Jasper Barenberg: Spitzenverdiener mehr zur Kasse bitten, die Zwei-Klassen-Medizin überwinden, zwei zentrale Forderungen der SPD, die im Sondierungsergebnis mit der Union keine Rolle spielen. Lässt sich das möglicherweise nachträglich doch noch ändern? Manche in der SPD stellen das in Aussicht. Die Union lehnt Nachbesserungen allerdings kategorisch ab. Ohnehin gibt es bei den Sozialdemokraten, bei den Jusos beispielsweise oder im linken Flügel ja viele, die eine weitere Koalition grundsätzlich ablehnen, unabhängig von den Einzelheiten der Verabredung. Auch die Fraktionsvorsitzende aber hält jetzt dagegen.
Mitgehört hat Axel Schäfer, der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Bochum. Schönen guten Tag, Herr Schäfer.
Axel Schäfer: Schönen guten Tag nach Köln.
"Mehr rausgekommen, als man vorher erwartet hat"
Barenberg: Sie werden ja heute Abend in Dortmund dabei sein, wenn Martin Schulz und auch die Fraktionschefin Andrea Nahles bei den 144 Delegierten der SPD für den Parteitag am Sonntag für Koalitionsverhandlungen werben werden. Wie ist Ihre Einschätzung? Wie viele Delegierte müssen sie dort überzeugen?
Schäfer: Zum einen: Das ist eine Schimäre zu behaupten, der Landesverband der SPD in Nordrhein-Westfalen sei besonders koalitionskritisch. Der nordrhein-westfälische Landesverband der SPD ist genau die Mittelposition der SPD. Hier finden sich alle Strömungen wieder, pro und contra, junge und alte, rechts und links, und dass wir da irgendwie besonders sind oder jetzt besonders gegen die GroKo, das hat schon Hannelore Kraft vor vier Jahren behauptet und das war damals auch ein Irrtum. Also: Wir in Nordrhein-Westfalen sind sehr dafür, dass Klarheit herrscht und Zuverlässigkeit. Bei Klarheit, glaube ich, ist in den Sondierungen ein bisschen mehr rausgekommen, als man vorher erwartet hat. Das muss man auch ganz klar anerkennen.
!Barenberg:!! Sie sagen, da ist mehr rausgekommen, als Sie erwartet haben?
Schäfer: Ja!
"Es gibt Knackpunkte, wo sich nichts bewegt hat"
Barenberg: Auf was beziehen Sie sich da zum Beispiel?
Schäfer: Ich bin der Meinung, dass bei Sondierungen vorher die Erwartungshaltung bei der SPD sehr gering war. Und im Nachhinein hat man gesagt: Wir hätten ja eigentlich noch mehr rausholen können, zum Beispiel, was die Frage des Kooperationsverbots, was die Frage Wohnraum anbelangt, was die Finanzierung paritätisch in der Krankenversicherung anbelangt, Stärkung der Arbeitnehmermitbestimmung. Da gibt es ganz, ganz, ganz viele ganz wichtige Punkte. Nur es gibt ein paar Knackpunkte, sozialdemokratisches Herzblut, wo sich nichts bewegt hat, und da ist die Steuerfrage, die himmelschreiende Steuerungerechtigkeit, dass die Schere immer weiter zwischen Arm und Reich auseinandergeht, da ist aus meiner Sicht zu wenig bis gar nichts gekommen.
Barenberg: Da gibt es ja jetzt einige in der Partei, Herr Schäfer, beispielsweise der Parteivize Ralf Stegner, der sagt, da sind noch ein paar Dinge mehr herauszuholen und das werden wir auch machen. Welche wären das denn?
Schäfer: Die Frage ist, ob man das Steuerthema noch mal anpacken kann. Ich glaube auch, Sondierung ist das eine, Koalitionsverhandlungen sind das andere. Man kann nicht sagen, wir haben schon alles aussondiert und wir müssen jetzt hinterher nur noch die 28 Seiten unterschreiben. So wird das nicht sein, so wird das auch keine Seite machen. Was wir von der Union zurzeit erleben – und deshalb war mein zweiter Punkt neben der Sachlichkeit die Zuverlässigkeit -, die CDU und vor allen Dingen die CSU sind permanent in Kampfhandlung gegen die SPD, egal ob wir in Koalition oder in Opposition sind. Und das ist das ganz große Problem und das spüren unsere Mitglieder. Der CDU/CSU kann man nur sehr, sehr begrenzt vertrauen.
"Deutlicher die Unterschiede betonen"
Barenberg: Ich wollte, Herr Schäfer, fragen, was Sie hoffnungsvoll macht, dass das anders werden könnte.
Schäfer: Sie meinen, dass man der CDU mehr vertrauen kann?
Barenberg: Genau. Das ist ja ein starkes Argument, ein wichtiges Argument der Kritiker von Koalitionsverhandlungen, dass man es mit einem unzuverlässigen Partner zu tun hat. Wieso sollte das anders werden?
Schäfer: Das heißt, wenn es eine Mehrheit der SPD-Mitglieder gibt, denn darum wird es ja gehen, die für eine Große Koalition sind, werden wir eine andere Haltung als SPD an den Tag legen müssen. Wir werden deutlicher unsere ursprünglichen Forderungen von den Punkten, die wir als Kompromiss dann zum Schluss finden werden, die werden wir deutlicher herausstellen, deutlicher die Unterschiede betonen und auch eine deutlichere Sprache gegen die CDU finden.
Ich will Ihnen noch mal das Beispiel nennen: Frau Merkel hat vor Kurzem noch gesagt, die SPD sei regierungsunfähig. Die hat uns, als wir koaliert haben, abgesprochen, dass wir europapolitische Verantwortung übernehmen, sozusagen Dinge, die mit Fakten gar nichts zu tun haben, die nur ein böswilliges Bekämpfen der SPD sind. Und wir müssen auch in einer Koalition dann eine klare Haltung haben nach dem Motto, das ist Zusammenarbeit auf Zeit, wir sind unterschiedliche Parteien und wir stehen ansonsten inhaltlich gegeneinander und wir stehen nur zeitweise in der Koalition miteinander.
Am Ende sollen die Mitglieder entscheiden
Barenberg: Herr Schäfer, Sie hatten ja das Stichwort Klarheit genannt und da liegt jetzt das Sondierungsergebnis auf dem Tisch und der eine oder die andere fordern oder stellen in Aussicht, dass sich noch was ändern könnte. Glauben Sie ernsthaft, dass auf Unions-Seite die Bereitschaft besteht, beispielsweise noch einmal die Frage, ob der Spitzensteuersatz erhöht wird, ein Herzensanliegen der SPD, auf den Verhandlungstisch zu legen? Können Sie das Ihren Mitgliedern in Aussicht stellen?
Schäfer: Das werden wir nach dem Parteitag sehen. Das werden wir genau nach dem Parteitag sehen. Wenn deutlich wird, die SPD-Mitglieder werden einem Ergebnis, was an dieser Frage überhaupt nichts ändert, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zustimmen, dann wird die CDU und vor allen Dingen die CSU sich dreimal überlegen, ob sie so einen Dogmatismus an den Tag legt und sagt, fertig, wir reden einfach über Themen nicht mehr.
Barenberg: Das heißt aber auch, wenn ich Sie da richtig verstehe, die Delegierten werden am Sonntag in einer Situation entscheiden müssen, wo sie nicht wissen, ob am Ende Spitzensteuersatz, Bürgerversicherung, sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen, ob das alles jetzt schon abgehakt werden kann, oder ob da doch noch etwas möglich sein wird.
Schäfer: Das müssen wir auch noch mal klarstellen. Die Delegierten sollten aus meiner Sicht darüber entscheiden, dass die Mitglieder – Delegierte sind 600, Mitglieder sind 450.000 – am Ende des Prozesses souverän entscheiden, Koalition ja oder nein. Wir dürfen am Sonntag das Mitgliedervotum nicht vorwegnehmen. Ich bin strikt dagegen. Als jemand, der kritisch gegenüber der Koalition steht, bin ich strikt dagegen, dass wir am Sonntag uns irgendetwas verbauen, was das Mitgliedervotum anbelangt. Am Sonntag muss aus meiner Sicht geöffnet werden der Weg zu Koalitionsverhandlungen, an dessen Ende die SPD-Mitglieder im Unterschied zu den Mitgliedern der Union gefragt werden und gefragt sind, ihre Meinung und ihre Entscheidung zu treffen.
Barenberg: Die Delegierten eines Parteitags der SPD sind im Grunde am Sonntag machtlos?
Schäfer: Die Delegierten müssen am Sonntag entscheiden: Gilt unsere Zusage den Mitgliedern gegenüber, dass sie das letzte Wort haben, oder nehmen wir als Delegierte uns schon das letzte Wort raus, indem wir sagen, Koalitionsverhandlungen gibt es überhaupt nicht. Da bin ich als jemand, der Delegierter ist und Ortsvereinsvorsitzender und Abgeordneter, sehr dafür, dass wir diese Entscheidung so wie angekündigt in die Hände der gesamten Mitgliedschaft und nicht nun in die Hände von 600 Delegierten legen.
"Wir haben keine roten Linien gezogen"
Barenberg: War es eigentlich ein Fehler, die Latte für mögliche Koalitionsverhandlungen und dann auch ein mögliches Regierungsbündnis vonseiten der SPD so hochzuhängen, immer zu sagen, ein "weiter so" darf es nicht geben, eine ganz andere Politik muss es geben?
Schäfer: Wir haben ja keine roten Linien eingezogen. Und mit der Latte – wir sind ja nicht beim Hochsprung, wo man dann sagen kann, drübergekommen oder gerissen. Wir haben als SPD gesagt, es muss eine Reihe von wichtigen Änderungen geben. Das fängt bei der parlamentarischen Diskussionskultur an. Das werden wir auch, wie Sie wissen, ändern, auch was Regierungsbefragung, was Stellungnahme der Bundeskanzlerin anbelangt. Ich bin sehr dafür, dass wir auch noch einen Schritt weitergehen, dass wir jetzt deutlich machen, wir wollen alle Sitzungen im Deutschen Bundestag (außer den entsprechenden Geheimgremien), vor allen Dingen die Ausschüsse, die wollen wir öffentlich machen, wie das in Europa und in vielen Landtagen der Fall ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und wir wollen auch öffnen, dass es aus dem Bundestag heraus zu Themen, die nicht im Koalitionsvertrag festgelegt sind, Vorschläge fraktionsübergreifend geben kann. Wir haben gute Beispiele in der Vergangenheit, im Einzelfall pränatale Implantationsdiagnostik und anderes mehr. Auch das gehört zu einer lebendigen parlamentarischen Demokratie dazu und an der Stelle muss sich etwas ändern und man muss auch in den Parlamentsdebatten selbst dort, wo es Kompromisse zwischen SPD und Union gibt, von SPD-Seite viel deutlicher herausstellen, was die ursprünglichen Forderungen der eigenen Partei sind und was als Ergebnis am Ende die dann auch notwendigen Kompromisse sind, damit die Unterscheidbarkeit auch in einer Koalition bleibt.
Barenberg: Aber genug Aufbruch steckt in Ihren Augen auch in dem, was jetzt schon auf dem Tisch liegt?
Schäfer: Entschuldigung! Das war zu leise. Bitte wiederholen Sie es noch mal.
Barenberg: Genug Aufbruch steckt in Ihren Augen auch jetzt schon in dem Sondierungsergebnis?
Schäfer: Es ist ein Stück Aufbruch drin, aber die SPD hat sich so viel an Erneuerung, das heißt an Aufbruch vorgenommen, dass das immer nur ein erster Schritt sein kann.
Barenberg: … sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer hier im Gespräch im Deutschlandfunk. Danke dafür!
Schäfer: Danke Ihnen auch.
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