wenn ich mich gegen Grippe impfe, dann bin ich gegen die Influenza geschützt, aber nicht so sehr gegen Corona. Und wenn ich mich gegen Corona impfen lasse, dann schützt mich das vor der Corona-Infektion, aber nicht so sehr gegen die Grippe."
Der größte Vorteil der Impfung: Wie bei der Corona-Schutzimpfung trägt auch die Impfung gegen Grippe dazu bei, dass Menschen nicht so schwer krank werden, falls sie das Virus doch erwischt.
Parallel-Impfung schon jetzt möglich
Die Ständige Impfkommission sieht inzwischen keine Probleme mehr, die Spritzen gegen Grippe und Corona gleichzeitig zu verabreichen. Bis vor kurzem wurde noch aus Vorsicht ein Abstand von 14 Tagen empfohlen. Voraussetzung: für die Grippe-Impfung wird ein Totimpfstoff verwendet, also einer, in dem keine vermehrungsfähigen Krankheitserreger drin sind. Bei den verwendeten Stoffen für die Impfung per Spritze ist das der Fall.
Ein Termin für zwei Impfungen sei vielleicht auch eine gute Strategie, findet Biologin Christine Falk, denn so könnte man Logistik und Aufwand vereinfachen. "Insofern wird diese Empfehlung sicherlich noch mal eine Erleichterung für die Menschen darstellen, die sich fragen: Wie kann ich mich denn persönlich gut im Winter sowohl gegen die Grippe als auch gegen Corona schützen?"
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Nach einer Doppelimpfung kann es zwar häufiger Impfreaktionen geben, Angst vor möglichen Komplikationen müssen Patienten aber nicht haben, sagt Impfstoff-Forscher Leif Erik Sander. "Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Paar Schuhe. Auch die Impfung ist sehr, sehr unterschiedlich. Also das ist überhaupt kein Problem." Auch durchgemachte Corona-Erkrankungen hätten keinerlei Auswirkungen auf mögliche Nebenwirkungen einer Grippeschutzimpfung.
Carsten Watzl, Immunologe an der TU Dortmund gibt zu bedenken, dass man bei Kindern regelmäßig gegen mehrere Erreger auf einmal impft. "Das sind ja teilweise fünffache Impfstoffe. Und diese Mehrfachimpfungen werden gut vertragen."
Immunologin Falk präzisiert: "Es ist natürlich schon so, dass, wenn Sie mehr Antigene über zwei Impfstoffe anbieten, das Immunsystem mehr Proteine hat, mit denen es sich auseinandersetzt. Und möglicherweise spürt man das auch deutlicher, weil Sie einfach eine größere Aktivierung des Immunsystems haben. Aber prinzipiell ist es so, dass das Immunsystem sehr ökonomisch arbeitet. Man überfordert das Immunsystem nicht, weil es sehr schlau unterscheiden kann zwischen verschiedenen Antigenen und eben nur gegen die reagiert, die ihm wirklich angeboten werden."
Kombi-Impfstoff in Zukunft möglich
Eine mögliche Option wären künftig Kombipräparate gegen Covid-19 und Grippe per jährlicher Auffrischungs-Spritze. Doch das dauert noch einige Zeit, denn dafür müsste man eine ganz andere Art von Grippe-Impfstoffen schaffen, ebenfalls auf mRNA-Basis wie die Corona-Impfstoffe von Biontech und Moderna, erklärt die Virologin Sandra Ciesek: "Das ist wohl auch technisch möglich. Aber das werden wir dieses Jahr in dieser Saison noch nicht erleben."
Der Pharmahersteller Moderna bat bereits bekanntgegeben, an genau so einem Kombi-Impfstoff zu arbeiten. Auch bei der US-Firma Novavax, deren Corona-Impfstoff kurz vor der Zulassung steht, laufen schon die ersten Studien für ein Kombipräparat. Ab wann diese Impfstoffe aber auf den Markt kommen können, ist noch unklar. Weil sich Viren ständig ändern, wird eine jährliche Auffrischungsimpfung gegen Corona und Grippe irgendwann vermutlich Standard.
Was gibt es in Zusammenhang mit der dritten Coronaimpfung zu beachten?
Wer sich komplett schützen möchte - mit dritter Anti-Corona-Impfung und einer Spritze gegen die Grippe - muss sich keine Sorgen machen, sagt Carsten Watzl, Immunologe an der TU Dortmund. "Es sind mir persönlich keine Studien bekannt, die da einen Effekt des einen Impfstoffs auf den anderen zeigen würde, dass sie sich irgendwie negativ oder auch positiv beeinflussen würden."
Die mögliche sogenannte Booster-Impfung kommt der Immunisierung gegen Grippe laut STIKO auch deswegen nicht in die Quere, weil die Impfstoffe gegen Corona und Grippe an ganz unterschiedlichen Punkten ansetzen. Leif Erik Sander, Impfstoff-Forscher an der Berliner Charite sagt: "Also ich habe erstmal keine Bedenken, dass die eine Impfung den Effekt der anderen Impfung irgendwie abschwächt."
Es gibt verschiedene Artikel und Studien, in denen über diese Beobachtungen berichtet wird. Theoretisch möglich ist das tatsächlich, sagt Leif Erik Sander, Internist und Lungenarzt an der Berliner Charité - wegen der Kreuz-Immunität im Immunsystem. "Sicher ist so ein Effekt dann nicht sehr, sehr stark, aber vielleicht in einem großen Datensatz messbar."
Impfungen können generell das angeborene Immunsystem aktivieren. Bestimmte Botenstoffe im Körper regen die Abwehr an. Unter anderem deshalb kommt es nach Impfungen häufiger zu Fieber, Schüttelfrost oder Unwohlsein. Und bei einem Immunsystem in aktueller Abwehrhaltung haben es dann andere Erreger schwerer, den Körper anzugreifen. Sandra Ciesek, Virologin an der Frankfurter Uniklinik, gibt allerdings zu bedenken, dass das nur für ein ganz kurzes Zeitfenster möglich ist. Solche Effekte sind nicht besonders stark ausgeprägt und halten oft nur wenige Tage.
Und so sagt sie ganz klar: "Die Antikörper, die Sie gegen das Grippevirus bilden, werden Sie nicht vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen können. Wie so ein Schlüssel-Schloss-Prinzip kann man sich das vorstellen. Und das passt einfach nicht. Das sind ganz andere Antikörper, die da produziert werden."
Die letzte Studie, die zu dem Ergenis kam, dass Grippe-Geimpfte zu einem höheren Prozentsatz gegen bestimmte Corona-Symptome geschützt sein sollen, stammt aus den USA. Allerdings wurden hier nur rückblickend Patientenakten untersucht. Das könnte ein Problem sein, sagt der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund: "Es ist generell so, dass sich Leute, die sich sowieso gerne oder regelmäßig impfen lassen, vielleicht ein anderes Gesundheitsbewusstsein an den Tag legen." Menschen, die sich besser schützen, haben generell ein kleineres Risiko, krank zu werden.
Groß genug. Aber es ist möglich, dass der Schutz durch eine Grippe-Impfung in diesem Jahr nicht so effektiv ist. Denn Grippe-Impfstoffe werden jedes Jahr an die Erreger angepasst, von denen man annimmt, dass sie eine Grippewelle auslösen könnten. Grippe-Impfstoffe stellen somit eigentlich eine Vorhersage dar, erklärt Immunologe Carsten Watzl:
"Und diese Vorhersage stützt sich natürlich immer auf die Infektionen, die ich dann in China oder in Asien irgendwo sehe, um daraus mehr so Vorhersagen zu machen, welche denn in der nächsten Saison bei uns kommen. Diese Vorhersage ist natürlich jetzt extrem schwer, weil auch in diesen Ländern die Grippesaison ausgeblieben ist. Es kann durchaus sein, dass der Impfstoff, den wir jetzt haben, zwar uns gut schützt, aber nicht gegen den Erreger, der uns jetzt dieses Jahr heimsuchen wird."
Dennoch bietet eine Impfung einen guten Schutz gegen sehr schwere Krankheitsverläufe.
Ja. Zumindest bei Grippe gibt es auch schon die Möglichkeit, auf die Nadel zu verzichten. In den USA wird gerade ein Impfstoffpflaster entwickelt und es existiert bereits ein Lebendimpfstoff, der als Spray gegeben werden kann. Dieses Nasenspray sei gut verträglich und bei Kleinkindern ähnlich wirksam wie eine Impfung per Spritze, sagt der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl. Das sei ideal, weil man sich gegen Atemwegserkrankungen am besten mit vielen Antikörpern auf den Schleimhäuten schützen könne. Und diese Antikörper kann man am besten erzeugen, wenn man den Impfstoff einatmet oder als Nasenspray verabreicht.
"Auch bei Corona gibt es eine Studie, die auch den Astrazeneca-Impfstoff als Nasenspray einsetzt. Das hat den großen Vorteil, dass dort ganz spezielle Antikörper ausgelöst werden. Die heißen ICGA und die leben auf den Schleimhäuten." Diese Antikörper können dann eingeatmete Viren sofort ausschalten. Was bei Corona noch nicht geht, ist bei der Grippe schon Standard. Bei Kindern und Jugendlichen zwischen zwei und 17 Jahren ist der Einsatz des Impfstoffs möglich. Sandra Ciesek rät Eltern vor allem dann zur Grippe-Impfung, wenn ihre Kinder Vorerkrankungen haben oder eine Anfälligkeit für Mittelohrentzündungen.
Ältere Menschen sind aber weiterhin auf die Spritze angewiesen, weil der Grippe-Impfstoff für sie besonders hoch dosiert ist. Zumindest wenn die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten der Grippe-Impfung übernehmen soll, gibt es für über 60-Jährige künftig vorgeschrieben nur noch Hochdosis-Impfungen.
Quellen: Stefan Tröndle, Christine Falk, Leif Erik Sander, Sandra Ciesek, Carsten Watzl, Statista, Robert Koch-Institut, og