Archiv


Grobe Missstände

Das chinesische Rechtssystem wurde in den letzten Jahren immer weiter entwickelt und lehnt sich in vielen Bereichen an die deutsche Rechtsprechung an. Egal ob im Baurecht oder bei Eigentumsfragen - in China hat sich rechtlich viel verbessert. Doch die Verbesserungen stoßen an ihre Grenzen, wenn es um Menschenrechte geht.

Von Petra Aldenrath | 07.11.2009
    Jahrelang hat Teng Biao als Rechtsanwalt gearbeitet. Er verteidigte vor allem Chinesen, die sich für Menschenrechte einsetzten und deshalb verhaftet wurden. Sein Engagement wurde auch ihm zum Verhängnis:

    "Wenn man sich in China Menschenrechtsfällen annimmt, dann bekommt man Ärger. Bis zum letzten Jahr galt ich noch als Menschenrechtsanwalt. Aber dann haben sie mir meine Anwaltslizenz nicht verlängert. Das bedeutet, dass ich keine Erlaubnis mehr habe, als Anwalt zu arbeiten. In den 5 Jahren, in denen ich als Anwalt gearbeitet habe, hatte ich viele Probleme. Ich bin verfolgt worden, man schüchterte mich ein, ich wurde zusammengeschlagen, entführt, mir wurde das Recht entzogen, ins Ausland zu gehen und dann wurde mir eben auch meine Anwaltslizenz entzogen."

    Teng Biao gehört zu den mutigen Menschen in China, die unbeirrbar an der Gerechtigkeit festhalten, mit dem Ziel, das Rechtssystem Chinas zu verbessern. Blicke man auf die letzten 20 Jahre zurück, habe sich da bereits vieles getan, sagt er. Doch es gibt immer noch Handlungsbedarf. Dringende Probleme sind für ihn die Todesstrafe, Folter in Gefängnissen und fehlende Religions- und Meinungsfreiheit.

    "Die meisten Chinesen trauen sich nicht, diese Themen offen anzusprechen. Es herrscht eine Art Selbstkontrolle. Die Mehrheit versucht, Themen zu vermeiden, die in irgendeiner Art und Weise mit Politik zu tun haben. So schützen sie sich. Das ist zynisch. Aber Menschenrechtsanwälte oder auch einige Journalisten sprechen die Wahrheit aus. Sie hoffen, die Gesellschaft dadurch aufzuwecken und dann kommen sie in Schwierigkeiten."

    Die Repressalien reichen von Geldstrafen über Jobverlust bis hin zu Arbeitslager und langen Haftstrafen. Diese werden meist damit begründet, dass die Angeklagten versucht hätten, den "Staat zu stürzen":

    "Wenn man sich anschaut, was da wirklich passiert ist, dann ist das sehr fraglich. Die meisten dieser Anklagen stimmen nicht mit dem Gesetz überein, nach dem jemandem "Versuchter Staatsumsturz" vorgeworfen werden kann. Seitdem dieses Gesetz 1997 in Kraft trat, wurden - soweit ich mich erinnere - alle wegen versuchten Staatsumsturzes Angeklagten auch inhaftiert. Auch die, die nur ihre Meinung frei geäußert haben."

    Und auch, was passiert, nachdem kritische Chinesen von der Polizei abgeführt wurden, bricht für den Rechtsanwalt alle Regeln:

    "Da werden Grundgesetze gebrochen. Wie das Recht, einen Anwalt zu haben, das Recht, vor brutaler Folter geschützt zu werden und das Recht, sich selbst zu verteidigen. Das alles wird bei solchen Anklagen erbärmlich wenig beachtet."

    Doch auch die Anwälte, die Menschen verteidigen, die die Regierung mundtot machen will, stehen von Anfang an auf verlorenem Posten. Vorhandene Gesetze zum Schutz der Angeklagten werden in solchen Fällen umgangen, zieht Teng Biao Bilanz:

    "In Fällen, bei denen es um Menschenrechte geht, sind das meist Schauprozesse. Sie haben keinen Einfluss auf die Richter, weil die Strafen ohnehin schon im Vorhinein feststehen. Das ist der eine Punkt und der andere ist die Beweisführung. Eigentlich sollte auch der Angeklagte Zeugen vorführen können, um seine Unschuld zu beweisen. Aber, die sehen wir hier in der Realität selten vor Gericht."

    Dass er wegen seiner Kritik selber in Schwierigkeiten geraten kann, war Teng Biao stets bewusst. Heute arbeitet er als Lehrer an einer Universität im Süden Chinas. Obwohl er nicht mehr als Anwalt tätig sein darf, setzt er sich weiter für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Auch wenn er dafür eines Tages vielleicht selber mit dem Verlust der Freiheit zahlen muss:

    "Als Intellektueller habe ich die Pflicht, das zu tun. Viele Anwälte trauen sich nicht, Menschenrechtsfälle anzunehmen. Man sollte sie aber nicht ablehnen, nur, weil das gefährlich werden kann."