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Größe entscheidet nichts

Portugal hat den Vorsitz des EU-Ministerrates von Deutschland übernommen. Und unter dem portugiesischen Vorsitz wird nun der Reformvertrag verhandelt. Noch bevor Deutschland den Vorsitz übergab, mehrten sich kritische Stimmen, die einen Führungskrise heraufbeschwören, da mit Portugal ein kleines Land die Präsidentschaft übernähme. Eine Haltung die Alois Berger, freier Journalist in Brüssel, so nicht teilt.

    Es ist eine lustige Diskussion, die gerade vom Zaun gebrochen wird, und die in der Vermutung mündet, dass Europa eine Zeit des Stillstandes bevorstehe. Noch lustiger ist die Begründung: Nach der deutschen EU-Ratspräsidentschaft seien vor allem kleine EU-Länder mit der Präsidentschaft dran, und die könnten das einfach nicht so gut.

    Als ob die letzte französische Präsidentschaft ein besonderer Erfolg gewesen wäre. 2000 war das und endete mit dem Vertrag von Nizza, dem schlechtesten Vertrag, den die EU jemals hatte. Oder die italienische Präsidentschaft 2003: Premierminister Silvio Berlusconi provozierte gleich zu beginn mit einem Nazi-Vergleich einen Eklat im Europaparlament. Beim Gipfel forderte er dann die Regierungschefs auf, endlich mal über was Nettes zu reden: über Frauen und Fußball. Ein römischer Minister fasste die italienische EU-Präsidentschaft treffend zusammen: Wir sollten jetzt nach Hause gehen. Oder die britische EU-Ratspräsidentschaft vor zwei Jahren: außer Spesen nichts gewesen.

    Dagegen haben das kleine Luxemburg oder auch Finnland geradezu großartige Präsidentschaften hingelegt. Dass die großen Länder besser führen können, das ist genauso unsinnig wie das ebenfalls beliebte Vorurteil, dass die großen Länder die kleinen unterdrücken wollen.

    Richtig ist, dass die deutsche Regierung in ihrem sechsmonatigen EU-Vorsitz einige dicke Brocken aus dem Weg geräumt hat. Sie hat die umstrittene Chemikalienrichtlinie unter Dach und Fach gebracht. Sie hat erreicht, dass die EU sich auf verbindliche Klimaziele einigte. Und sie hat den Lähmung beendet, in der Europa seit den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden verharrte.

    Richtig ist auch, dass es für kleinere Länder manchmal schwierig ist, an drei oder vier europapolitischen Großbaustellen gleichzeitig zu arbeiten. Das Land, das den EU-Vorsitz hat, muss sechs Monate lang gut 250 Arbeitsgruppen leiten. Manchmal tagen 10, 20 Arbeitsgruppen gleichzeitig, bereiten Beschlüsse zur Wasserreinhaltung vor, zur europäischen Energieversorgung und wie man die iranische Atombombe verhindern kann. Wichtige Entscheidungen brauchen oft monatelange diplomatische Vorarbeit.

    Das kann manche Regierung durchaus überfordern, vor allem wenn sie sich nicht helfen lassen will. Im Europäischen Ministerrat stehen 2500 hochqualifizierte Mitarbeiter bereit, die Regierungen beim Präsidieren zu unterstützen. Aber in vielen Hauptstädten ist man zu stolz, zu eigensinnig oder zu sehr auf die nationalen Interessen fixiert, als dass man sich von den Brüsseler Fachleuten in die Karten schauen lassen wollte.

    Am Samstag hat das kleine Portugal von den Deutschen den Vorsitz im EU-Ministerrat übernommen. Dass die portugiesische Regierung schon vor Monaten gesagt hat, dass sie die EU-Reform nur anfassen wird, wenn vorher alle Streitpunkte ausgeräumt sind, das hat viele erschreckt. Vermutlich hat diese Weigerung die seltsame Diskussion ausgelöst, kleine Länder könnten Europa nicht vorwärtsbringen. Doch diese portugiesische Weigerung hat die deutsche Regierung unter Zugzwang gesetzt. In Berlin spürte man: jetzt oder Nie. Selten hat eine deutsche Regierung deshalb die nationalen Eitelkeiten so konsequent zur Seite geschoben und ein rein europäisches Interesse verfolgt wie auf diesem Gipfel. Und selten hat sie soviel Beifall von großen wie von kleinen Ländern bekommen.

    Die Erfolgschancen einer EU-Präsidentschaft hängen nicht von der Größe des Landes ab. Sondern von der Bereitschaft, die eigenen Interessen zurückzustellen.