Es soll der Befreiungsschlag werden. David Camerons große Rede zur Immigration, mit der er vor allem bei jenen Wählern punkten will, die sich von den Konservativen ab- und den Rechtspopulisten der Unabhängigkeitspartei UKIP zugewandt haben. Noch wird gerätselt, wann genau der Premierminister seine Rede halten wird, vor allem aber, wie ihm die Quadratur des Kreises gelingen soll: einerseits den Wählern eine wirksame Senkung der Einwandererzahlen aus der EU zu versprechen und dafür andererseits das Okay der EU-Partner zu gewinnen. Schon auf dem Parteitag hat Cameron die eigene Hürde recht hoch gelegt, als er sagte, er werde ein Nein aus Brüssel bei der Einschränkung der Bewegungsfreiheit nicht hinnehmen:
"I will go to Brussels, will not take No for an answer and if it comes to free movement I will get what Britain needs."
An mehr oder weniger hilfreichen Ratschlägen von Parteifreunden mangelt es nicht. Etwa von Hardlinern wie dem Ex-Umweltminister Owen Paterson, der gleich für den Austritt aus der EU plädiert. Er fordert Cameron auf, sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden zu geben; statt dessen solle er schon einmal die Vertrags-Kündigung einreichen und sich auf Artikel 50 des Lissabonner EU-Vertrags berufen, der das Recht und die Modalitäten eines Austritts festlegt.
"Es gibt einen sehr klaren Mechanismus im Artikel 50, der einen zweijährigen Verhandlungsprozess garantiert, in dem wir uns von den politischen Vereinbarungen der Union zurückziehen und uns auf Handelsfragen konzentrieren können, damit wir später wieder eine eigene Stimme in den entscheidenden internationalen Gremien haben und so zu einer Schlüsselfigur im Welthandel werden."
Ex-Premier Major träumt von einem Moratorium
Wie aber die eigene Verhandlungsposition gestärkt werden soll, wenn der Austritt von vornherein klar ist, bleibt das Geheimnis des Rechtsauslegers. Ganz anders argumentiert der frühere Premierminister John Major, der im Interesse Gesamteuropas sein Land auf jeden Fall in der EU halten will, aber auf Zugeständnisse und Kompromissbereitschaft der Europäer hofft. Major verweist darauf, dass Großbritanniens Bevölkerung jährlich um etwa eine Viertel Million Menschen wächst, wovon knapp die Hälfte aus der EU einwandert.
"Wir wollen die Bewegungsfreiheit nicht beenden. Aber es gab hier in den letzten Jahren einen großen Schub von Migranten. Die Bevölkerung ist innerhalb eines Jahrzehnts um zehn Prozent gewachsen. Wenn das in dem Tempo weitergeht, werden wir in einigen Jahrzehnten mehr Einwohner als Deutschland haben. Wir haben hier also besondere Umstände und die EU war immer pragmatisch genug, einen Ausweg aus schwierigen Situationen zu finden."
Sir John träumt von einem Moratorium, also einem zeitweiligen Einwandererstopp, solange bis es Auswanderungsländern in Ost- und Südeuropa wirtschaftlich wieder besser geht. Doch solche Ideen werden bislang von Kontinentaleuropäern abgelehnt. Gesucht wird nach anderen, effektiven und dennoch EU-kompatiblen Maßnahmen. Der Politikberater Mats Persson von der EU-kritischen Denkfabrik "Open Europe" empfiehlt, den in Großbritannien arbeitenden EU-Einwanderern erst nach zwei Jahren Sozialleistungen zu gewähren.
"Momentan bekommen Niedriglohn-Arbeiter im UK anders als in den meisten anderen EU-Staaten Steuerfreibeträge, um ihren Grundlohn aufzupeppen, sodass sie auf mehr Geld kommen als anderswo in Europa. Das schafft falsche Anreize. Wir glauben, dass solche Zuschüsse erst nach einer bestimmten Zeit gezahlt werden sollten."
Cameron wird seine bisherige Taktik wohl nicht ändern
Doch auch dieser Vorschlag sei mit der EU nicht zu machen, weil er gegen das Gleichbehandlungsgebot für EU-Bürger verstoße, warnt der erfahrene konservative Ex-Minister Ken Clarke, der schon unter Maggie Thatcher sein Land auf EU-Kurs gehalten hat:
"Dann hat man einen Engländer, der neben einem Polen arbeitet, beide zahlen die gleichen Steuern, aber nur der Engländer bekäme Steuerfreibeträge. Wenn ich polnischer Politiker wäre, würde ich in den Verhandlungen nicht zustimmen. Außerdem glaube ich nicht, dass es sich hierbei überhaupt um ein großes Problem handelt oder dass es UKIP-Anhänger und EU-Skeptiker befrieden würde."
Nach Ansicht Ken Clarkes sollte die Regierung zwar gegen den Sozialmissbrauch konsequenter einschreiten, aber vor allem endlich die Anti-Einwanderungsstimmung bekämpfen und herausstreichen, dass Großbritannien von den Immigranten unter dem Strich profitiere und profitiert habe. Der Grundfehler liege darin, UKIP hinterherzulaufen.
Doch es spricht momentan kaum etwas dafür, dass David Cameron seine bislang wenig erfolgreiche Taktik noch ändert.