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Großbritannien
Camerons Dilemma mit dem EU-Referendum

Der britische Premierminister David Cameron hat seinen Landsleuten ein Referendum zum Verbleib in der EU in Aussicht gestellt und dabei an die Nachverhandlungen mit Europa hohe Erwartungen geweckt. Dennoch liegen die beiden Lager knapp beieinander - Cameron äußert sich nur vage und der Termin für das Referendum verschiebt sich nun vermutlich nach hinten.

Von Friedbert Meurer |
    David Cameron bei seiner Rede an der No. 10 Downing Street
    Cameron will sich momentan nicht klar zum EU-Referendum positionieren. (afp / Adrian Dennis)
    Sondersendung im britischen Fernsehen am Abend des 5. Juni 1975. Beethovens neunte Symphonie ertönt. Die Briten waren vor 40 Jahren schon einmal zum Referendum aufgerufen: Soll das Land Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft bleiben?
    Zur Studiodekoration gehören auch neun kleine Nationalflaggen der Mitgliedsstaaten, so klein war die europäische Wirtschaftsgemeinschaft, wie sie damals noch hieß. 67 zu 33 Prozent pro Europa lautet das Ergebnis. Die Briten waren überzeugte Europäer damals, allen voran die Engländer vor Walisern, Schotten und Nordiren.
    Cameron klammert das Thema aus
    Die Zeiten haben sich geändert. In den Umfragen liegen die Europagegner heute knapp vorne. David Cameron, der Premierminister, agiert vorsichtig – in seiner Rede zuletzt auf dem Parteitag der Konservativen in Manchester hat er dem Thema ganze zwei von 60 Minuten gewidmet:
    "Ich hege keine romantischen Gefühle für die EU oder ihre Institutionen", beteuert Cameron gegenüber den Delegierten. Dann folgt eine national klingende Botschaft: "Ich will nur Großbritanniens Wohlstand und Einfluss sichern. Deswegen kämpfe ich so hart bei den Reformverhandlungen, damit wir das Beste aus zwei Welten erhalten."
    Die zwei Welten, das sind Großbritannien und Europa. Die Kluft dazwischen ist in den letzten 40 Jahren tiefer geworden. Cameron selbst gilt als Pro-Europäer, aber er kann es im Moment nur gebremst zeigen. Seine Strategie lautet: Erst, wenn das Paket mit allen Reformen ausverhandelt ist und steht, dann folgt seine Empfehlung: ja oder nein zu Europa.
    Zur Abstimmung beim Referendum stehe nicht die EU in ihrer heutigen Struktur, sondern so wie sie Cameron neugestaltet sehen will. Mit mehr Macht für die Mitgliedsstaaten und weniger für den Apparat in Brüssel. Bis es soweit ist, vergehen aber – wenn überhaupt - noch etliche Monate. Cameron kann in den Wettstreit pro oder contra EU im Moment kaum eingreifen.
    - "Großbritannien könnte beim Handel und in der Welthandelsorganisation besser dastehen, wenn wir die EU verlassen", beschwört Richard Tice von der Nein-Kampagne leave.eu. "Es gäbe mehr Jobs, die Leute hätten mehr Geld, 1000 Pfund pro Jahr. Und wir würden über unsere Gesetze und Grenzkontrollen selbst entscheiden."
    - "Großbritannien ist ökonomisch in Europa stärker, wenn wir drinbleiben", kontert Richard Reed von der Ja-Kampagne "Britain stronger in Europe". "Wir hätten mehr Sicherheit und den Verbrauchern geht es auch besser als Teil von Europa."
    Beobachter sehen eine stark gespaltene Stimmung
    Beobachter sehen die Stimmung auf der Insel gespalten: Ein Drittel sagt auf jeden Fall Ja zur EU, ein Drittel auf jeden Fall Nein. Das letzte Drittel wartet die Verhandlungen ab. Einen schweren Stand haben die Befürworter der EU mit der Flüchtlingskrise. Sie gibt den Gegnern Auftrieb.
    "Was an den Grenzen Europas und innerhalb passiert, kann das Referendum beeinflussen." Zu diesem Schluss kommt Professor Tony Trevors von der London School of Economics. "Nicht durch die Krise selbst, sondern durch das Chaos in der EU. Schengen, Flüchtlingsverteilung – ein schwieriges Ringen. Noch mehr als bei der Griechenland- und Finanzkrise entsteht der Eindruck, dass die EU-Politik chaotisch verläuft."
    David Cameron scheint inzwischen von seinem Plan abgerückt zu sein, das EU-Referendum schon recht zügig anzusetzen, also zum Beispiel im Juni 2016. Jetzt könnte es auf Oktober hinauslaufen. Euroskeptiker unter den Tories werfen ihm mangelnden Einsatz bei den Verhandlungen mit der EU vor. Margret Thatcher habe die Devise verfochten: Die Erwartungen möglichst niedrig hängen. Und dafür um so härter für die Sache kämpfen. Cameron aber mache es genau umgekehrt.