Die neuen Anwärter auf den Titel "Älteste Fossilien der Welt" sehen unspektakulär aus: braune Bänder, die wenige Zentimeter hohe, kegel- und kuppelförmige Strukturen in graues Karbonatgestein zeichnen. Ihr Fundort: Grönland, eine Gegend namens Isua, wo ein Stück uralter Meeresboden erhalten geblieben ist. Ihr Alter: 3,7 Milliarden Jahre.
"Wir haben sie in Isua in einem Gebiet gefunden, das uns schon lange wegen seiner geologischen Struktur interessiert. 2012 war dort ein Schneefeld abgeschmolzen, sodass wir erstmals das Gestein darunter untersuchen konnten. Und so haben wir diese Bakterienmatten gefunden. Sie sind sichtbare Indizien für Leben, und zwar in Form der frühesten Fossilien, die wir auf der Erde finden."
Sagt Allen Nutman von der Universität Wollongong. Die braunen Linien wären dieser Lesart zufolge fossile Stromatolithen: Bakterienkolonien, die mit herabrieselndem Sand Schicht um Schicht blumenkohl- oder säulenartige Strukturen aufbauen. So sorgen sie dafür, dass die oberste Mikrobenlage Fotosynthese betreiben kann.
Die Steine in Isua sind schwer zu interpretieren
"Wir können uns dessen bei diesen Stromatolithen nicht sicher sein. Sie stecken allerdings in Gestein, das anscheinend in einem flachen Meeresbereich abgelagert worden ist. Sie könnten also ihren Stoffwechsel mit Sonnenlicht angetrieben haben, jedenfalls haben das im Lauf der Erdgeschichte alle vergleichbare Stromatolithen getan. Es ist die wahrscheinlichste Interpretation."
Nur, dass sie wohl eine Form der Fotosynthese betrieben, bei der kein freier Sauerstoff entsteht, urteilt Team-Mitglied Martin van Kranendonk von der Universität von New South Wales in Sydney. Er hat in Westaustralien die bisherigen Rekordhalter untersucht: Stromatolithen, die 220 Millionen Jahre jünger sind als die von Isua. Dort entfällt jedoch ein Problem, mit dem die Forscher in Isua zu kämpfen haben. Allen Nutman:
"In Isua sind die Gesteine sehr schwer zu interpretieren, weil sie ins Erdinnere gezogen und sehr stark durch Hitze und Druck verändert worden sind. Dadurch gingen viele Details verloren."
Trotz dieser Veränderungen ließen sich noch die Reste von internen Strukturen erkennen. Und die belegten, dass es sich bei diesen Kegel und Kuppeln um Stromatolithen handele, urteilt Allen Nutman. Es war Martin van Kranendonk, der diese Strukturen analysiert hat:
"Sie zeigen Merkmale, die nicht einfach durch Strömungen entstehen können. Diese Kegel und Kuppeln sind dafür zu komplex aufgebaut. Sie müssen von Mikroorganismen stammen, die am Meeresboden wachsen. Wir sehen interne Strukturen, die wir auch heute noch in Stromatolithen finden."
Die wissenschaftliche Diskussion um die Entdeckung dürfte heftig werden
Der geochemischen Analyse zufolge sei dieser Fundort etwas Besonderes. Bislang haben sich alle Karbonatgesteine in Isua nicht als Sedimente erwiesen, die sich am Meeresgrund gebildet haben. Vielmehr handelte es sich immer um metamorphe Gesteine, die entstanden, als im Erdinneren heiße Flüssigkeiten durch die Gesteine schossen. Genau das soll hier nicht passiert sein:
"Dieser Fundort war ein kleines Fenster, in dem die Belastung nicht so hoch war und das Ausgangsmaterial erhalten blieb. Und deshalb können wir sehen, dass es damals schon Leben auf der Erde gab."
Andere Forscher sind nicht davon überzeugt, dass der Zufall ein so besonderes Fenster hinterlassen hat. So erklärt die Spezialistin für frühes Leben Frances Westall vom Centre de Biophysique Moléculaire in einer Mail: Die Arbeit ihrer Kollegen sei interessant, sie könne den Schlussfolgerungen jedoch nicht folgen. Und Isua-Experte Minik Rosing von der Universität Kopenhagen urteilt:
"Ich denke aus mehreren Gründen, dass die Interpretation über die Maßen enthusiastisch ist. Ich sehe keine Beweise für Stromatolithen. Außerdem sind die Karbonate chemisch identisch mit allen anderen Karbonate in Isua. Für mich sind sie bei der Metamorphose entstanden, keine Sedimente."
Damit enthalten sie auch keine Fossilien. Die wissenschaftliche Diskussion um die Entdeckung dürfte also heftig werden.