Die wenigen Überlebenden des Unglücks vom Sonntag sind in ein Aufnahmezentrum auf Sizilien gebracht worden – nach Mineo, das ist Europas größte Asylbewerberunterkunft mit Platz für mehr als 4.000 Menschen. Eine ganze Flüchtlingsstadt, die in Italien extrem umstritten ist. Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando spricht von einem richtigen "Lager", das da in Sizilien geschaffen wurde.
Von außen erinnert Mineo an eine gigantische Ferienwohnanlage: pastellfarbene Reihenhäuser mit Gärten. Am Fußballplatz ist immer was los und die nächste Großstadt ist weit weg. Für die jungen Männer, die die Schiffskatastrophe am vergangenen Wochenende überlebt haben, ist diese ehemalige Wohnsiedlung der US-Armee erst einmal eine Oase des Friedens. Wer länger hier lebt, lernt diesen Ort hassen:
"Das ist wie ein Gefängnis", sagt ein junger Nigerianer, "siehst Du hier fröhliche Menschen?" "Das Schlimmste", sagt ein Mann aus Gambia, "ist die Langeweile". Er wartet bereits seit einem Jahr auf die Bearbeitung seines Asylantrags: "Wir können nicht arbeiten, man sitzt den ganzen Tag nur rum."
15 Monate brauchen die Behörden für einen Asylantrag. Mindestens. Die Flüchtlinge zermürbt diese Zeit der Ungewissheit, des Wartens. Der Direktor der Einrichtung, Sebastiano Maccarone, weiß das:
"Das sind nicht die Fristen, wie sie der Gesetzgeber vorgibt. Aber dieser Zustrom von so vielen Flüchtlingen verlängert natürlich die Bearbeitungszeit. Doch offenbar wird diese Zeit kaum sinnvoll genutzt, zum Beispiel mit Sprachkursen, nur die wenigsten Flüchtlinge sprechen ein paar Worte Italienisch."
Geschäft mit der Flucht funktioniert auch in Italien
Alle hier haben das gelobte Land Italien über das Mittelmeer erreicht. Auf einem dieser kaum hochseetauglichen Boote. Für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft waren sie bereit, ihr Leben zu riskieren und Unsummen an Schlepper zu bezahlen:
"Ich bin nach Libyen durch die Wüste gekommen, über Senegal, Mali, Burkina Faso und Niger. Man zahlt für jede Strecke einzeln. Ich kann gar nicht sagen wie viel, es war einiges."
Das Geschäft mit der Flucht funktioniert auch in Italien. Am Montag ist die Polizei nach Mineo gekommen und hat einige Bewohner abgeführt. Sie sollen Teil eines Schleuserrings sein, der Flüchtlinge von Sizilien aus weiter nach Deutschland, Schweden oder Frankreich transportiert, natürlich wieder gegen Bares. Wovon das die Menschen hier bezahlen, ist ein Rätsel. Sie erhalten gerade mal 2,50 Euro Taschengeld pro Tag:
"Du bekommst kein Bargeld, sondern Gutscheine. Die sammelt man und kauft sich Zigaretten, die man dann unter Wert weiterverkauft, also hat man noch weniger als 2,50 Euro."
Symbol für Italiens gescheiterte Aufnahmepolitik
Mineo steht schon seit Längerem in der Kritik. An den Flüchtlingen verdienen auch die Betreiber dieser Einrichtung. Fast 100 Millionen Euro sollen sie für einen Drei-Jahres-Vertrag erhalten haben. Die Justiz ermittelt wegen Korruptionsverdachts. Und immer mehr Politiker erklären die Massenunterkunft in der sizilianischen Provinz zum Symbol für Italiens gescheiterte Aufnahmepolitik. Der Bürgermeister von Palermo Leoluca Orlando spricht von einem kriminellen System:
"Wenn die Flüchtlinge es überhaupt bis nach Sizilien schaffen, werden sie in die sogenannten Aufnahmezentren gesteckt. Das sind richtige Lager. Hier an diesen Folterorten, die vom italienischen Staat finanziert werden, werden sie festgehalten. Und nach eineinhalb Jahren entdeckt man, dass 90 Prozent von ihnen ein Bleiberecht in Europa haben."
Die größte Flüchtlingsunterkunft in Europa wird auch für fremdenfeindliche Aktionen missbraucht. Vor wenigen Wochen hat die rechtsextreme Lega Nord vor den von Soldaten bewachten Toren von Mineo demonstriert und dabei übersehen, dass es die von der Lega Nord unterstützte Berlusconi Regierung war, die diese Flüchtlingsstadt eingerichtet hat – weit weg von der italienischen Wirklichkeit.