Sonntag, 10 Uhr morgens: In der protestantischen Kirche von Qaqortoq füllen sich langsam die Holzbänke. Von den Straßen des 3.500 Seelen-Ortes mit seinen bunten Holzhäusern am Julianehåb Fjord kommen die Menschen: alte, junge, Familien mit Kindern, die meisten zu Fuß, einige in Pickups und Geländewagen. Die wenigsten sehen europäisch aus, die meisten Gemeindemitglieder haben bronzefarben gegerbte Haut, tintenschwarzes Haar, hohe Wangenknochen, mandelförmige Augen: die typischen Gesichtszüge der Inuit, der Urbevölkerung Grönlands.
"Ich heiße Dorthe Petersen, bin 44 Jahre alt und kümmere mich hier in Südgrönland um die vier Gemeinden Nanortalik, Qaqortoq, Narsaq und Paamiut. Ich komme aus dem Norden, doch als sie hier nach einem Pastor suchten, habe ich den Job angenommen."
So schüchtern, wie sich die Pfarrerin mit dem mittellangen Haar im Gespräch gibt, so unbefangen klingt ihre helle, klare Stimme. Rund 150 Gläubige haben sich an diesem Sonntag versammelt. Andächtig lauschen sie ihrer Pastorin. Nur die kleinsten Kirchgänger quengeln ein wenig.
So viele Menschen auf einmal sieht man in der Provinzhauptstadt Qaqortoq sonst nie. Die schlichte weiße Kirche mit der weiten Fensterfront ist der wichtigste Versammlungsort der gesamten Region. Ein freundlicher, ungewöhnlicher Ort: Im Altarraum hängt ein schlichtes Holzkreuz – eingerahmt von etwa 50 hellen Bildern der heimischen Pflanzenwelt. Gegenüber der Fensterfront zeigt ein großes Wandbild einen nachdenklichen Christus inmitten einer Schar von Inuit mit klaren Konturen, aber ohne Gesichter.
Natürlich singt und predigt Dorthe Petersen auf Grönländisch, der Sprache der Urbevölkerung. Uns erzählt sie von den besonderen Herausforderungen ihrer Arbeit.
"Ich will für die Kirche arbeiten, für die Leute predigen. Ich muss viel Zeit aufwenden, um zu den kleinen Dörfern zu reisen. Zu Konfirmationen, Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen fahre ich im Boot hinaus, das ich dafür mieten muss. Außerdem besuche ich jede der vier Gemeinden dreimal im Jahr."
Reisen – hier in Südgrönland – das ist keine Kleinigkeit, kein Ausflug, der sich nebenbei kurz erledigen lässt. Wer von der Anhöhe, auf der die evangelische Kirche steht, über Qaqortoq blickt und hinüber auf die zerklüfteten Fjorde und Inseln mit ihren hoch aufschießenden, kahlen, im Sommer schnee- und eisfreien Bergrücken, der bekommt einen Eindruck von der Macht der Landschaft über den Alltag der Menschen. Das Wasser ist übersät mit kleinen und großen Eisbergen, die von den Gletschern im Inland abbrechen und gleißend weiß in der Morgensonne blitzen wie eine Schafherde, die auf der Wasserweide vor Qaqortoq immer neue Konstellationen bildet.
Dazwischen viele Buchten, Kanäle und Meerengen – mehrere Stunden kann so eine Fahrt dauern für Pastorin Dorthe Petersen zur nächsten Siedlung. Die Bootsführer müssen dem Treibeis ständig geschickt ausweichen. Blockiert ein Eisberg die Hafenausfahrt, kommt die Schifffahrt zum Erliegen.
"Als Pastorin bin ich auch verantwortlich für die Geistlichen in den kleinen Siedlungen. Und ich muss als deren Chefin die Abrechnungen kontrollieren, ob die in Ordnung sind."
Die grönländische Gesellschaft ist harten Veränderungen unterworfen. Fischen, Seehund- und Waljagd sind weitgehend zum Erliegen gekommen. Wer kann, zieht in die Hauptstadt Nuuk, 700 Kilometer nördlich gelegen und Zentrum aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Alkoholismus, Kindesmissbrauch und die harten einsamen Winter fernab der Zivilisation sind ein Problem:
"Wenn sie traurig sind, wenn sie Probleme haben, wollen die Leute mit einem Pastor sprechen. Im Winter, wenn es ständig dunkel ist, sind die Leute oft deprimiert. Ich spreche dann viel mit ihnen. Und wenn jemand vom Freund oder von der Freundin verlassen wurde. Manche sind auch innerhalb der Familie als Kind missbraucht worden. Und auch Alkoholmissbrauch ist auf Grönland für viele ein Problem."
Isolierte Lebensbedingungen, Perspektivlosigkeit und oft auch schlicht unerträgliche Langeweile haben vor allem früher zu Trunksucht und sexuellen Übergriffen innerhalb der Familie geführt, erklärt Dorthe Petersen:
"Aber die jüngeren Leute haben gelernt, über ihre Schwierigkeiten zu sprechen, denn sie wollen nicht mehr in den Selbstmord getrieben werden. Es ist heute viel besser als vor 30 Jahren."
Am Ende des Sonntagsgottesdienstes kommen zwei Familien nach vorne. Ein junges Mädchen im traditionellen, perlenbestickten weißen Kleid trägt ihr wenige Tage altes Baby zum Taufbecken, der Vater im Teenageralter steht daneben. Dorthe Petersen übergießt das Neugeborene mit Taufwasser: Südgrönlands Christen haben ein Gemeindemitglied mehr. Die Verwandten knien auf den mit Seehundfell bezogenen Kissen vor dem Altar nieder und empfangen das Abendmahl. Die beiden Mütter der jungen Eltern verdrücken ein paar Tränen. Dann strahlen alle. Der Organist greift noch einmal in die Tasten, und die Gemeinde stimmt ein ins letzte Kirchenlied.
"Ich heiße Dorthe Petersen, bin 44 Jahre alt und kümmere mich hier in Südgrönland um die vier Gemeinden Nanortalik, Qaqortoq, Narsaq und Paamiut. Ich komme aus dem Norden, doch als sie hier nach einem Pastor suchten, habe ich den Job angenommen."
So schüchtern, wie sich die Pfarrerin mit dem mittellangen Haar im Gespräch gibt, so unbefangen klingt ihre helle, klare Stimme. Rund 150 Gläubige haben sich an diesem Sonntag versammelt. Andächtig lauschen sie ihrer Pastorin. Nur die kleinsten Kirchgänger quengeln ein wenig.
So viele Menschen auf einmal sieht man in der Provinzhauptstadt Qaqortoq sonst nie. Die schlichte weiße Kirche mit der weiten Fensterfront ist der wichtigste Versammlungsort der gesamten Region. Ein freundlicher, ungewöhnlicher Ort: Im Altarraum hängt ein schlichtes Holzkreuz – eingerahmt von etwa 50 hellen Bildern der heimischen Pflanzenwelt. Gegenüber der Fensterfront zeigt ein großes Wandbild einen nachdenklichen Christus inmitten einer Schar von Inuit mit klaren Konturen, aber ohne Gesichter.
Natürlich singt und predigt Dorthe Petersen auf Grönländisch, der Sprache der Urbevölkerung. Uns erzählt sie von den besonderen Herausforderungen ihrer Arbeit.
"Ich will für die Kirche arbeiten, für die Leute predigen. Ich muss viel Zeit aufwenden, um zu den kleinen Dörfern zu reisen. Zu Konfirmationen, Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen fahre ich im Boot hinaus, das ich dafür mieten muss. Außerdem besuche ich jede der vier Gemeinden dreimal im Jahr."
Reisen – hier in Südgrönland – das ist keine Kleinigkeit, kein Ausflug, der sich nebenbei kurz erledigen lässt. Wer von der Anhöhe, auf der die evangelische Kirche steht, über Qaqortoq blickt und hinüber auf die zerklüfteten Fjorde und Inseln mit ihren hoch aufschießenden, kahlen, im Sommer schnee- und eisfreien Bergrücken, der bekommt einen Eindruck von der Macht der Landschaft über den Alltag der Menschen. Das Wasser ist übersät mit kleinen und großen Eisbergen, die von den Gletschern im Inland abbrechen und gleißend weiß in der Morgensonne blitzen wie eine Schafherde, die auf der Wasserweide vor Qaqortoq immer neue Konstellationen bildet.
Dazwischen viele Buchten, Kanäle und Meerengen – mehrere Stunden kann so eine Fahrt dauern für Pastorin Dorthe Petersen zur nächsten Siedlung. Die Bootsführer müssen dem Treibeis ständig geschickt ausweichen. Blockiert ein Eisberg die Hafenausfahrt, kommt die Schifffahrt zum Erliegen.
"Als Pastorin bin ich auch verantwortlich für die Geistlichen in den kleinen Siedlungen. Und ich muss als deren Chefin die Abrechnungen kontrollieren, ob die in Ordnung sind."
Die grönländische Gesellschaft ist harten Veränderungen unterworfen. Fischen, Seehund- und Waljagd sind weitgehend zum Erliegen gekommen. Wer kann, zieht in die Hauptstadt Nuuk, 700 Kilometer nördlich gelegen und Zentrum aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Alkoholismus, Kindesmissbrauch und die harten einsamen Winter fernab der Zivilisation sind ein Problem:
"Wenn sie traurig sind, wenn sie Probleme haben, wollen die Leute mit einem Pastor sprechen. Im Winter, wenn es ständig dunkel ist, sind die Leute oft deprimiert. Ich spreche dann viel mit ihnen. Und wenn jemand vom Freund oder von der Freundin verlassen wurde. Manche sind auch innerhalb der Familie als Kind missbraucht worden. Und auch Alkoholmissbrauch ist auf Grönland für viele ein Problem."
Isolierte Lebensbedingungen, Perspektivlosigkeit und oft auch schlicht unerträgliche Langeweile haben vor allem früher zu Trunksucht und sexuellen Übergriffen innerhalb der Familie geführt, erklärt Dorthe Petersen:
"Aber die jüngeren Leute haben gelernt, über ihre Schwierigkeiten zu sprechen, denn sie wollen nicht mehr in den Selbstmord getrieben werden. Es ist heute viel besser als vor 30 Jahren."
Am Ende des Sonntagsgottesdienstes kommen zwei Familien nach vorne. Ein junges Mädchen im traditionellen, perlenbestickten weißen Kleid trägt ihr wenige Tage altes Baby zum Taufbecken, der Vater im Teenageralter steht daneben. Dorthe Petersen übergießt das Neugeborene mit Taufwasser: Südgrönlands Christen haben ein Gemeindemitglied mehr. Die Verwandten knien auf den mit Seehundfell bezogenen Kissen vor dem Altar nieder und empfangen das Abendmahl. Die beiden Mütter der jungen Eltern verdrücken ein paar Tränen. Dann strahlen alle. Der Organist greift noch einmal in die Tasten, und die Gemeinde stimmt ein ins letzte Kirchenlied.