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Großbritannien
"Boris Johnson ist ein Spinner"

Die Abstimmungsniederlage im britischen Unterhaus sei eine glatte und schwere Niederlage für Premierminister Boris Johnson, sagte der britische Politologe Anthony Glees im Dlf. Er habe durch seine "blöde Taktik" nun die Initiative verloren - die liege nun beim Oppositionsführer Jeremy Corbyn.

Anthony Glees im Gespräch mit Christine Heuer |
Der britische Premierminister Boris Johnson.
Boris Johnson musste gestern im britischen Unterhaus eine schwere Niederlage hinnehmen, sagt der britische Politologe Anthony Glees (dpa / Michael Kappeler)
Boris Johnson habe gestern gewinnen wollen, und dann wollte er zu den Urnen rufen, glaubt Anthony Glees. Nun bekomme er die Neuwahlen nicht mehr in der Form, in der er sie haben wollte. Die Initiative habe Johnson durch seine blöde Taktik gestern verloren. Er habe die Möglichkeit verloren, den Termin für Neuwahlen festzulegen. Johnson habe sich eingeredet, dass es ganz einfach sei, ein britischer Trump zu werden.
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Ein kluger Schachzug von Oppositionsführer Jeremy Corbyn wäre es nun, eine Regierung mit den 21 Rebellen der Torys zu bilden. Es sei möglich, dass diese Corbyn unterstützen würden, eine nationale Regierung sei ohne Wahlen und für eine begrenzte Zeit möglich.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Christine Heuer: Was für ein Tag gestern im britischen Parlament: Die Regierung verliert ihre Mehrheit im Unterhaus, weil der Tory-Abgeordnete Philip Lee zu den Liberalen überläuft. Von denen, die bei den Torys bleiben, stimmen 21 für ein Parlamentsvotum zum No Deal und damit gegen den eigenen Regierungschef. Boris Johnson will diese 21 nun aus der Partei werfen, darunter auch einen Enkel Winston Churchills. Und das war erst Tag eins der möglicherweise entscheidenden Brexit-Schlacht zwischen Regierung und Parlament. Heute geht es weiter mit der Abstimmung über den No Deal und der möglichen Ankündigung von Neuwahlen.
- In Großbritannien begrüße ich Anthony Glees, er ist Politologe an der Buckingham University. Guten Tag, Herr Glees!
Anthony Glees: Guten Tag, Frau Heuer!
Heuer: 21 Tory-Rebellen stimmen gegen Johnson. Johnson schmeißt sie jetzt raus, darunter acht Ex-Minister, den Enkel von Winston Churchill und Kenneth Clarke, das ist so etwas wie der Wolfgang Schäuble der britischen Torys. Um es mit Asterix und Obelix zu sagen, Herr Glees: Die spinnen, die Briten. Oder?
Glees: Ich würde nicht sagen, die Briten spinnen, aber es ist doch ganz klar, dass Boris Johnson ein Spinner ist, dass er die völlig falsch gespinnt hat, dass er einen Spin zu viel gespinnt hat. Und dass Boris Johnson, seine kleine Gruppe von führenden Leuten in der Tory Party, sein engster Berater Dominic Cummings, der selber kein Mitglied der Tory-Partei ist, einen sehr großen Fehler gestern Abend gemacht haben. Die wollten es nicht so haben. Und die Konsequenzen sind jetzt von ihnen zu ziehen.
Heuer: Ja, welche sind das denn?
Glees: Ja, das erste ist, dass es bei sich gebracht hat, eine Mehrheit im Parlament gegen ihn zu holen während seiner ersten Wahl. Das ist das erste Mal seit 1894, dass ein neuer Premierminister seine erste Wahl im Unterhaus verloren hat. Das ist doch ein Kunststück! Und er hat das getan erstens, weil er gelogen hat, muss man feststellen, leider kann man von Boris Johnson kein Wort glauben. Er hatte keinen Plan, mit Brüssel zu verhandeln – die haben von einem Plan, einem echten Plan nichts gehört –, und vor allen Dingen, das ist das Allerwichtigste, er versuchte, unser Parlament einzuschüchtern. Und das würden die Abgeordneten einfach nicht hinnehmen wollen. Und das haben sie dann auch nicht hingenommen.
Heuer: Also Sie sagen nach diesem aufregenden Abend gestern: Das ist eine glatte, schwere Niederlage für Boris Johnson?
"Eine glatte, schwere Niederlage" für Johnson
Glees: Es ist eine glatte, schwere Niederlage für ihn, eine sehr große Niederlage. Ich glaube, was er wollte – er wollte gestern gewinnen und dann zu den Urnen rufen und den Wählern in Großbritannien die Möglichkeit eines Deals und eines No Deal vor das Gesicht halten. Und es ist möglich, dass er damit eine Mehrheit hätte gewinnen können. Stattdessen hat das Parlament, weil sie sich nicht einschüchtern ließen von ihm, diesen No Deal weggenommen.
Heuer: Ja, aber, Herr Glees, Neuwahlen will Boris Johnson ja immer noch. Wird das Unterhaus denn diese Neuwahlen sicher verhindern?
Glees: Richtig, Frau Heuer, aber jetzt bekommt der die Neuwahlen nicht in der Form, die er haben wollte. Es ist jetzt Jeremy Corbyn, dem Oppositionsführer, überlassen, wann und aus welchen Gründen es zu Neuwahlen kommt. Also die Initiative hat Boris Johnson durch seine blöde Taktik gestern Abend verloren. Es ist jetzt Jeremy Corbyn und die 21 Tory-Rebellen, die bestimmen werden, wann und ob wir diese Neuwahlen bekommen.
Heuer: Also das Parlamentssystem in Großbritannien ist ja wirklich, wirklich sehr schwer zu durchdringen, Anthony Glees. Verstehe ich Sie jetzt richtig, damit wir das alle verstehen: Boris Johnson hat gestern wirklich die Möglichkeit verloren, den Termin festzulegen für Neuwahlen?
Glees: Genau das, genau das.
Heuer: Das obliegt jetzt der Opposition?
Johnson "kam völlig außer Fassung gestern Abend"
Glees: Genau das. Es war ein Fehlgriff von ihm. Und es ist genau umgekehrt gegangen als er eigentlich wollte. Und Sie brauchen mir das nicht zu glauben, Frau Heuer, Sie brauchen bloß auf Boris Johnsons Gesicht im Unterhaus. Der kam völlig außer Fassung gestern Abend. Und das Große ist, dass wir in Großbritannien meinen, wir sind die Mütter aller parlamentarischen Demokratien: Wir sind eine parlamentarische Demokratie, wir sind keine Präsidialdemokratie!
Heuer: Ja, obwohl Boris Johnson ja in den letzten Tagen so ein bisschen den Eindruck gemacht hat, genau das haben Sie da in Großbritannien, eine Präsidialdemokratie.
Glees: Bestimmt, das möchte er. Und er hat es sich selber eingeredet mit Leuten wie Dominic Commings und Jacob Rees-Mogg, diese Leute, dass es ganz einfach sei für ihn, ein britischer Trump zu werden. Aber auch Trump muss sich dem Willen eines Parlaments, Kongresses beugen. Das haben die Gesellen gestern Abend einfach nicht eingesehen. Und was jetzt sich abspielt, das weiß kein Mensch, aber es wird nicht so gehen, wie Boris Johnson das wollte. Und in der Politik ist ein Verlust immer ein schwerer Verlust.
Heuer: Sie sagen, nun liegt das an der Opposition und damit naturgemäß an Oppositionsführer Jeremy Corbyn. Sie sagen auch, wir können das schwer vorhersagen, was jetzt passiert. Was wäre denn ein kluger Schachzug jetzt von Jeremy Corbyn, um den No Deal zu stoppen?
Glees: Ein kluger Schachzug von Jeremy Corbyn würde versuchen, eine nationale Regierung hervorzubringen, mit den 21 Rebellen, auf sehr sozialistische Pläne vorübergehend zu verzichten. Leute wie Kenneth Clarks, Nicolas Soames, Greg Clark, diese Leute in seine Regierung einzubringen und dann zu der Königin zu gehen und zu sagen, schauen Sie mal, wir haben hier die Mehrheit – denn man darf auch nicht vergessen: Gestern Abend zu seinen Kunststücken hat Boris Johnson auch die Mehrheit in seinem Parlament verloren. Die Torys haben keine Mehrheit.
Heuer: Schon, Anthony Glees, aber würden denn die 21 Rebellen einen Jeremy Corbyn unterstützen als Regierungschef?
Glees: Es ist möglich. Während des Zweiten Weltkrieges, von dem Boris Johnson und seine Freunde immer sehr viel sprechen, haben wir eine nationale Regierung und eine sehr gute nationale Regierung gehabt mit Winston Churchill als Premierminister und der Labor-Führer Clemens Attlee als seinen Vize. Das könnte noch mal geschehen.
Heuer: Aber muss es Jeremy Corbyn sein? Würde es den Tory-Rebellen nicht leichter fallen, zum Beispiel einen Kenneth Clarke, den Sie gerade erwähnt haben, also so eine Galionsfigur der Torys, der aber gegen den Brexit ist, so eine Figur zu einem Interimsregierungschef zu machen?
Corbyn als Regierungschef ist "möglich auf begrenzte Zeit"
Glees: Theoretisch, Frau Heuer, theoretisch wäre das möglich. Aber wenn wir bei der realen Politik bleiben: Corbyn ist ein sehr alter Mann, ein schwacher Mann, ein roter, roter Sozialist, bestimmt, auf alle Fälle. Aber gestern Abend im Parlament hat er eine ziemlich gute Rede abgehalten. Und wenn er auf einige seiner Ideen, Gedanken verzichten würde, ist es möglich auf begrenzte Zeit, dass er zu der Königin, wie ich schon sagte, sagen könnte in Balmoral: Ich habe nun die Mehrheit, die Boris Johnson gestern Abend verspielt hat.
Heuer: Es liegt also jetzt tatsächlich in der Hand und in den Möglichkeiten des Parlaments, diesen No-Deal-Brexit zu verhindern und Boris Johnson zu stürzen?
Glees: Die Möglichkeit besteht, die Möglichkeit besteht. Und wenn wir gestern um diese Zeit miteinander gesprochen hätten, hätte ich zu Ihnen gesagt: Es ist sehr, sehr schwer zu glauben, dass diese Möglichkeit bestehen würde. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es vollbracht wurde gestern Abend. Aber es ist vollbracht worden.
Heuer: Ich habe dazu trotzdem noch eine Frage, weil wir hier in den letzten Wochen immer gelesen haben, selbst wenn Jeremy Corbyn getragen wird, zur Queen geht und sagt, ich bin der neue Regierungschef, dann kann er das nur dann werden, wenn Boris Johnson vorher zurücktritt. Also ist da nicht doch noch eine Hintertür für Johnson?
Glees: Boris Johnson hat gestern seine Mehrheit verloren. Und das ist eine sehr harte Tatsache. Und die Königin muss natürlich das tun, was ihre Berater ihr sagen, zu tun. Es geht darum, eine Regierung mit einer Mehrheit im Parlament zu haben, dass es grundsätzlich in unserer ungeschriebenen Verfassung die Aufgabe ist, eine Mehrheit im Unterhaus zu haben. Boris Johnson hat diese Mehrheit nicht mehr. Das kann die ganze Welt sehen. Und es ist möglich, dass Corbyn, wenn er jetzt geschickt handelt, diese Mehrheit für sich bekommen kann: ohne Wahlen, für eine begrenzte Zeit der neue Premierminister. Denn, bitte vergessen Sie nicht: Boris Johnson wollte No Deal, in Großbritannien und im Unterhaus ist keine Mehrheit für No Deal – für den Brexit wohl, aber nicht für den No Deal.
Heuer: Okay, dann bleiben wir gespannt, wie das weitergeht und was möglicherweise am Ende einer weiteren Kaskade von Ereignissen dann die Queen sagt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.