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Grossbritannien
"Cameron bei Alleinregierung erpressbar"

Sollte es zu einer absoluten Mehrheit der Konservativen kommen, fürchtet Elmar Brok, Europaabgeordneter der CDU, dass Premierminister Cameron erpressbar würde. Die Europaskeptiker könnten immer mehr fordern. Ein proeuropäischer Koalitionspartner habe diese Tendenz bislang abgefedert, sagte Brok im DLF.

Elmar Brok im Gespräch mit Peter Kapern | 08.05.2015
    Elmar Brok: Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments.
    Elmar Brok: Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. (dpa/picture alliance/epa/Yoan Valat)
    Brok sieht angesichts der Prognosen eine Teilung des Landes als wahrscheinlich an, da Konservative und Labour in Schottland fast nicht mehr vertreten seien. Obwohl Brok selbst Konservativer ist, sieht er das Ergebnis mit einer Mischung aus Sorge und Freude. Der Kurs der britischen Regierung könnte noch europaskeptischer werden, und bis zum Referendum 2017 über den EU-Verbleib Großbritanniens werde es große Diskussionen geben. Ein Referendum würde immerhin Klärung bringen, sagte Brok: "Großbritannien braucht Klarheit für sich und wir wollen auch Klarheit von Großbritannien haben."
    Alleinregierung nicht unbedingt vorteilhaft für Cameron
    Das Ziel von Cameron sei zwar, in der EU zu bleiben. Doch Brok sagte: "Ich habe meine tiefen Zweifel,denn die Skeptiker werden immer mehr fordern." Cameron könne bei einer Alleinregierung nicht mehr auf einen Koalitionspartner verweisen, der zu proeuropäischem Handeln zwinge, denn die Liberaldemokraten wurden von den Wählern abgestraft.
    Was den Umgang der EU mit Großbritannien betrifft, sagte Brok: "Wir müssen deutlich machen, dass wir uns nicht von einem Land erpressen lassen." Der Satz über eine "enger zusammenrückende Union" soll nach Wunsch Großbritanniens aus dem Vertragswerk getilgt werden, dabei sei dieser aber von einem ehemaligen britischen konservativen Premierminister, John Major, in den Maastricht-Verträgen untergebracht werden. Brok befürwortete Verhandlungen unterhalb der Vertragsebene.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Wahltag mit Paukenschlag. Anders als von allen Meinungsforschern vorhergesagt, haben die britischen Konservativen von David Cameron einen klaren Wahlsieg eingefahren bei den gestrigen Unterhauswahlen. Cameron braucht voraussichtlich nicht einmal einen Koalitionspartner, um weiter zu regieren. Er hat, so die jüngsten Meldungen aus London, offenbar sogar die absolute Mehrheit errungen.
    Diese Wahlen, das war vorher klar, würden darüber mit entscheiden, wie breit der Kanal, der die britische Insel vom Kontinent trennt, möglicherweise werden kann. Denn David Cameron, der Amtsinhaber, der alte und der neue Premierminister, der hatte seinen Landsleuten versprochen, dass sie spätestens 2017 über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union abstimmen können. Kein Wunder also, dass diese Wahlen in Brüssel mit ganz besonderem Interesse verfolgt wurden. Auch von Elmar Brok, dem CDU-Europaabgeordneten und Vorsitzenden im Auswärtigen Ausschuss. Guten Morgen, Herr Brok!
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Brok, was überwiegt denn da gerade in Ihnen, die Freude des Konservativen über den Wahlsieg der Tories, oder die Sorge des Europapolitikers vor diesem Referendum, das da ja nun definitiv kommen wird?
    Brok: Es ist, glaube ich, eine Mischung von beidem. Denn wir müssen sehen: Wenn Cameron mit dieser knappen Mehrheit die absolute Mehrheit gewonnen hat - und das ist ja wirklich nur ein oder zwei Stimmen über den Durst -, dann bedeutet dieses nichts anderes, dass natürlich die Euroskeptiker ihn ständig erpressen können und dass dadurch die große Gefahr besteht, dass der Kurs der britischen Regierung noch euroskeptischer wird, als er ohnehin schon gewesen ist, und das würde natürlich große Herausforderungen für die Diskussion der nächsten ein, zwei Jahre bedeuten.
    "Großbritannien geht einer schweren Zeit entgegen"
    Kapern: Mit was genau rechnen Sie da, immer stärkere Forderungen aus London nach immer tief greifenderen Reformen, immer mehr Ultimaten aus London, damit das Referendum doch eine Mehrheit für den Verbleib in der EU bringt, oder wie wird David Cameron jetzt damit umgehen?
    Brok: Das ist offensichtlich das Ziel von David Cameron, in der Europäischen Union zu bleiben, um auf diese Art und Weise doch auch seine Skeptiker zu befrieden. Aber ich habe meine tiefen Zweifel, denn diese Skeptiker, die ich zum Teil ja sehr gut kenne, werden immer mehr fordern. Sie wollen aus der Europäischen Union heraus und ich weiß nicht, wie weit Cameron sich dem entgegenstellen kann, weil er nicht mehr auf einen Koalitionspartner hinweisen kann und dadurch einen Ausgleich hinzubekommen. Und wenn man sieht, dass die Liberaldemokraten, die bisher in der Koalition ja immer die proeuropäische Kraft waren, so abgestraft worden sind, wenn man sieht, dass die Teilung des Landes so stark geworden ist, sodass die Tories und die Labour Party in Schottland praktisch nicht mehr vertreten sind, die Tories, glaube ich, überhaupt nicht mehr mit einem Sitz, und fast alle Sitze an die schottischen Nationalisten gegangen sind, dann sieht man auch, dass die innenpolitische Lage sehr, sehr kritisch ist, sodass dieses Großbritannien einer schweren Zeit entgegengeht.
    Kapern: Wie muss Europa jetzt damit umgehen, wenn nun tatsächlich David Cameron zu einer immer härteren Linie getrieben wird von den Europaskeptikern in seiner Partei? Was müssen dann die Europaparlamentarier, die EU-Kommission und die anderen Mitgliedsstaaten tun?
    Brok: Nun, wir müssen, glaube ich, erst das Wahlergebnis anerkennen. Da gibt es kein Vertun, dass wir dieses tun müssen. Aber wir müssen deutlich sagen, dass eine Reformfähigkeit da ist, aber auch deutlich machen, dass wir uns nicht von einem Land da erpressen lassen. Natürlich ist es richtig, dass wir versuchen müssen, dass Großbritannien, wo sie ja Sorge haben, bei einer Fortentwicklung des Euro, dem sie nicht beitreten wollen, nicht von dieser Fortentwicklung negativ betroffen ist, und da kann man sicherlich Vereinbarungen treffen. Wenn seine Äußerungen immer richtig ernst gemeint waren, dass man eine bessere Regierung haben will, weniger Gesetzgebung, das ist eigentlich erfüllt durch die Juncker-Kommission und ihre Arbeitsweise, nicht immer in jedem Detail Gesetzgebung zu betreiben, was wir ja auch nicht gut fanden, sondern sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dann haben sie noch eine weitere Forderung, dass diese Formulierung im Vertrag, eine immer enger zusammenrückendere EU, "an ever closer union", dass dieses beseitigt werden soll. Übrigens ein Text, der von dem britischen konservativen Premierminister John Major im Vertrag von Maastricht untergebracht worden ist, und da kann man vielleicht Erklärungen finden, was das meint. Denn ich glaube nicht, dass wir zu einer Vertragsänderung kommen. Da gibt es keine Möglichkeit, glaube ich, eine Vertragsänderung mitzumachen und durchzuführen. Das müsste in 28 Ländern ratifiziert werden, das würde Jahre dauern und das ging nicht bis zum Referendum 2017, und da stellt sich die Frage, ob unterhalb der Vertragsebene Verhandlungsmöglichkeiten da sind, die Cameron dann die Möglichkeit geben, ein Referendum durchzuführen und selbst zu sagen, er sei für den Verbleib innerhalb der Europäischen Union.
    "Ich neige fast dazu, dass man zu einem Referendum kommen sollte"
    Kapern: Nun haben Sie eine Kernforderung, die die Briten immer wieder aufstellen, unterschlagen, Herr Brok, nämlich die nach einer Einschränkung der Freizügigkeit mit Verweis auf die sogenannte Armutsmigration beispielsweise aus Rumänien und Bulgarien auf die Insel. Das ist ja eine Forderung, die auch in anderen Staaten von den Bürgern erhoben wird, auf Sympathie stößt. Wie kann man denn damit umgehen?
    Brok: Nun, da haben Sie völlig recht. Wir müssen sehen, dass diese Forderung da besteht. Aber wir wissen beispielsweise auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Dezember, dass diese Möglichkeiten schon bestehen. Wer innerhalb der Europäischen Union in ein anderes Land hineingeht und keinen Arbeitsplatz hat, hat keinen Anspruch auf Sozialhilfe und andere soziale Leistungen, und aus diesem Grunde muss, glaube ich, hier sehr viel mehr darauf geachtet werden, dass diese europäischen Möglichkeiten, die ja in der Gesetzgebung drinstehen, stärker angewandt werden als bisher. Diese Diskussion haben wir auch in anderen Ländern. Ich glaube, da zu Klarstellungen zu kommen, ist ganz wichtig, wenn wir insgesamt hier die Herausforderungen vor uns sehen, und ich glaube, da ist ein Weg, dass wir da mit den Briten klar kommen könnten. Aber es muss völlig klar sein, das hat die Bundeskanzlerin auch gesagt: Der Grundsatz der Freizügigkeit in Europa darf nicht gefährdet werden. Das ist eine der vier Freiheiten, die wir haben. Das geht auch nur mit Vertragsänderung und dieses kann Cameron nicht erwarten, dass dieses vertraglich verändert wird.
    Kapern: Nun die schwierigste Frage von allen. Die Chancen, dass Großbritannien auch nach dem Referendum Mitglied der Europäischen Union bleibt, sind die nach dem Wahlergebnis von gestern größer oder kleiner als 50 Prozent?
    Brok: Ich neige fast dazu, dass man zu einem Referendum kommen sollte und dass das nicht so schlimm ist, damit endlich Klärung kommt. Wir wissen aus neuesten Umfragen, dass 60, 70 Prozent der Briten eigentlich in der Europäischen Union bleiben möchten, und ich hoffe, dass Cameron jetzt in der Lage ist, nachdem er die Wahlen gewonnen hat, den ganzen Populismus wegzulassen, der die Diskussion in Großbritannien überlagert, sondern nüchtern die wirklichen Fakten, die unterschiedlichen Interessen darstellt, dass man das eingrenzen kann und der Bevölkerung erklären kann, um dann ein Referendum zu führen. Ich glaube, auch Großbritannien braucht endlich für sich Klarheit, was es will, und wir möchten auch Klarheit von Großbritannien haben, damit dieses ewige Hin und Her, das uns zunehmend behindert, nicht mehr gegeben ist, so oder so.
    Kapern: Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, CDU-Europaabgeordneter, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Brok, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage auf Wiederhören.
    Brok: Das wünsche ich Ihnen auch. Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.