Schon um seinen Parteifreunden in Großbritannien, die der EU so oder so goodbye sagen wollen, nicht in die Hände zu spielen, hat Premierminister Cameron bislang noch keinen detaillierten schriftlichen Forderungskatalog vorgelegt. Und auch in den nächsten Wochen dürfte es dazu wohl nicht kommen; Europaminister David Lidington:
"Mein Rat an meinen Boss lautet, auf keinen Fall die Verhandlungspositionen zu veröffentlichen."
Das mache überhaupt keinen Sinn; Großbritanniens Vorstellungen seien im Übrigen aus den Grundsatzreden Camerons in den letzten Jahren ersichtlich. Der fordert ein neues Verhältnis seines Landes zur EU und führt vor allem vier generelle Änderungswünsche an, zuletzt vor zwei Wochen nach seinem Gespräch mit Angela Merkel in Berlin:
"Es geht um die immer engere Union, die wir nicht wollen, es geht um größere Wettbewerbsfähigkeit Europas, um eine faire Gleichberechtigung zwischen den Staaten, die nur im Binnenmarkt sein wollen und jenen, die den Euro haben und enger zusammenarbeiten möchten, und es geht um unsere Sorgen über Einwanderung und Sozialmissbrauch, die das britische Volk vor allem umtreiben."
Mancher Wunsch wird leichter erfüllbar sein als andere; der Teufel steckt im Detail und kompliziert wird es beispielsweise, wenn es um Camerons Ziel geht, dass EU-Arbeitnehmer Sozialleistungen wie Kindergeld erst nach vierjährigem Aufenthalt in Großbritannien bekommen sollten.
"Du musst erst in ein System einzahlen, ehe Du daraus Geld erhältst. Wenn Du nach Großbritannien zum Arbeiten kommst und Deine Familie im Ausland bleibt, dann solltest Du nicht unser hohes Kindergeld kassieren können, wenn doch die Familie die hohen Lebenshaltungskosten in Großbritannien gar nicht tragen muss."
"Großbritannien ist vor allem aus wirtschaftlichen Gründen beigetreten"
Dies sei eine Frage des gesunden Menschenverstands, argumentiert der britische Premier; doch Norbert Roettgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, widerspricht. Es müsse bei der Kindergeldregelung bleiben,
"Weil das Prinzip der Gleichbehandlung der Europäer in den unterschiedlichen Staaten gilt, also auch ein Brite der nach Deutschland kommt und den vergleichbaren Fall hat, der wird dann genauso behandelt wie ein Deutscher in Deutschland behandelt würde. Und dieses Prinzip der Gleichheit der Europäer in Europa, das ist etwas ganz Großes, das wir erreicht haben ... "
Was die meisten EU-Staaten kaum aufgeben werden. Kompromissbereiter könnten sie sein, wenn es um den Abbau der Brüsseler Bürokratie oder um den Ausbau von Binnenmarkt und Wettbewerbsfähigkeit geht. Erst vor wenigen Tagen hat Schatzkanzler George Osborne geschildert, dass die verschiedenen Staaten aus unterschiedlichen Gründen EU-Mitglied geworden seien: Deutschland und Frankreich, um ein Jahrhundert blutiger Konflikte zu beenden, Spanien, Portugal oder Osteuropa, um die neue Demokratien zu verwurzeln.
"Großbritannien ist vor allem aus wirtschaftlichen Gründen beigetreten. Um unseren industriellen Niedergang zu beenden und unsere Ökonomie zu öffnen. Darum war für uns der Binnenmarkt immer wichtiger als alles andere an der Mitgliedschaft."
Jetzt aber fürchten die Briten im Binnenmarkt unter die Räder zu kommen. Dass die 19 Euro-Länder, die immer enger zusammenarbeiten müssen, mit qualifizierter Mehrheit Binnenmarkt-Beschlüsse gegen Großbritanniens Interesse fällen könnten, etwa zur Regulierung der Londoner Finanzbranche. Osbornes Forderung:
"Wir benötigen eine Übereinkunft, die anerkennt, dass der Euro nicht für alle ist, dass aber der Binnenmarkt und die EU als Ganze für alle funktionieren müssen. Deswegen wollen wir in den Verhandlungen einfache Prinzipien verankern: eine fest gelegte Fairness zwischen Euro-Ins und Euro-Outs, die den Zusammenhalt des Binnenmarktes wahrt."
Dies könnte auf ein Vetorecht für Großbritannien gegen Beschlüsse der Euro-Länder hinauslaufen; darauf aber werden sich die anderen nur schwerlich einlassen können. Erst recht dann nicht, wenn hinter Camerons "neuem Verhältnis zur EU", die Absicht stecken sollte, sich zurückzuziehen und eine Mitgliedschaft light anzustreben, die sich auf die Teilnahme am Binnenmarkt beschränkt.
"Ich verstehe nicht, wie es möglich ist zu sagen, wir das Vereinigte Königreich, wollen alle positiven Aspekte genießen als Clubmitglied der 28 und als Finanzzentrum für alle EU-Mitglieder, aber wir wollen keine Risiken mit den anderen teilen. Das läuft nicht", sagte Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron der BBC. Man werde Großbritannien kein Europa a la carte gestatten.