Über sieben Stunden ist EU-Ratspräsident Donald Tusk mit dem Flieger und Hubschrauber unterwegs, um ein ehemaliges Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu erreichen: nämlich Grönland und seine schmelzenden Gletscher. Für den EU-Ratspräsidenten das dramatischste und sinnlichste Symptom des globalen Klimawandels.
Während der EU-Ratspräsident spricht, kollabiert im selben Moment mit beträchtlichem Getöse eine Grönland-Eiswand.
"Vielleicht als Foto-und Filmmotiv attraktiv für Touristen. Aber gleichzeitig ein sehr ernstes Zeichen wie dramatisch der Klimawandel ist", lautet die Grönland-Botschaft des EU-Ratspräsidenten.
Über 100 Treffen für den EWG-Austritt
Für die Brüsseler Topbeamten im Europäischen Rat und in der Kommission ist Grönland allerdings noch in zweiter Hinsicht ein sehr plakatives Beispiel: nämlich für die Komplexität von EU-Scheidungsverhandlungen. Zwar ist Grönland eine weit größere Insel als Großbritannien. Doch die ehemalige dänische Kolonie, mittlerweile selbstverwalteter Bestandteil des dänischen Königreiches, hat mit 56.000 Einwohnern nicht nur neben der Antarktis die geringste Bevölkerungsdichte der Welt, sondern auch eine fast ausschließlich mit Fischerei und Fischverarbeitung beschäftigte Wirtschaft. Trotz dieser überschaubaren Ausgangslage waren Grönlands Scheidungsverhandlungen mit Brüssel höchst komplex und zogen sich über drei Jahre hin. Über 100 Treffen mit EU-Beamten waren notwendig.
Wirtschaftlich klein zu sein habe eben seinen Preis, betont Grönlands Wirtschaftsminister Vitus Qujaukitsoqs gegenüber dem britischen Sender ITV:
"Das Beispiel unserer Insel zeigt, dass es praktisch unmöglich ist, die EU-Regulierungen zu ignorieren".
Ähnlich wie in Großbritannien hielt sich auch auf Grönland die Europa-Begeisterung von Beginn an in engen Grenzen. Nur eine Minderheit der Grönländer hatte für den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG gestimmt. Doch Dänemark hatte in der Europafrage das Sagen, die Ex-Kolonie musste sich beugen. Wegen der Überfischung grönländischer Gewässer, vor allem durch westdeutsche Fangflotten, wuchs die Wut, es kam zum Referendum über den Ausstieg aus der EWG. In Deutschland wurde das Referendum sogar durch das Unterstützungskomitee für die Inuit in Grönland beworben.
Die Selbstbestimmung hat enge Grenzen
Es sei damals nicht nur um die Frage der Wirtschaft gegangen, betont der ehemalige Grönland-Aktivist für den EWG-Ausstieg, Aqqakuk Lynge, sondern für eine kleine Nation wie Grönland sei es um die Grundsatzfrage der Selbstbestimmung gegangen.
Doch Grönland lernte sehr schnell: Die Selbstbestimmung hat enge Grenzen. Der Traum vom schnellen Ausstieg aus dem, was heute EU heißt, war selbst für den Wirtschaftszwerg Grönland eine Fiktion. Nicht wenige Grönländer wünschen, sie hätten damals nicht für den Exit gestimmt und wären heute ebenso wie Dänemark in der EU.
Denn dann wäre es "sehr, sehr viel leichter" für ihn, sein Eis in die verschiedenen Europäischen Staaten zu exportieren, bedauert Grönlands größter Eisproduzent. Zwar ist Grönlands Eiskonsum pro Kopf der höchste der Welt. Aber bei nur 56.000 Grönländern führt am EU-Export kein Weg vorbei.
Und da Grönland zwar den privilegierten EU-Status eines assoziierten überseeischen Landes genießt, aber nicht zum Zollgebiet der EU gehört, ist der Eisexport mit vielen Zollhindernissen verbunden. Doch trotz aller Schwierigkeiten: Das Beispiel von Grönland und Dänemark zeigt, dass man zusammengehören kann, ohne gemeinsam in der EU zu sein. Vielleicht ein Beispiel für das zukünftige EU-Verhältnis von Schottland und Nordirland.