"Demokratie ist das Beste, was wir je auf deutschem Boden hatten. Wir sind alle gleich. In einer Demokratie darf jeder mitbestimmen. Du, ich, Alkoholiker, Junkies, Kinderschänder, Kanaken, Muslime."
Während Marisa mit gewählten Worten die Demokratie verspottet, rauben ihre Nazi-Freunde eine türkische Imbissbude aus. Mit dem Baseballschläger wird in die Regale geschlagen...
"Wir sind rechts, das stimmt. Wir mögen Deutschland, das stimmt auch. Wir mögen keine Flüchtlingsheime. Aber nennt uns deswegen doch bitte nicht gleich Nazis."
Diese "Bühnen-Marisa" könnte auch auf Pegida-Kundgebungen sprechen. Tina Müller, die auf der Grundlage des Films den Theatertext geschrieben hat, hat die Figur neu bewertet. Bei ihr ist sie eine kluge und selbstbewusste Frau, die ihren Freund überzeugen möchte, in die Politik zu gehen...
"Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich eine Frau bin und den Text geschrieben habe und geforscht habe: was gibt es denn für Frauen in der rechten Szene? Ihre Pläne sind es, im Hintergrund zu sein, aber eigentlich ist sie total stark. Sie darf nur nicht, weil die Szene ihr das nicht erlaubt."
Wütende Musik, wütender Blick. Alessa Kordeck spielt Marissa mit tiefschwarz geschminkten Augen. Als Verkäuferin an der Supermarktkasse weigert sie sich, Flüchtlinge zu bedienen. Doch Rasul und sein Bruder begegnen ihr immer wieder. Sie verfolgt sie mit dem Auto, und als sie sie am Straßenrand entdeckt, zieht sie nach rechts. - Auf einmal ist alles anders.
"Sie macht sich furchtbare Sorgen, aufgedeckt zu werden und dann kommt auch das schlechte Gewissen ins Spiel, weil so weit wollte sie nicht gehen."
Marisa glaubt, einen der beiden Jungen getötet zu haben. Als ihr Rasul wieder begegnet, hilft sie ihm.
"Dass ein Mensch, mit radikalen, menschenverachtenden Ansichten plötzlich zu einer Fluchthelferin wird, das ist eine verrückte Geschichte und es ist unglaublich schwer, das zu erzählen, dass man das auch glaubt. Aber es ist in dieser Geschichte möglich."
Hoffnung, die es in der Filmvorlage nicht gibt
Davon ist auch Robert Neumann überzeugt, der das Stück am Gripstheater inszeniert. Im Gegensatz zum Film, in dem die Neonaziszene sehr realistisch dargestellt wird, verzichtet er auf Hakenkreuze und Springerstiefel. Die Nazis sind nur durch schwarze Klebestreifen auf ihren Kostümen zu erkennen...
"Für mich ist es ja so: Die Zeichen der Rechten sind schon auch bei den Demonstrationen vorhanden, aber sie sind viel versteckter – also man muss genau hinschauen, um sie zu sehen. Für mich war es wichtig zu gucken, wer sind denn jetzt die Neofaschisten?"
Und auch die Handlungsorte werden in der Inszenierung nur angedeutet. Gespielt wird auf einem Baugerüst und einem Podest, das hin- und hergeschoben werden kann. Man erkennt Wohnungen, das Flüchtlingsheim und leer stehende Häuser, auf denen Jugendliche herumklettern.
"Die Parkourläufer sind einer von vielen Vorschlägen, in andere Richtungen zu gehen, und nicht bei den Neofaschisten zu landen."
Die Parkour-Kletterer sind gewissermaßen Stellvertreter des Publikums auf der Bühne. Helden sind sie nicht – als die Nazis, die türkische Imbissbude zertrümmern, wagen sie es nicht, sich ihnen entgegenzustellen. Doch am Ende fassen die Jugendlichen Mut. Tina Müller lässt das Stück mit einer Hoffnung enden, die es in der Filmvorlage nicht gibt...
"Wir wollen uns auch mit einbringen. Deswegen war es uns wichtig, diese Ebene einzubauen und zu sagen: Es ist nicht leicht, dagegen zu halten, aber es ist möglich."
Das Grips ist ein Kinder- und Jugendtheater, das seinen Zuschauern gern Botschaften auf den Weg gibt. Bei dieser Produktion wäre das eigentlich gar nicht nötig. Die Geschichte Marisas, die in der Inszenierung sehr überzeugend erzählt wird, geht auch so unter die Haut.