"Es gibt nur ein Berlin/ Und das is' mein Berlin/ Hält uns auch keiner für normal/ Das ist uns alles ganz ejal."
Das Berlin, das Claire Waldoff 1932 so besang, gab es zu diesem Zeitpunkt seit knapp zwölf Jahren. Am 1. Oktober 1920 war das "Gesetz über die Bildung von Groß-Berlin" in Kraft getreten. Wenige Monate zuvor, am 27. April, hatte es nach diversen Wiedervorlagen und Beratungen im Plenum den preußischen Landtag passiert.
Für den Stadthistoriker Laurenz Demps war klar, was im Landtag den Ausschlag gab: "Berlin wählte rot. Und die Provinz Brandenburg wählte andere politische Farben, die mehr in die dunkle Ecke gingen. Das wurde in der preußischen Landesversammlung dann das, was den Ausschlag gab."
Durchwachsenes Ja zur Mega-Stadt
Allerdings hatten mehrere Probeabstimmungen ein deutliches Votum gegen Groß-Berlin ergeben. Erst aufgrund weitgehender Kompromisse wendete sich das Blatt. Wolfgang Ribbe, bedeutender Historiker Berlin-brandenburgischer Geschichte, erkannte schon vor 1995 in einem Interview:
"Wenn man sich genau mal ansieht, wer bei dieser namentlichen Abstimmung für Groß-Berlin gestimmt hat, dann kann man sagen, es gab sicherlich sehr starke Widersprüche von der äußersten Rechten. Aber von der Mitte bis zur äußersten Linken gab es ein durchwachsenes Ja."
Das "durchwachsene Ja" war das Ergebnis äußerst erbitterter Kämpfe um ein großes, vereintes Berlin. Gleichsam über Nacht umfasste die Stadt ab Oktober 1920 fast doppelt so viele Einwohner wie zuvor, über vier Millionen Menschen. Und durch die Eingemeindungen bisher selbständiger Gemeinden und Städte wurde Berlin zu einer der damals größten Metropolen der Welt. Doch längst nicht alle Bezirke waren mit diesem Zusammenschluss einverstanden.
"Es schütze uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband. " So hatte bereits im April 1911 der Stadtrat und Maurermeister Emil Müller bei der Grundsteinlegung des Spandauer Rathauses gereimt, womit er, ebenso wie mit dem geplanten Monumental-Rathaus, die Eigenständigkeit Spandaus betonte. Doch schon ein Jahr später erfolgte der Zusammenschluss Berlins mit Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Lichtenberg, Rixdorf-Neukölln und Spandau sowie den Kreisen Niederbarnim und Teltow zum Zweckverband Groß-Berlin.
Der Historiker und Kurator Gernot Schaulinski – verantwortlich für die im August 2020 im Märkischen Museum eröffnete Ausstellung über das "Projekt Groß-Berlin" – erläutert die Vorteile dieses Zweckverbandes:
"In einigen Bereichen konnten auch Fortschritte erzielt werden, vor allem was den sogenannten Dauerwald betraf. Man hat also große Waldgebiete angekauft, der Grunewald war eigentlich schon für die Abholzung vorgesehen. Auch eine schrittweise Vereinheitlichung dieser unzähligen Tarifsysteme der Straßenbahn wurde forciert. Der Erste Weltkrieg kam dann noch allerdings dazwischen, und man merkte schnell, dass diese doch eher lose Kompromissform nicht mehr tragfähig war."
Der Erste Weltkrieg als Katalysator
Tatsächlich bildete der Erste Weltkrieg neben der Novemberrevolution eine entscheidende Zäsur auf dem Weg nach Groß-Berlin. Der seit 1912 amtierende Oberbürgermeister der Reichshauptstadt, Adolf Wermuth, spielte dabei die entscheidende Rolle. Er hatte in Berlin die Heimatfront und vor allem die Lebensmittelbewirtschaftung zu organisieren. Der erklärte Monarchist, aber politisch kompromissbereite und polyglott gebildete Verwaltungsbeamte, erinnerte sich in seinen Memoiren, es habe doch nicht angehen können,...
"...dass Alt-Berlin allein für sich den Brotverkehr regelte, dass die Bäcker und Esser auf der einen Seite der Kurfürstenstraße oder des Kottbusser Dammes, der Brotkarte unterworfen wurden, während man auf der anderen Seite frei oder nach sonstigen Regeln kaufte."
Einzelne Bezirke bewahrten sich ihre Eigenständigkeit
Vor allem die Einführung der "Brotkarte" erforderte die Zusammenarbeit Berlins mit den umgebenden selbstständigen Bezirken und Gemeinden und erschien manchen schon wie ein Vorgriff auf ein vereinigtes Groß-Berlin.
Das trat nach dem Krieg trotz aller aktuellen und kommenden Widrigkeiten seinen Siegeszug an, vielfach angefeindet und als Stadt der Massen verschrien. Die Bezirke vermochten sich indessen über die Zeitläufte hinweg eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren. Das führte zu Konflikten mit der gesamtstädtischen Führung, dem Berliner Senat und hemmt mitunter bis heute die Stadtentwicklung.