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Vor 100 Jahren
Großbritannien erhält das Völkerbundmandat über Palästina

Wem gehört das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan? Als Großbritannien am 24. Juli 1922 vom Völkerbund das Mandat für Palästina erhielt, hatte das Königreich Juden wie Arabern die Erfüllung ihrer nationalen Ambitionen versprochen – und verfolgte doch eigene Interessen.

Von Matthias Bertsch |
Wache britischer Soldaten 1938 in der Jerusalemer Altstadt.
Wache britischer Soldaten 1938 in der Jerusalemer Altstadt. Am 24. Juli 1922 wurde in London das Völkerbundmandat für Palästina ratifiziert - Großbritannien wollte seinen Einfluß im Nahen Osten sichern. (pa/United Archives)
Paris, im April 1919: wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkrieges wird in Versailles der Völkerbund ins Leben gerufen. Doch den Siegermächten geht es nicht nur um die Sicherung des Friedens, sondern auch um das Abstecken eigener Interessengebiete. Verkauft wird das Ganze als ein Akt der Nächstenliebe: Völker, die noch nicht imstande seien, sich selbst zu leiten, heißt es in Artikel 22 der Völkerbundsatzung, müssten an die Hand genommen werden, um sich selbst besser entwickeln zu können.

„Der beste Weg, diesen Grundsatz durch die Tat zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschrittenen Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen.“

1916: Verständigung über "Neuaufteilung des Nahen Ostens"

Dass die Wahl auf Frankreich und Großbritannien fiel, war kein Zufall: Die beiden Kolonialmächte hatten sich bereits 1916, nach der zu erwartenden Niederlage des Osmanischen Reiches, in einem Geheimabkommen - dem Sykes-Picot-Abkommen - über eine Neuaufteilung des Nahen Ostens verständigt. Ein Jahr nach Gründung des Völkerbundes wurden auf der Konferenz von San Remo die Zuständigkeiten verteilt. Während Frankreich das Mandat für Syrien und den Libanon bekam, erhielt Großbritannien Mesopotamien und Palästina – zu treuen Händen, so der Historiker Arnd Bauerkämper.

„Dieser Gedanke des benevolent empire sozusagen, also dieser paternalistischen Herrschaft unter der britischen Protektion, die angeblich für das Wohl aller Bewohner in diesem Raum sorgen würde, das war ein Leitgedanke gewissermaßen, dieser imperiale Paternalismus, sag ich mal, diese obrigkeitliche Attitude, die war ja sozusagen dem britischen Imperialismus eingeschrieben, auch in dem Konzept der Zivilisierungsmission, die die Briten sich selber ja auch zuschrieben.“

Hintergedanke einer fortdauernden britischen Herrschaft

Am 24. Juli 1922 wurde in London das Völkerbundmandat für Palästina ratifiziert. Im Mittelpunkt stand die Umsetzung der Balfour-Deklaration. In ihr hatte der britische Außenminister, James Balfour, den Zionisten im November 1917 die Unterstützung seiner Regierung für eine nationale jüdische Heimstätte in Palästina zugesichert. Dass die Briten bereits zwei Jahre zuvor dem Scherifen von Mekka einen arabischen Staat in Palästina versprochen hatten – um die Araber als Verbündete im Kampf gegen das Osmanische Reich zu gewinnen -, davon war im Mandat nicht die Rede. Strategisch gesehen, waren die Juden die wichtigeren Verbündeten.

„Langfristig verfolgte die britische Regierung das Ziel, sozusagen den Nahen Osten für Großbritannien zu sichern, auch die jüdischen Organisationen zu mobilisieren als Unterstützungsorgane für die fortdauernde britische Herrschaft im Nahen Osten, die wichtig war für die Aufrechterhaltung des britischen Empire. Denn es ging Großbritannien vor allem auch um die Sicherung des Suez-Kanals, das blieb ja eigentlich auch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts die Lebensader des Empires.“

"In der Zange zwischen arabischem Radikalismus und radikalem Zionismus"

1923 wurde das Emirat Transjordanien vom Mandatsgebiet abgetrennt, das dadurch auf rund ein Viertel der ursprünglichen Größe schrumpfte. Die Probleme dagegen wurden nicht kleiner, im Gegenteil. Mit der zunehmenden Zahl jüdischer Einwanderer nach Palästina - vor allem nach der Machtübernahme Hitlers - wuchsen auf arabischer Seite Wut und Enttäuschung.

„Sehr viele Araber fühlten sich in diesem Raum an den Rand gedrängt, sie fühlen sich bedroht durch die zunehmende Zahl jüdischer Siedler und reagierten hier allergisch. Kurzum: Es kam zu einem Konflikt, der in den 30er Jahren eskalierte, die britische Mandatsmacht geriet sozusagen in die Zange zwischen dem zunehmenden arabischen Radikalismus und den auch durchaus militanten zionistischen, radikal zionistischen Bewegungen.“

Gespalten: Bis heute kein arabisches Pendant zu Israel

1936 rief die britische Regierung eine Kommission ins Leben, die mit Vertretern beider Seiten Gespräche führte. Das Fazit der Kommission fiel ernüchternd aus: ein gleichberechtigtes Miteinander von Juden und Arabern in Palästina sei wegen der unvereinbaren nationalen Ambitionen nicht möglich.

„Nach arabischer Vorstellung dürften die Juden nur den Platz beanspruchen, den sie im arabischen Ägypten oder arabischen Spanien einst innehatten. Die Araber hinwieder würden in der jüdischen Vorstellung so abseits stehen wie einst die Kanaaniter im alten Land Israel. Das Nationalheim kann nicht halbnational sein.“

Im September 1947 gab Großbritannien das Mandat zurück. Die Kosten für die Befriedung der angespannten Situation standen in keinem Verhältnis zur strategischen Bedeutung Palästinas. Zwei Monate später stimmte die Vollversammlung der Vereinten Nationen mehrheitlich für eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Am 14. Mai 1948, wenige Stunden, bevor das britische Mandat endete, wurde der Staat Israel ausgerufen – das arabische Pendant dazu gibt es bis heute nicht.